Politik | Österreich

Südtirol sieht schwarz-blau

Gespaltene Reaktionen auf Doppelpass-Absichten in Österreich: Befürworter preschen vor, Kritiker warnen vor Nationalismus und verstärktem Rechtsdrall auch in Südtirol.
Südtirol-Österreich
Foto: Salto.bz

Hauptsache die neue österreichische Bundesregierung zeigt “eine große Offenheit und Sensibilität für Südtirol”. Um mehr scheint sich Philipp Achammer dieser Tage nicht Sorgen zu machen. Dabei schaut halb Europa besorgt auf die Alpenrepublik und die Wiederauflage der schwarz-blauen Regierung. Längst nicht mehr so drastisch wie im Jahr 2000 fallen die Reaktionen auf das Koalitionsbündnis zwischen ÖVP und FPÖ aus, das am heutigen Montag besiegelt werden soll. Damals verhängte die EU Sanktionen gegen Österreich und die Regierung von Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Jörg Haider (FPÖ), das schließlich sechs Jahre und zwei Wahlen überdauern sollte.

17 Jahre später fällt der Protest leiser aus, an Regierungsbeteiligungen rechtsextrem angehauchter Parteien hat man sich gewöhnt. Und doch schaut man man von Brüssel, und vor allem von Deutschland aus wachen Auges auf Österreich. Zumal der angehende Bundeskanzler, der 31-jährige Sebastian Kurz, flankiert von seinem künftigen Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache, angekündigt hat, einschneidende Veränderungen in Europa anzustreben – in Richtung “weniger EU”, dafür effizienter, so Kurz.

“An der Donau findet gerade eine Zeitenwende statt, deren Auswirkungen weitreichend sein dürften”, schreibt die Süddeutsche Zeitung am Sonntag.
Eingeleitet wird diese Zeitenwende mit dem 180-seitigen Koalitionspapier. “Zusammen. Für unser Österreich.”

 

Zeitenwende unter “Innere Sicherheit”

Auf Seite 33 findet sich jener Absatz, der in Südtirol für orgiastische Freude sorgt. Nicht nur bei den ideologisch der FPÖ nahestehenden Freiheitlichen und den Patrioten von Süd-Tiroler Freiheit (STF) und Heimatbund. Auch die SVP mit Parteiobmann Philipp Achammer ist “sehr erfreut”. Was wochenlang im Raum stand, steht nun auf Papier: Österreich will den Südtirolern deutscher und ladinischer Muttersprache die doppelte Staatsbürgerschaft gewähren.

Denn die neue schwarz-blaue (oder auch türkis-blaue) Regierung will das “Staatsbürgerschaftsgesetz neu gestalten” und die “Doppelstaatsbürgerschaft neu denken”. So steht es auf Seite 33 des Regierungsprogramms – nicht etwa im Kapitel “Integration”, sondern “Innere Sicherheit”.

“Im Geiste der europäischen Integration” werde “in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol (…) die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben”. “In Aussicht genommen” bedeutet freilich wenig. Mehr als eine Absichtserklärung der neuen Regierung ist es (noch) nicht.

 

Historischer Hype

Und doch jauchzt man in Südtirol auf. Die Süd-Tiroler Freiheit überhäuft die ÖVP und die FPÖ mit Lobeshymnen. “Danke Österreich!”, ruft Sven Knoll über den Brenner. “Von unschätzbarem Wert” sei das “historische Fenster”, das sich “für Süd-Tirol” eröffne, schreibt der STF-Landtagsabgeordnete schon am Samstag. Als “historische Vereinbarung für Südtirol” bezeichnet der Freiheitliche Parteiobmann Andreas Leiter-Reber die im Koalitionspapier festgehaltene Absichtserklärung. Sein Dank geht an die FPÖ. Der Schwesterpartei – “allen voran HC Strache und dem Südtirolsprecher Werner Neubauer” – sei es gelungen, “selbst Widerstände in Österreich und Südtirol zu überwinden und diesen Meilenstein für die Geschichte und Identität Südtirols offiziell in Aussicht zu stellen und im Laufe der Legislatur konkret werden zu lassen”, so Leiter-Reber. Sowohl STF als auch Freiheitliche betonen, wie sehr sie sich seit Jahren für den Doppelpass eingesetzt hätten. Doch auch der SVP-Parteiobmann hat ein Wörtchen mitzureden. “Die Verankerung der Doppelstaatsbürgerschaft im Koalitionsvertrag – seit vielen Jahren ein Ziel der SVP”, begrüßt Philipp Achammer das vorerst nur gedruckte Wort.

Wie es nun weiter geht bzw. gehen könnte oder sollte, wollen die Befürworter der doppelten Staatsbürgerschaft gleich heute erläutern. Gemeinsam mit Werner Neubauer haben Freiheitliche, STF, Südtiroler Heimatbund und SVP-Altmandatare zur Pressekonferenz am Montag Vormittag geladen.

 

Des einen Freud, des anderen Leid

Eine erste harsche Kritik an dem nun niedergeschriebenen Absicht, einigen Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zuzuerkennen, kommt von Alessandro Urzì. Der Landtagsabgeordnete von Alto Adige nel Cuore, der mit einer Koalition mit der SVP liebäugelt, schimpft: “L'Austria potrebbe dare la cittadinanza agli altoatesini (solo tedeschi, ossia con criterio di selezione pseudo razziale non si sa come applicabili) tradendo i patti per l'Autonomia.” In dieselbe Kerbe schlägt Michaela Biancofiore. Die Forza-Italia-Parlamentarierin warnt: “Si lascia di fatto annullare la quietanza liberatoria dell’Austria all’Italia del 1992, spostando pericolosamente il confine dell’Italia a Salorno e spedendo il Trentino in Veneto.”
Auch Biancofiores Parteikollege, der Präsident des EU-Parlaments Antonio Tajani, äußert sich am Sonntag Abend zum Doppelpass für Südtiroler. Im Tg3-Interview bezeichnet ihn Tajani als “überzogenen Zug”, der “nicht zur Entspannung” beitragen würde: “L’Europa ha chiuso la stagione dei nazionalismi.”

“Südtirol ist mit der türkis-blauen ‘Schutzmacht’ im Rücken gleichfalls zu verstärktem Rechtsdrall aufgefordert.”
(Grüne)

Das sieht auch Benedetto Della Vedova so. Der Unterstaatssekretär im Außenministerium nimmt auf Facebook Stellung. Das einseitige Angebot vonseiten Österreichs habe “verheerende Folgen” für das Zusammenleben, “portando al riemergere di rivendicazioni territoriali e minando la convivenza nei paesi, anche nell’Unione europea, caratterizzati dalla presenza di cittadini di molteplici culture e lingue.

Zurück in Südtirol. Etwas gemäßigter als Urzì und Biancofiore, aber ebenso kritisch sind die Grünen. Bekanntlich sind sie gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und sprechen sich für einen “europäischen Pass” aus. In einer Aussendung schreiben die Parteisprecher Brigitte Foppa und Tobe Planer sowie die beiden Landtagsabgeordneten Hans Heiss und Riccardo Dello Sbarba: “Die verklausulierte Zusage einer ‘Prüfung’ der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler macht deutlich, dass dieses Anliegen von Teilen der SVP, STF und Freiheitlichen nur auf deren Drängen im Regierungsprogramm gelandet ist.” Die Grünen geben sich realistisch: Rasche Konsequenzen seien keine zu erwarten, “da Wien die damit verbundenen Probleme für Südtirol und Österreich selbst nur zu gut kennt”.

 

Abgesehen vom Doppelpass

Die Grünen scheinen eine der wenigen politischen Gruppierungen hierzulande zu sein, die sich über den Doppelpass hinaus Gedanken über die neue österreichische Regierung gemacht haben. “Wir sehen im Start der neuen Koalition keinerlei Grund zur Freude”, schreiben sie zum schwarz-blauen Regierungsprogramm: “Steuerentlastungen, Radikalreform von Arbeitszeiten und Krankenversicherung, dazu Rückbau des Kammerstaats kommen der Wirtschaft entgegen, während Asylwerber, Migranten, aber auch sozial Schwache die harte Hand der neuen Regierenden erfahren werden. Die künftig aufgestockte Polizei und verschärfte Datenüberwachung deuten auf einen langfristigen Systemwechsel. Das Bekenntnis zu Europa ist halbherzig, da die Formel der ‘Subsidiarität’ vor allem auf eine Stärkung der Nationalstaaten abzielt.”

“Dass mit Strache ein Mann mit Neonazivergangenheit zum Vizekanzler aufsteigt, ist ein ungeheuerlicher Vorgang.”
(Kommentar von Til Knipper im Tagesspiegel)

Der “moderate, von Harmonie geprägte Auftritt der neuen Koalitionäre” täusche “keinen Moment darüber hinweg, dass Kurz, Strache, Kickl und Co. den langfristigen Umbau der Republik planen. Dieses Ziel hat Auswirkungen auf Europa ebenso wie auf Südtirol, das mit der türkis-blauen ‘Schutzmacht’ im Rücken gleichfalls zu verstärktem Rechtsdrall aufgefordert ist”.
Man selbst werde “die Rückwirkungen auf unser Land genau verfolgen und bei Bedarf kein Blatt vor den Mund nehmen”, kündigen die Grünen an. “Obwohl in Europa diesmal weit weniger Alarmstimmung herrscht als anlässlich des schwarz-blauen Regierungsantritts 2000, gibt es kaum weniger Grund zur Sorge.”
Ein Beweis dafür sind gleich sechs Demonstrationen, die für heute in Wien angemeldet wurden. Um 11 Uhr wird Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen die neue Regierung angeloben. Dagegen gehen die Österreichische Hochschülerschaft, Schüler, die Offensive gegen Rechts und die Plattform Radikale Linke sowie Asyl in Not auf die Straße.

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Paolo Carbone Mo., 18.12.2017 - 08:06

Das Artikel versucht eigentlich die verschiedenen Meinungen zu zeigen. Es handelt sich nicht um Urzì, Biancofiore usw, sondern um die Vernunft, die von gestern leider nicht mehr in Wien regiert.

Mo., 18.12.2017 - 08:06 Permalink