Politik | Ukraine-Krieg

Lafontaine manipulierte die Fakten

Oskar Lafontaine veröffentlichte einen Beitrag in der Weltwoche. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Doch sollten die Fakten mehr Beachtung finden.
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Foto: UkraineNow / Andriy Yakymenko

Oskar Lafontaine legte noch einen Text vor, nach Raketenangriffen der russischen Armee auf Odessa und Lemberg, nach dem Giftgasangriff auf Mariupol, der Okkupation von Cherson, der Tragödie von Butscha. Dieses Mal wählte er die Weltwoche, am 29. April erschien sein Beitrag, offenbar dünkte es Lafontaine doch strategisch günstiger, seinen Agitprop in der traditionell neutralen Schweiz zu platzieren. Lafontaine wählte als Titel: „Amerika treibt Europa in einen Atomkrieg„. Er befürchtet demnach, dass „Kanzler Olaf Scholz im Würgegriff der Hasardeure von Washington“ liege.

USA wollen keinen Atomkrieg

Der Titel von Lafontaines Text, soll Angst und Schrecken auslösen. Noch nicht einmal Sergej Karaganow möchte eine solche Behauptung verbreiten. Karaganow ist der einflussreiche Berater des Präsidenten Putin, ansonsten honorabler Professor für internationale Beziehungen an einer renommierten Universität in Moskau, die deutlich an amerikanischen Standards sich orientieren möchte. In dem exzentrisch wirkenden Interview, das in The New Statesman erschien, Anfang April, einer der interessantesten Beiträge zur aktuellen Krise in der Ukraine, erklärte Karaganow vielmehr:

„I also know from the history of American nuclear strategy that the US is unlikely to defend Europe with nuclear weapons“.
(The New Statesman, 2. 4. 2022).

Karaganow rechnet demnach nicht damit, dass die USA einen Atomkrieg in Europa betreiben wollen.

Hasardeure in Moskau

Tatsächlich kann Lafontaine dem amerikanischen Präsidenten nicht vorwerfen, dass er mit dem Einsatz von Atomwaffen drohte. Es war deutlich die russische Führung, die die Karte mit der atomaren Vernichtung ausspielen wollte.

Schon Präsident Putin betonte am 24. Februar in seiner Rede, die den russischen Angriff auf die Ukraine begleitete: „Today’s Russia remains one of the most powerful nuclear states (…) In this context, there should be no doubt for anyone that any potential aggressor will face defeat and ominous consequences should it directly attack our country„.
(Address by the President of the Russian Federation, 24. 2. 2022, Original Transcript Kremlin, Moscow).

Sergej Karaganow wiederum wollte deutlich kokettierten mit diesem atomaren Potential:
„But against a nuclear country like Russia …I wonder?“, erklärte er im The New Statesmen.

Karaganow schloß damit jeden Widerstand gegen Russland aus, da es Nuklearwaffen besitzt. Ein solches Argument wurde bisher von westlichen Atommächten möglichst vermieden.

Karaganow und Putin ließen, bei der Rede über die Atomwaffen,  den Ton mitschwingen, dass die russische Führung machen könne, was sie wolle, in der Ukraine und in Europa, da im Hintergrund die Atombombe deutlich tickt. Es sind die Hasardeure in Russland, die eine solche Strategie vortrugen.

An die deutsche Grenze

Aufgrund der Aussagen der russischen Führung muss man bedenken,  dass nach dem Angriff auf die Ukraine, ein Krieg mit Polen folgen kann.

Professor Sergej Karaganow, mit seinen strategic studies, bedenkt diese Möglichkeit durchaus: „Maybe the Poles would fight; they are always willing„(Sergej Karaganow, Interview in The New Statesman, 2. 4. 2022).

Putin sprach diesbezüglich in seiner Rede gleich eine deutliche Warnung aus:
„No matter who tries to stand in our way or all the more so create threats for our country and our people, they must know that Russia will respond immediately, and the consequences will be such as you have never seen in your entire history„.
(Address by the President of the Russian Federation, 24. 2. 2022, Original Transcript Kremlin, Moscow).

Damit droht der russische Präsident Putin seinen Feinden mit einem Krieg, wie sie ihn noch nie in der Geschichte ihres Landes erlebten. Dieser Hinweis dürfte insbesondere an die Adresse der Polen gerichtet sein, ja wahrscheinlich sogar ausschließlich die Polen betreffen.

Das bedeutet, dass die Russen immer gewillt wären, „always willing“, durch Polen zu marschieren, bis an die Grenzen der ehemaligen DDR.

Neutralität als Lösung betonen

Die Neutralität der Ukraine kann berechtigterweise als eine sinnvolle Lösung dieses Konfliktes betrachtet werden. Österreich wählte einen solchen Weg, der Verpflichtung zur „immerwährenden Neutralität“. Diese wurde von Russland akzeptiert, die russischen Truppen zogen 1955 aus Österreich ab. Die aktuelle Lage in der Ukraine kann diesbezüglich durchaus mit dem historischen Österreich verglichen werden.

Wenn Lafontaine ehrlich eine solche Entwicklung für die Ukraine vorschlagen wollte, so hätte er doch einen vollen Beitrag darüber verfassen sollen, mit Argumenten für die Neutralität der Ukraine. Auch mit einer deutlichen Überschrift: „Neutralität statt Krieg“.

Lafontaine zog es vor, Fakten zu verdrehen, um Russland nochmals einen Vorsprung zu verschaffen, gegen die USA, in dem ideologischen Kampf, der offenbar eine neue  Weltordnung mit der Renaissance eines sowjetischen Großreiches schaffen soll.

Propaganda statt Fakten

Die ukrainische Tragödie möchte Lafontaine nicht erwähnen, die mit dem Begriff Holodomor bezeichnet wird, Mord durch Hunger. In den dreißiger Jahren, unter dem Machthaber Stalin, wurden die Ernten der blühenden Ukraine rücksichtslos abtransportiert. Millionen Ukrainer starben den Hungertod.

Lafontaine zieht es vor in seiner Einleitung kruse Ideen aufzuzählen, beispielsweise bringt er die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock, fraglos mit voller rhetorischer Absicht, in einen wirren Zusammenhang mit 500.000 Kindern im Irak, die durch die Sanktionen der USA den Tod fanden.

Es wäre angebracht, dass Lafontaine mehr über diese 500.000 toten Kinder im Irak berichtet, nämlich auf welche Weise sie starben, durch welche Sanktionen der USA ausgelöst? Auch die Zahlen sollten dabei exakt belegt werden, durchaus im Vergleich mit den Geburtsstatistiken des Irak.

Diese Statistiken lassen jedenfalls 500.000 tote Kinder im Irak nicht erkennen. 2002 lebten 24,931.922 Menschen im Irak, 2003, im Jahr als der zweite Golfkrieg begann, da hatte der Irak 25,644.503 Einwohner, und 2004 26,313.838.  Es gab stets steigende Bevölkerungszahlen, selbst im Jahr des Krieges. Im Jahr 2020 hatte der Irak, nach den Jahren der Schreckensherrschaft durch die USA, jedenfalls noch 40,222.503 Einwohner. Laut den World Development Indicators der World Bank.

Die Geburtsrate sank im Irak zwar leicht ab, wie es in zahlreichen Ländern die moderne Tendenz war, aber in der Zeit des Golfkrieges auch nicht deutlicher, als in den Jahren zuvor.

Manipulation als Grundlage

Lafontaine wirkt deutlich geprägt von der Maxime, die einst von Hans Magnus Enzensberger ausgegeben wurde, in seinem „Baukasten zu einer Theorie der Medien“, erstmals veröffentlicht im März 1970 im Kursbuch:
Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert„.

Es gibt wohl kaum einen Satz, der so ermutigend war, für linke Ideologen und ihre Medienmacher, gerne zitiert an den Universitäten, in der Medienwissenschaft, denn Enzensberger setzte sich mit seinen Thesen zur „Bewusstseins-Industrie“ in der akademischen Debatte durch. Fraglos auch in den Kreisen, in denen Lafontaine politisch sich bewegte.

Dieser Wille zur Manipulation ist auch im aktuellen Einsatz von Lafontaine deutlich erkennbar. Lafontaines Text ist schwer geprägt von ideologischen Verdrehungen und von den Manipulationen linker Ideologen, die er zu einem Meinungsgemenge anrührt.

Will Lafontaine Krieg?

Gerne stilisierte Lafontaine sich als ein Gegner der Kriege.  Aber wie steht er zu den sowjetischen Panzern, die 1968 in die Tschechoslowakei einrollten? Wie beurteilt Lafontaine die Wasserstoffbombe, die Nordkorea fordert? Verurteilt Lafontaine den chinesischen Einmarsch in Tibet, will er 1 Million Uiguren befreien, auf die in chinesischen Konzentrationslagern der Tod wartet?

Zur letzten Frage findet Lafontaine jedenfalls rasch eine Antwort im Werk von Hans Magnus Enzensberger, nämlich in seiner Bewusstseins-Industrie:

„Ihr Monopol kann sie erst errichten, wenn das der Theokratie gebrochen ist und mit ihr der Glaube an Offenbarung und Erleuchtung (…) Diese philosophische Voraussetzung ist, seit dem Erlöschen der tibetanischen Theokratie, überall auf der Welt gegeben.“
(Enzensberger, Bewusstseins-Industrie, S. 10f).

Das Monopol sowjetisch-kommunistischer Herrschaft erschien in jener Zeit greifbar nahe. Jetzt soll es nochmals verwirklicht werden.

Mut zur Stärke

Man muss Oskar Lafontaine die Frage stellen, weshalb die Europäische Union keine Supermacht sein darf, stärker als China, sogar mächtiger als die USA.  Der deutsche Kanzler braucht dann keinesfalls von „Hasardeuren“ sich würgen lassen, wo auch immer sie sind. Europa muss Russland nicht fürchten und den USA nicht gehorchen, dazu bedarf es allerdings einer gesellschaftlichen Übereinkunft: Mut zur eigenen Stärke.

Es erscheint von Lafontaine aber auch mehr als provokant, die ukrainische Regierung, als reine „Marionettenregierung der USA“ zu diffamieren, nur weil sie, dem Wunsch der ukrainischen Bevölkerung entsprechend, die Nähe zur Europäischen Union suchte.

Offenbar will Lafontaine mit einem solchen Vorwurf auch Julija Timoschenko treffen, die von ihm wohl kaum Unterstützung erhielt, in der Stunde ihrer politischen Verfolgung. Ihr Gegenspieler Wiktor Janukowytsch, der russische Interessen deutlich durchsetzen sollte, wurde von Lafontaine nicht problematisiert. Lafontaine zeigt sich damit als ein Teil der Kräfte, die  einen Beitritt der Ukraine zur EU gerne blockieren wollten, dem Wunsch der russischen Führung entsprechend, gegen den Willen der Ukrainer, der in der orangen Bewegung eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht wurde.

Agitprop in die Schweiz gebracht

Die Weltwoche kann diesen Beitrag von Lafontaine durchaus veröffentlichen, nämlich als ein Dokument für die Methoden der Manipulation linker Ideologen, die aktuell angewandt werden, auch in mehreren Medien. Aber die Weltwoche hätte nicht darauf verzichten dürfen, ergänzend einen erklärenden Kommentar zu bringen.

Mit der neutralen Haltung der Schweiz hat der Beitrag von Lafontaine nämlich nichts gemein, dieser ist vielmehr das genaue Gegenteil, hisst am Dach der Schweiz deutlich die russische Flagge.

Lafontaine hätte diesen Beitrag besser dem Magazin „Rubikon“ angeboten, wo solch reine Ideologie,  seit Jahren  so ausschließlich getrommelt wird, dass jeder ernsthafte Beitrag nur so wirken kann, als wäre er am falschen Platz. Rubikon wurde deshalb auch schon deutlich in die öffentliche Kritik genommen.

Link:
Ausführlicher Beitrag in Tabula Rasa - Magazin für Gesellschaft und Kultur:

Bemerkungen zu Oskar Lafontaines Text: „Amerika treibt Europa in einen Atomkrieg“

© Autor: Johannes Schütz, 2022