Politik | Sizilianisches Chaos

Wahlkampf unter dem Ätna

Angesichts der bevorstehenden Wahlen erklären die Parteien Sizilien ungeniert zum "laboratorio politico".
Abusivismo
Foto: upi

Zu Ferragosto herrscht in Italiens politischen Parteien gewöhnlich totale Windstille. Die Parteichefs urlauben in den Dolomiten oder in Forte dei Marmi, die Medien suhlen sich in unsäglichen Strand- und Boulevardgeschichten. Auch in diesem Jahr lief alles wie gewohnt ab – mit einer Ausnahme: Sizilien. Dort herrscht auch in der hochsommerlichen Urlaubszeit frenetische Tätigkeit. Der Grund: Die Listen für die bevorstehenden Regionalwahlen müssen in drei Wochen eingereicht werden. Doch mit Ausnahme der Fünfsterne-Bewegung  befinden sich alle Parteien noch in hektischen Verhandlungen.

Der sizilianische Außenminister Angelino Alfano gilt auf der Insel als Königsmacher. Seiner Partei Alleanza Popolare trauen die Meinungsforscher 10 Prozent zu. Nach gewohntem sizilianischem Muster bietet sich Alfano dem Meistbietenden an, verhandelt gleichzeitg mit seinem römischen Koalitionspartner PD und mit dem Mitte-Rechts-Bündnis, das in Sizilien in mehrere Lager gespalten ist. Berlusconi, der Morgenluft wittert, hat Vorbehalte gegen seinen abtrünnigen politischen Ziehsohn. Lega-Chef Salvini und seine faschistische Kampfgefährtin Meloni wollen Alfano nur akzeptieren, wenn er aus der Regierung Gentiloni ausscheidet. Nach bewährtem sizilianischen Vorbild kommt täglich ein neuer Kandidat auf den Tisch und die Karten werden neu gemischt. Die meisten sind altbekannte Gesichter aus dem christdemokratischen Umfeld, die bereits Mitglieder vergangener Regionalregierungen waren.

Sizilien ist seit Jahrzehnten eine Brutstätte übelster Klientelpolitik und Illegalität. In den letzten zehn Jahren wurden 52 Milliarden Euro an Steuern hinterzogen. Vor einer Woche vollzog der Gemeinderat von Licata bei Agrigent einen symbolhaften Akt: Er stürzte mit einem Misstrauensvotum den couragierten Bürgermeister Angelo Cambiano, der es gewagt hatte, illegal errichtete Häuser am Strand abzureißen – eine unerhörte Provokation, nach der  Cambiano unter Polizeischutz gestellt wurde.

240 illegale Bauten entstehen monatlich auf der Insel. Insgesamt 220.000 sind es auf dem 150 Meter breiten Küstenstreifen, auf dem absolutes Bauverbot herrscht.

770.000 Bausünder haben den sprichwörtlichen condono beantragt. Bürgermeister Cambiano genoss zwar Alfanos Unterstützung, wurde jedoch von seinen eigenen Parteifreuden abgewählt.

Das permanente Chaos hindert die traditionellen Parteien keineswegs daran, ausgerechnet Sizilien  zum "laboratorio politico" hochzujubeln. Unisono erklären Berlusconi und Luigi di Maio, ein "Sieg in Sizilien würde den Weg freimachen für einen Erfolg bei den Parlamentswahlen".

Eine geradezu groteske Prognose angesichts der Tatsache, dass man gar nicht weiß, nach welchem Wahlrecht das neue Parlament bestellt wird. Am schlechtesten sieht die Lage auf der Insel zweifelsohne für den Partito Democratico aus, der über keinen zugkräftigen Kandidaten verfügt und ohne Alfanos Unterstützung auf ein Debakel zuzusteuern droht. Um das Chaos zu vergrößern, kündigt der scheidende Präsident Rosario Crocetta unbeirrt seine erneute Kandidatur an. 

Indessen prophezeit die Fünfsterne-Bewegung wieder mal unbeirrt ihren Sieg – trotz des jüngsten Debakels bei den Gemeindewahlen in Palermo und der Affäre um die Fälschung der Unterschriften, die zum Ausschluss des ehemaligen Fraktionssprechers Riccardo Nuti und anderer Mitglieder führte.  Giancarlo Cancelleri, Spitzenkandidat der stets auf Legalität pochenden Bewegung, richtet sich frelich schon mal vorbeugend nach dem auf der Insel wehenden Wind: "Esiste anche un abusivismo di necessitá.