Kultur | Salto Afternoon

Sehnsuchtsraum Museum

Der aus dem Pustertal stammende Kurator Günther Oberhollenzer widmet sich Sehnsuchtsräumen. Ein Museums-Check in Krems, im LUMEN in Bruneck und in Schweden.
Guenther Oberhollenzer
Foto: Lukas Beck

salto.bz: Seit Anfang 2016 sind Sie Kurator für das im Frühjahr eröffnete neue Kunstmuseum in Krems. Wie ist dieses neue Angebot in der Kulturstadt Krems angenommen worden?

Günther Oberhollenzer: Die Landesgalerie Niederösterreich befindet sich nicht in New York, nicht in Berlin, auch nicht in Wien, sondern in der rund 25.000 Einwohner zählenden Stadt Krems, also einem ländlich regionalen Umfeld, und das ist gut so. Dieser Aspekt musste aber in der Konzeption des Hauses mitgedacht werden. Nur wenn das Museum von der Bevölkerung vor Ort und den niederösterreichischen Künstlerinnen und Künstlern angenommen wird, kann es nach außen strahlen, über die Landesgrenzen hinweg – denn natürlich wollen wir auch das Wiener Kunstpublikum und die zahlreichen Touristen ansprechen, die nach Krems kommen.
Es gab viele begeisterte aber auch einige kritische Stimmen, die nicht davon überzeugt waren, dass insbesondere die so zeitgenössische Architektur mit dem historischen Stadtkern von Krems-Stein harmoniert und hinterfragten, ob ein derartiger Bau am Tor zum Weltkulturerbe Wachau überhaupt gebaut werden dürfe. So war einiges an Überzeugungsarbeit notwendig und viele persönliche Gespräche, wir veranstalteten zahlreiche öffentliche Diskussionen und auch partizipierte Kunstprojekte, um das Museum den Menschen näher zu bringen.

 

Was zeichnet den marte.marte-Neubau aus?

Das Architekturbüro marte.marte aus Vorarlberg entwarf einen schwungvoll gedrehten Kubus mit lichtdurchfluteten Bögen und schindelförmiger Fassadenstruktur, der die Donau mit dem historischen Stadtkern von Stein verbindet. Die Landesgalerie öffnet sich den Besucherinnen und Besuchern mit weiten Fenstern aus sphärisch gekrümmten Gläsern, die für Offenheit und Durchlässigkeit stehen. Diese Durchblicke in das Innere des Museums sollen neugierig machen und finden ihren Widerklang in einem Ausstellungsprogramm, das den Menschen auf Augenhöhe begegnet. Es möchte mit lebensnahen, mit der Region verbundenen Themen bei Besucherinnen und Besuchern die Begeisterung für die Kunst wecken oder vertiefen. Mit dem Blick von heute und Themen, die in der Alltagsrealität der Menschen verhaftet sind, wird die Kunst vergangener Jahrhunderte mit Werken der Gegenwart in Dialog gesetzt und reagiert mit Gruppen- und Einzelausstellungen auf Fragen der Gegenwart. Die Landesgalerie ist somit kein elitärer Kunsttempel, dessen Ausstellungen nur für eine kleine, eingeweihte Gruppe zugänglich sind, sondern ein Museum, das in Inhalt und Präsentation den Standort des Museums, Krems und Niederösterreich, stets mitdenkt.

Im Kunstbau finden zeitgleich 5 Ausstellungen statt. Dabei ist das Gebäude gar nicht so groß. Wie bringt das Museums-Team alles unter Dach und Fach?

Die Ausstellungsfläche beträgt insgesamt 3.000 m² . Das ist nicht wenig! Sie erstreckt sich auf fünf Ebenen, zwei davon mit Tageslicht, das Untergeschoss hat einen Verbindungsgang mit der Kunsthalle Krems, im dritten Obergeschoss gibt es eine wunderbare Dachterrasse.
Für die ersten Jahre prägen drei zentrale Themen das Programm, das in wechselnden Ausstellungen präsentiert wird: das Sammeln, der Mensch und die Landschaft.

 

Zur Hauseröffnung werden drei große Themenausstellungen und zwei Einzelausstellungen gezeigt. Die Ausstellung Franz Hauer. Selfmademan und Kunstsammler der Gegenwart rekonstruiert die außergewöhnliche Kunstsammlung des Niederösterreichers Franz Hauer, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Hauptwerke von Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Albin Egger-Lienz u.v.a. sein Eigen nennen durfte.


Eine Personale der Biennale-Künstlerin und österreichischen Staatspreisträgerin Renate Bertlmann mit dem Titel Hier ruht meine Zärtlichkeit vereint frühe und aktuelle Arbeiten. Thematisch steht die Schau in Beziehung zur Ausstellung „Ich bin alles zugleich“. Selbstdarstellung von Schiele bis heute, in der künstlerische Selbstdarstellungen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart aufeinander treffen.

 

Die Schau Sehnsuchtsräume. Berührte Natur und besetzte Landschaften geht der Frage nach, wie der Mensch Natur wahrnimmt, konditioniert und zu seinem Sehnsuchtsort werden lässt. Im Dialog damit steht schließlich die Personale von Heinz Cibulka. bin ich schon ein bild?, der sich in seinen Bildgedichten unter anderem mit der Kulturlandschaft Niederösterreichs auseinandersetzt.


Die von Ihnen kuratierte Ausstellung Sehnsuchtsräume berührt die Natur und besetzt die Landschaft...

Sehnsuchtsräume verhandelt die niederösterreichische Kulturlandschaft, die seit dem 19. Jahrhundert Erholungssuchenden – darunter auch vielen Künstlern und Künstlerinnen – Ruhe und Inspiration bot. Von diesem Sehnsuchtsraum ausgehend entsteht ein vielfältiger Ausstellungsparcours, der von der Wachau bis nach Triest reicht, Kunstwerke des Stimmungsimpressionismus und der Klassischen Moderne mit zahlreichen Werken der Gegenwart in Dialog setzt. Kunstwerke, die niederösterreichische Sehnsuchtsräume zum Inhalt haben, bilden den Kern der Ausstellung, wobei diese exemplarisch für Landschaften stehen, die im besten Fall grundlegende Fragestellungen zum Verhältnis von Mensch und Natur zur Diskussion stellen.


Ihre Ausstellung ist in mehrere Landschaftsbereiche gegliedert. Welcher ist Ihnen am liebsten?

Einzelne Werke berühren mich sehr. So zeigt etwa Michael Goldgruber in seinen Fotos Aussichtsplattformen, die den touristisch besten Blick auf die Landschaft suggerieren soll. Als Apparaturen der Wahrnehmung geben sie der Masse einen regulierten, von Menschenhand gelenkten Blickpunkt vor – was sie sehen, wie sie die Landschaft wahrnehmen soll. Die Natur wird als Erlebniswelt konsumiert.


Oder auch die Fotoserie von Ekaterina Sevrouk: für ihr Projekt Fremd bin ich eingezogen fotografierte die Künstlerin männliche schwarzafrikanische Flüchtlinge in Naturräumen, etwa in der Tourismusregion Wachau. Die ästhetischen, mit Würde inszenierten Bilder hinterfragen subtil unsere Vorstellungen von Heimat und Fremdsein und den abendländischen Blick auf Natur und Landschaft.

 

Vermissen Sie die Landschaften Ihrer Kindheit, das Pustertal, Bruneck?

Natürlich. Ich bin mitten in der Natur großgeworden, Wandern und auf den Berg gehen waren eine Selbstverständlichkeit; bisweilen fragte ich mich, was all die Touristen bei uns wollen. Nun, seit Jahren im Ausland, habe ich erst die Besonderheit der Natur- und Kulturlandschaft Südtirols richtig kennen und schätzen gelernt. Wenn ich heute – meistens leider zu kurz – zu Hause auf Besuch bin, fühle ich mich auch ein wenig wie ein Tourist, etwa wenn ich durch den Wald gehe, mich an der guten Luft erfreue und die Stille genieße.

Es wäre spannend, sich auch im Tourismusland Südtirol mit diesen oder ähnlichen Themen vertiefend anzunähern und nicht nur in erster Linie schöne Fotoreihen zu zeigen.

Das neue Fotografiemuseum am Brunecker Hausberg Kronplatz entspricht nicht Ihren Vorstellungen. Warum?

Um nicht missverstanden zu werden: es ist nichts dagegen einzuwenden, dass es auf dem Kronplatz eine fotografische Erlebniswelt über die Berge gibt. Aber genau das ist für mich der zentrale Punkt: das LUMEN ist mehr eine Erlebniswelt denn ein Museum. Deshalb habe ich hinterfragt, ob die Förderbeiträge tatsächlich gerechtfertigt waren. Man spielt mit Effekten und denkt in touristischen Kategorien. Dadurch wird bisweilen ein durchaus spannendes Erlebnis für den Besucher, die Besucherin kreiert, doch vieles bleibt an der – schönen – Oberfläche haften ohne vertiefende Betrachtung.

 

Was hätten die Museumsmacher des LUMEN – es wird ja nun mit 20. Juli offiziell eröffnet – Ihrer Ansicht nach besser machen können?

Von einem Museum für Bergfotografie erwarte ich mir – gerade auch in der heutigen Zeit – eine kritische Auseinandersetzung über das Verhältnis von Mensch, Natur und Berg. So gibt es etwa eine große Bandbreite an künstlerischen Fotografen, die sich mit der Bebauung und Besetzung von Berglandschaften, ihrer touristischen Bespielung, Vereinnahmung oder auch Zerstörung auseinandersetzen – man denke etwa nur an die Arbeiten von Walter Niedermair, Margherita Spiluttini oder auch Micheal Goldgruber.


In meiner Ausstellung Sehnsuchtsräume hab ich genau das versucht: Die Ausstellung trägt nicht den Untertitel Oh wie schön ist Niederösterreich!, sondern zeigt unterschiedliche Aspekte der Kulturlandschaft am Beispiel von Niederösterreich: unsere romantische Vorstellung einer ländlichen Idylle, die sich meist als menschliches Konstrukt erweist, die Bearbeitung sowie touristische Nutzbarmachung von Natur und vieles andere mehr. Es wäre spannend, sich auch im Tourismusland Südtirol mit diesen oder ähnlichen Themen vertiefend anzunähern und nicht nur in erster Linie schöne Fotoreihen zu zeigen. Ob der Kronplatz für solch ein Konzept aber der geeignete Ort ist, ist eine andere Frage…

Eines Ihrer Lieblingsmuseen – das haben Sie vor kurzem verlauten lassen – ist das Artipelag bei Stockholm. Was hat Sie daran so beindruckt?

Auf meiner Schwedenreise vor einiger Zeit hat mich das Artipelag im Archipel von Stockholm wahrlich sehr begeistert. Es ist ein Privatmuseum, gegründet 2012 von Björn Jakobson, die Architektur stammt von Johan Nyrèn. Der Ausstellungsfokus liegt auf zeitgenössischer Kunst und Design, dort finden aber auch Konzerte, diverse Veranstaltungen oder Workshops statt.


Für mich stellt das Museum eine grandiose und sehr gelungene Verschränkung von Architektur, Kunst, Design, Natur und Kulinarik dar. Außerhalb der Stadt und mitten in der Natur gelegen ist das Ausstellungshaus mit seinen z.T. lichtdurchfluteten Räumen ein Ruhepol und ein Ort der Muse, der eine besondere Konzentration ermöglicht, um sich mit Kunst in entspannter Atmosphäre tiefreifend auseinander zu setzen. Vieles davon hat mich an das Essl Museum in Klosterneuburg bei Wien erinnert, in dem ich fast zehn Jahre als Kurator arbeiten durfte.

Kürzlich wurde an Ihrem Arbeitsplatz ein Museums-Check des TV-Senders 3Sat durchgeführt. Wie ist das Ergebnis ausgefallen?

Viel wurde schon medial über die Landesgalerie Niederösterreich, ihre Architektur und Inhalte berichtet. Natürlich freut es uns besonders, wenn auch das Ausland auf dieses doch besondere Museum aufmerksam wird. Das Team vom Museums-Check war von der Landesgalerie wie auch der Kunstmeile Krems sehr begeistert und das merkt man dem Bericht auch an. Moderator Markus Brock geht mit dem österreichischen Schauspieler Manuel Rubey locker plaudernd durch die Ausstellungen, daneben werden auch kurze Gespräche mit Christian Bauer, mit mir, sowie dem künstlerischen Leiter der Landesgalerie/Karikaturmuseum Gottfried Gusenbauer eingestreut. Ein sehr niederschwelliger oder, besser formuliert, lebensnaher Zugang zum Museum und zur Kunst. So wie wir es auch in der Landesgalerie leben möchten.