Wirtschaft | Nahverkehr

Spiel auf Zeit

Das Verwaltungsgericht Latium hat den Rekurs der SAD AG gegen die Millionenstrafe der staatlichen Antitrust-Behörde abgewiesen. Die Hintergründe eines Machtpokers.
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Foto: Provincia Bz
Wenn es um die eigene Brieftasche geht, dann entdeckt so mancher plötzlich die Menschenrechte.
Wir gehen bis vor den Gerichtshof für Menschenrechte. Wir sind überzeugt, dass wir Recht haben“, reagiert Ingomar Gatterer gegenüber den Dolomiten auf das Urteil des Verwaltungsgerichtes Latium, das den Rekurs der SAD AG gegen einen Strafbescheid der staatlichen Antitrust-Behörde abgewiesen hat. Wie Salto.bz berichtet hat, muss das private Nahverkehrsunternehmen 1.147.275 Euro Strafe zahlen.
Gatterer gibt sich in seinem Hausblatt jetzt gewohnt kämpferisch: „Ich zahle weiterhin keinen Cent. Wir beantragen beim Staatsrat die Aussetzung des Urteils.
Dabei hatte das aus dem Mund Gatterers vor zweieinhalb Jahren noch völlig anders geklungen.
 

„Figli di Troia“

 
Als SAD-CEO Ingomar Gatterer am Vormittag des 31. Januar 2019 den Generaldirektor seines Unternehmens, Mariano Vettori, anruft, laufen die Computer der Abhörstation am Bozner Landesgericht mit. Auf Antrag der Bozner Staatsanwaltschaft hören die Ermittler ab Spätherbst 2018 monatelang die Mobiltelefone mehrerer Landesbeamter, einiger privater Busbetreiber, sowie die Anschlüsse der beiden SAD-Macher Gatterer und Vettori ab.
Dabei geht es auch um das Verfahren vor der staatlichen Kartellbehörde.
Ingomar Gatterer informiert Mariano Vettori an diesem letzten Jännertag 2019, dass ihm am Vortag den Abschlussbericht der „Autorità garante della concorrenza e del mercato“ (AGCM) zugestellt wurde und die Kartellbehörde wegen der Schwere der Verstöße die Sanktionen um 50 Prozent erhöhen könnte.
Vettori beruhigt Gatterer und meint dann, dass die AGCM-Inspektoren nichts Anderes als „Scheißbullen“ (Poliziotti di merda) seien. Der SAD-Direktor nennt dabei einen der Ermittlungsbeamten auch beim Namen.
Als Vettori meint, sie hätten ja noch Zeit, Entlastungsdokumente im Verfahren vorzulegen, bockt Ingomar Gatterer. Seine Anweisung: Keinerlei Dokumente vorlegen, auf das Urteil warten und dieses dann vor dem Verwaltungsgericht Latium anfechten.
 
 
Wie sicher sich Ingomar Gatterer und Mariano Vettori ihrer Sache dabei sind, zeigt sich auch daran, dass die beiden noch über die Höhe der Strafe witzeln. Gatterer meint maximal 4 oder 5 Millionen Euro. Vettori: „Sicher nicht mehr als 1,5 Millionen“. Ingomar Gatterer daraufhin lachend am Telefon: „Wenn es nur 1,5 Millionen Euro sind, wäre es nur zu schön, ihnen diese in bar auf den Tisch zu legen.
Zweieinhalb Stunden später ruft Ingomar Gatterer wieder Mariano Vettori an. Vettori hat inzwischen den AGCM-Bericht und die Vorhaltungen genauer studiert. „Diese Hurensöhne (figli di Troia) können eine Strafe bis zu 30 Prozent der Jahresproduktion erlassen“, echauffiert sich der SAD-Direktor, „das wären dann 5 Millionen Euro“.
Vor diesem Hintergrund müsse sich die SAD gut verteidigen. Ingomar Gatterer gibt die Anweisung, umgehend Maurizio Paniz mit dem Fall zu betrauen. Der renommierte Strafverteidiger aus Belluno war einer der Anwälte Silvio Berlusconis im sogenannten „Rubygate“.  Inzwischen poltert Vettori: „Das alles ist ein Geschenk dieses Eierkopfes, dieses Tiers, dieses Schweins von Burger“. („È un regalo di quel testa di cazzo, animale, maiale di Burger“). Gemeint ist damit der damalige Ressortdirektor im Mobilitätsassessorat Günther Burger.
Gleichzeitig stimmen die beiden Köpfe der SAD aber auch überein, dass man neben der strafrechtlichen Verteidigung auch auf der politischen Ebene versuchen soll, „den Fall AGCM zu lösen“. Ingomar Gatterer schlägt vor, mit dem Neolandesrat der Lega Giuliano Vettorato zu reden. Mariano Vettoris Antwort: „Eine gute Idee, ich gehe gleich 4 - 5 gute Flaschen Wein kaufen“.
 

Watschen aus Rom

 
Heute ist klar, dass weder die „4 - 5 gute Flaschen Wein“ für den Lega-Politiker, noch das kostspielige Engagement des Staranwaltes Maurizio Paniz viel gebracht haben.
Denn die erste Sektion des Verwaltungsgerichtes Latium hat mit Urteil 05801/2021 vom 28. April 2021 den Rekurs der SAD AG gegen die Millionenstrafe abgewiesen. Im Urteil wird der gesamte Fall noch einmal nachgezeichnet.
Am 25. Jänner 2018 statten Beamte der Finanzwache dem Unternehmenssitz der SAD AG einen überraschenden Besuch ab. Auf Anordnung der AGCM wird beim Südtiroler Nahverkehrsriesen eine Inspektion durchgeführt. 
Die Antitrust-Behörde verlangt die Aushändigung aller Unterlagen zur geplanten Ausschreibung des Südtiroler Personennahverkehrs. Der Grund: Zu diesem Zeitpunkt läuft vor der römischen Behörde ein Verfahren gegen die SAD AG.
Dass es überhaupt zu dieser Ermittlung der staatlichen Wettbewerbsbehörde kommt, daran tragen Ingomar Gatterer und die SAD AG selbst die Schuld. Denn der Ausgangspunkt ist eine typische Gatterer-Aktion.
 
 
Im Sommer und Herbst 2017 ersucht das Land die SAD AG, den zuständigen Ämtern verschiedene Dokumente und Informationen zur Verfügung zu stellen, die das Land für die Vorbereitung der für 2018 geplanten Europäischen Ausschreibung der Südtiroler Nahverkehrsdienste braucht. Trotz mehrmaliger Aufforderung und Nachfrage weigert sich die SAD aber, die Dokumente und Informationen zu liefern. „Es handelt sich um Betriebsgeheimnisse“, erklärt die Unternehmensführung dem Land lapidar.
Die Landesverwaltung erstattet daraufhin am 14. November 2017 Anzeige bei der AGCM wegen „Behinderung und mutwilliger Verschleppung einer öffentlichen Ausschreibung“. Weil die Vorhaltungen des Landes nicht unbegründet erscheinen, eröffnet die Antitrust-Behörde am 17. Jänner 2018 ein Verfahren gegen die SAD.
Das Land verlangt einen „provvedimento cautelare“ der AGCM, eine Art einstweilige Verfügung. Erst jetzt lenkt die SAD ein und liefert im März 2018 dem Land die gewünschten Informationen. Am 21. März 2018 stellt die AGCM deshalb das Eilverfahren um die einstweilige Verfügung ein.
Das Hauptverfahren vor der Kartellbehörde geht aber weiter. In ihrem Abschlussbericht geben die Ermittler der staatlichen Kartellbehörde der Südtiroler Landesverwaltung in allen Punkten Recht. Das Verhalten der SAD AG sei in mehreren Punkten widerrechtlich und wettbewerbsverzerrend gewesen.
Die Schlussfolgerungen im Bericht sind ein vernichtendes Zeugnis für Ingomar Gatterer & Co.
Die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Rechtfertigungen der SAD für dieses Verhalten absolut fadenscheinig und unhaltbar sind. Die Behörde geht von einer „bewussten Ver- und Behinderungsstrategie“ der SAD gegenüber der Landesverwaltung aus; Keine der Handlungen sei entschuldbar, und die SAD AG habe in mehreren Punkten ein eindeutig wettbewerbsverzerrendes Verhalten („condotta anticoncorrenziale“) an den Tag gelegt.
Deshalb kommen die staatlichen Wettbewerbshüter auch zu einem klaren Urteil und verhängt eine Geldstrafe von 1.147.275 Euro gegen die SAD AG.
 
 

„Ungesetzliches Verhalten“

 
Die SAD AG hat gegen diesen Strafbescheid vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Latium Rekurs einzulegen. Jetzt hat die erste Sektion des römischen Verwaltungsgerichts diesen Rekurs abgewiesen.
In einem 37 Seiten umfassenden Urteil gehen die Richter mit Gatterer & Co hart ins Gericht.
So heißt es im Urteil:
 
„Quindi correttamente è stato accertato l’abuso di posizione dominante in ragione dei comportamenti illeciti posti in essere da SAD nel mercato dell’accesso al trasporto extraurbano in ambito provinciale altoatesino, sostanziatisi in ingiustificate condotte dilatorie per ritardare l’accesso dei concorrenti che sarebbe seguito alla gara”.
 
Und weiter:
 
Nel caso di specie l’Autorità ha documentato con dovizia di evidenze che SAD, con la sua condotta ostruzionistica e dilatoria, ha di fatto ritardato l’accesso di potenziali concorrenti al mercato del trasporto extraurbano nell’ambito provinciale altoatesino.”
 
 
Laut Ingomar Gatterer wird die SAD AG gegen dieses Urteil vor dem Staatsrat Berufung einlegen. Auch das ist seit mindestens zweieinhalb Jahren auf dem grünen SAD-Tisch so geplant.
Denn in den abgehörten Telefongesprächen vom Januar 2019 versucht SAD-Generaldirektor Mariano Vettori, von Beruf Anwalt, seinen Chef Ingomar Gatterer zu beruhigen. Nur eine rechtskräftige Verurteilung durch die Kartellbehörde, könnte einen Ausschluss der SAD von den laufenden Ausschreibungen mit sich ziehen.
Dann gibt Vettori die Gangart vor. Man werde nach dem Verwaltungsgericht Latium auch noch vor den Staatsrat ziehen. „Das dauert dann über drei Jahre, bis die Verurteilung rechtskräftig wird“, war sich der SAD-Direktor schon damals sicher.
Mariano Vettori hat sich getäuscht. Allein die Urteilfindung vor dem Verwaltungsgericht dauerte fast zweieinhalb Jahre. Am Ende werden es also eher vier Jahre sein bis das Urteil gegen die SAD rechtskräftig wird.
Dann aber sollten die großen Ausschreibungen zum Südtiroler Nahverkehr bereits abgeschlossen sein. Und Mariano Vettori längst in Rente.
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pérvasion Di., 18.05.2021 - 12:58

»Deshalb kommen die staatlichen Wettbewerbshüter auch zu einem klaren Urteil und verhängt eine Geldstrafe von 1.1447.275 Euro gegen die SAD AG.«

Eine oder elf Millionen? Dieser Betrag steht gleich zweimal so im Artikel, dürfte sich aber um einen Fehler handeln!?

Di., 18.05.2021 - 12:58 Permalink
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alfred frei Di., 18.05.2021 - 14:45

Neue Ansatzvorschrift in den großen Ausschreibungen zum Südtiroler Nahverkehr: Scheißbullen, Hurensöhne, Eierköpfe und Schweine sowie nichteinwilligungsfähige Menschen können aus ethischer und rechtlicher Sicht nicht zugelassen werden.
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Di., 18.05.2021 - 14:45 Permalink