Chronik | Terrorismus

„Für den Märtyrertod“

Die Geschichte des Irakers Abdul Rahman Nauroz, Kopf der mutmaßlichen Meraner IS-Zelle, macht deutlich, dass die in Südtirol Verhafteten alles andere als harmlos waren.

Anwälte machen ihren Job. Dazu gehört es auch, die öffentliche Meinung zum Vorteil ihrer Mandanten zu beeinflussen. Deshalb erklärten die Pflichtverteidiger der in Südtirol am Donnerstag verhafteten sieben mutmaßlichen Mitglieder einer islamischen Terrororganisation unisono, dass ihre Mandanten keine Terroristen seien und in den Ermittlungsakten und in der Verfügung des Untersuchungsrichters kaum wirklich strafrechtlich relevante Vorwürfe angeführt werden. Die Argumentation der Verhafteten: Sie seien zwar religiös, aber hätten mit Terrorismus nichts zu tun.
Amtliche Unterstützung erhielt diese Lesart am Dienstag, als der Untersuchungsrichter in Trient die Haftbefehle gegen den 31jährigen in Meran wohnhaften Hama Mahmoud Kaml und den 29jährigen in Bozen ansässigen Mohamad Fatah Goran vorläufig aufgehoben hat. Beide wurde aus der Haft entlassen, weil die Beweislage zu dürftig sei.
Also alles nur eine Seifenblase?
Wohl kaum.

Die Akten

Ein genauerer Blick in die Ermittlungsunterlagen zeigt ein völlig anderes Bild. 1160 Seiten umfasst der Haftbefehl des römischen Untersuchungsrichters Valerio Savio, in dem 17 Personen beschuldigt werden, eine internationale Terrororganisation gegründet zu haben, mit dem Ziel, die demokratische Werteordnung zu unterwandern. 16 Beschuldigte sind irakische Kurden, vier davon in Norwegen ansässig, zwei in England, zwei in der Schweiz und je einer in Finnland und Griechenland. Sechs der beschuldigten Iraker leben in Südtirol: In Meran, Bozen und in Klobenstein. Dazu kommt noch der in Meran wohnhafte Kosovare Eldin Hodza.
Laut Anklage und Untersuchungsrichter haben die Beschuldigten eine Terrororganisation mit dem Namen „Rawti Shax“ gegründet, die von dem in Norwegen inhaftierten Faraj Ahmad Naajmuddin, genannt Mullah Krekar, inspiriert und geleitet wurde.


Faraj Ahmad Naajmuddin alias Mullah Krekar: Anführer der Rawti Shax.

Große Teile der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft basieren auf mitgeschnittenen Telefongesprächen, Internetposts in offenen Plattformen oder in geschlossenen, verdecken Foren. So gründete die Gruppe auf der Internetplattform „Paltalk“ einen Chatroom mit der Bezeichnung „Kurdistan Kurd u Islam Didi Nwe“, in dem die Anhänger europaweit Nachrichten und Meldungen austauschten.
Zudem platzierte die Carabinieri-Antiterroreinheit ROS in und um die Meraner, Bozner und Rittner Wohnungen der Verhafteten aber auch Wanzen und Kameras. Was dabei in fast vierjähriger Ermittlung zutage kam, zeigt eindeutig, dass man es hier mit einer fanatischen Gruppe junger Männer zu tun hat, die ein europäisches Netzwerk aufgebaut haben, um Kämpfer für den IS zu rekrutieren und in Ausbildungslager nach Syrien zu schicken.
Strafrechtlich relevante Tatbestände gibt es dabei zuhauf. Exemplarisch zeigt sich das am Fall des mutmaßlichen Kopfs der Südtiroler IS-Zelle: Abdul Rahman Nauroz.

Unter falscher Flagge

Der 36jährige, im irakischen Beji geboren Kurde gehörte nach eigenen Erzählungen und Schilderungen der Terrorgruppe Ansar al Islam an, die von Mullah Krekar gegründet wurde. Er soll dabei um die Jahrtausendwende an Guerilla-Aktionen im Irak teilgenommen haben.
Ende 2008 kommt Abdul Rahman Nauroz über die Türkei nach Italien und direkt nach Südtirol. Bereits im Dezember 2008 wohnt er in einer Einzimmerwohnung in der Meraner Katzensteinstraße. Offiziell gibt sich Nauroz als politisch verfolgter Kurde aus und sucht um politisches Asyl an. Seine Legende vor den Behörden: Weil er den Amerikanern im Irak geholfen habe, würde er von der Terrorgruppe Ansar Al Sunna gejagt und musste nach Europa fliehen. Am 30. April 2009 erhält er von der Bozner Quästur eine Aufnahmegenehmigung für politisch Verfolgte und die Sozialdienste übernehmen die Miete für die Meraner Wohnung und eine Unterstützung für die Lebenserhaltungskosten.
Schon bald beginnt sich Abdul Rahman Nauroz in einem gesamteuropäischen islamistisch-kurdisches Netzwerk zu engagieren. Dabei hilft er Landsleuten, in verschiedenen europäischen Ländern unterzukommen. Zwischen dem 28. Juli und dem 31. Dezember 2010 sitzt Nauroz in Frankreich im Gefängnis, wegen Beihilfe zu illegalem Grenzübertritt nach Frankreich.
Nach seiner Rückkehr nach Meran beginnt sich Nauroz rund um die Sinicher Moschee besonders religiösen irakischen Kurden zu nähern. Seine Wohnung wird damit zum Treffpunkt einer Gruppe junger Iraker, die allesamt in Europa leben und eine ähnliche Vergangenheit haben wie Nauroz. Dabei baut man eine militärische Gruppe auf, die darauf aus ist, Gotteskrieger für den Dschihad zu rekrutieren, auszubilden und in den Irak oder nach Syrien zu schicken.

Juden und Amerikaner

Welcher Fanatismus und welche Geisteshaltung in der Gruppe herrscht, wird in Dutzenden Mitschnitten deutlich. Nauroz preist immer wieder den Märtyrertod der Selbstmordattentäter. Dabei werden die Angehörigen der Gruppe konkret darauf vorbereitet, an solchen Aktionen in Syrien oder im Irak teilzunehmen.


Hasan Saman Jalal: Wollte unbedingt nach Syrien.

So findet sich in den Ermittlungsakten die Mitschrift eines Gespräch zwischen Nauroz und dem ebenfalls verhafteten, in Bozen wohnhaften Iraker Hasan Saman Jalal. Jalal verlangt dabei, endlich nach Syrien geschickt zu werden, um in „einer Jihad-Aktion zu sterben“. Der unscheinbare Familienvater sagt wörtlich: „Ich will nichts von dieser Welt, ich will alles im Jenseits. Ich werde in den Himmel kommen und alles haben. Ich werde nicht glücklich sein, bis ich nicht Juden und Amerikaner umbringe. Ich denke nur an den Jihad"

„Ich werde nicht glücklich sein, bis ich nicht Juden und Amerikaner umbringe. Ich denke nur an den Jihad“.

Selbstmordattentate

Mitte November 2014 erhält Abdul Rahman Nauroz in seiner Meraner Wohnung Besuch von drei Landsleuten. Nauroz versucht die Besucher zu überzeugen, nach Syrien zu reisen, um dort für den Islam zu kämpfen. Zudem behauptet der Iraker, in Meran eine Ausbildung zum Schmied zu absolvieren, um Kenntnisse zu erwerben, die ihm beim Bau von Bomben nützlich sind.
Im April 2014 hält sich der in Norwegen verhaftete Fatah Kamil Jalal in der Meraner Wohnung von Nauroz auf. Im Gespräch mit ihm schüttet Nauroz sein Herz aus: „Ich tauge zu nichts, außer für den Märtyrertot. Denn ich habe weder Frau noch Kinder. Ich habe keine Arbeit. Was soll ich hier schon tun. Es ist besser hinüberzugehen und mich dort in die Luft zu sprengen.“. Dann fragt er Fatah Kamil Jalal: „Glaubst du an die Selbstmordattentate?
Jalals Antwort: „Es ist eine einfache Methode, wenn du daran glaubst“.

Bäume und Blätter

Dass es aber nicht nur um Worte ging, zeigen andere Episoden. Am 20. Februar 2012 wendet sich der in Norwegen wohnhafte und vergangene Woche dort verhaftete Twana Karim Rahim an Abdul Rahman Nauroz. Sein Anliegen: Die Beschaffung eines Funkgerätes und von zwei Pistolen. Rahin erklärt Nauroz, dass die Pistolen und das Funkgerät für eine Aktion nach Holland gebracht werden sollen. Gleichzeitig wird ein Code für die Gespräche vereinbart. Die Pistolen sind die Bäume und die Patronen die Blätter.
Wenig später meldet sich Nauroz beim jetzt in der Schweiz verhafteten Mahmod Mahamad Arkan und bestellt dort „zwei Bäume“. Arkan gibt den Preis mit rund 1.500 Euro an. Mehrmals fragt Nauroz beim Schweizer Glaubensbruder nach, doch dieser liefert die Waffen nicht zum vereinbarten Termin.

Abdul Rahman Nauroz: Zwei Pistolen bestellt.

Im April 2012 fliegt Nauroz dann nach Norwegen. Dort war am 27. März 2012 Mullah Krekar wegen Bildung einer terroristischen Organisation verhaftet worden. Seine Anhänger denken über spektakuläre Aktionen nach. Die ROS-Beamten hören so ein Telefongespräch zwischen dem ebenfalls in England vergangene Woche verhafteten Bakr Hamad und dem Meraner Abdul Rahman Nauroz ab. Dabei wird offen die Möglichkeit erläutert, außerhalb von Europa Botschaften westlicher Länder anzugreifen. Der Vorschlag, der dabei diskutiert wird: einen britischen Botschafter zu entführen und damit die Freilassung von Mullah Krekar einzufordern. Nauroz spricht auch mit dem in Klobenstein wohnhaften Ali Abdula Salih über mögliche gewalttätige Aktionen.
In einem dieser Telefongespräche sagt Nauroz. „Wenn Mullah Krekar etwas passieren sollte, dann gibt es einige Menschen, die aus Norwegen einen zweiten Libanon machen werden. Es wird Bomben geben.“

In den Kampf

Bereits im November 2013 kommen die Schweizer Mitglieder des Netzwerks nach Meran, um Abdul Rahman Nauroz zu warnen. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg habe eine Ermittlung gegen „Rawti Shax“ eingeleitet.
Gleichzeitig beschließt man, die Rekrutierung der Gotteskämpfer zu beschleunigen. Mehrere Dschihadisten werden so über Meran in Ausbildungslager nach Syrien geschickt.
Anfang 2014 reist der in Meran wohnhafte Kosovaren Eldin Hodza, der ebenfalls zur Gruppe gehört, über die Türkei in ein Ausbildungslager nach Syrien. Im Sommer 2014 will auch Abdul Rahman Nauroz nach Syrien.

„Ich tauge zu nichts, außer für den Märtyrertot. Denn ich habe weder Frau noch Kinder. Ich habe keine Arbeit. Was soll ich hier schon tun. Es ist besser hinüberzugehen und mich dort in die Luft zu sprengen.“

Inzwischen hat der Kurde nämlich ein anderes Problem. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Südtirol im Dezember 2008 hatte Nauroz in der Bozner Garibalidstraße einen Pakistaner bedroht und ausgeraubt, weil dieser ihn und zwei anderen Irakern nicht in seiner Wohnung aufnehmen wollte. Nauroz wird deshalb vom Bozner Landesgericht wegen Raubes zu zwei Jahren Haft und 400 Euro Bußgeld verurteilt.
Im Herbst 2014 wird klar, dass Nauroz die Strafe absitzen muss. Deshalb will er Italien so schnell wie möglich verlassen. Nauroz nimmt mit seinem Bruder im Irak Kontakt auf und vereinbart mit zwei seiner Südtiroler Gesinnungsgenossen nach Syrien zu gehen.
Das Schweizer Gruppenmitglied Sheda Semeer kämpft zu diesem Zeitpunkt bereits in den Reihen von Al Nusra in Syrien. Semeer versichert in einem Gespräch mit Nauroz, dass er die illegale Einreise nach Syrien für die Kämpfer organisieren könne. Sie müssten nur nach Istanbul kommen.
Am 26. Jänner 2015 kündigt Abdul Rahman Nauroz einem Glaubensbruder in München seine Ankunft in zwei Tagen an. Am 27. Jänner 2015 verlässt Nauroz seine Meraner Wohnung und trifft sich in Bozen mit seinen Gesinnungsgenossen. Er verbringt seine letzte Nacht in Südtirol in der Bozner Wohnung von Hasan Saman Jalal.
Gegen 7 Uhr früh am 28. Jänner 2015 wird Nauroz bei einer Grenzkontrolle am Brenner verhaftet und ins Gefängnis eingeliefert. Der Grund: der Haftbefehl des Bozner Landesgerichts.

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Luis Durni Mi., 18.11.2015 - 07:49

der märtyrertot braucht die waffenhersteller, um taugenichts einen lebenssinn zu geben.
nur wer bomben verkauft, kann gewalt ernten.

Mi., 18.11.2015 - 07:49 Permalink
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Sepp Bacher Mi., 18.11.2015 - 11:17

Dieser gute Artikel zeigt, wie schwierig es ist, bestimmte Dinge zu verstehen: Warum kämpft ein Kurde bei Al Nusra, die in Syrien ja auch gegen die dortigen Kurden kämpft. Warum unterstützen Kurden den IS, wo doch sei es die syrischen als auch die irakischen Kurden gegen den IS kämpfen. Wenn diese Gruppe für einen kurdischen Islamischen Staat kämpfen, wie ich aus anderen Berichten entnommen habe, dann wird mir nicht klar, nach welcher religiösen Richtung. Unter den Kurden gibt es Sunniten, Schiiten, Aleviten, Christen, Jesiden und auch genügend Leute - z. B. in der PKK - für die Gott kaum eine Rolle spielt.
Bei so starker Indizienlage finde ich es gut, wenn man diese fanatischen Männer präventiv in Gewahrsam nimmt. Gleichzeitig könnte auch sein - wie bei den beiden Freigelassenen, dass sie nun gebrandmarkt sind, vielleicht zu Unrecht!

Mi., 18.11.2015 - 11:17 Permalink