Chronik | Verbrechen

Therapie verweigert

Der Mord an Laura Perselli und Peter Neumair könnte die Folge einer krisenhaften Entwicklung gewesen sein. Personen aus dem Umfeld der Familie berichten.
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Foto: Anna Luther
Beim siebten Prozesstag zum mutmaßlichen Elternmord im Schwurgericht von Bozen rekonstruieren weitere Zeug:innen, dass sich der mutmaßliche Täter Benno Neumair trotz Aufenthalts in der Psychiatrie nicht helfen lassen wollte. Er soll seine Eltern Peter Neumair und Laura Perselli am 4. Januar 2021 erdrosselt haben. Der 31-Jährige hat bereits ein entsprechendes Geständnis abgelegt.
Patricia Avagna, eine enge und langjährige Freundin von Laura Perselli, hat die Kinder der Familie Neumair bei gemeinsamen Urlauben aufwachsen sehen. Die aus Rom angereiste Pensionistin ist am 17. Mai im Zeugenstand. Ihr hat sich Laura Perselli anvertraut, als Benno Neumair von Polizeikräften im Sommer 2020 in Neu-Ulm kurzzeitig in eine Psychiatrie gebracht wurde. Seine Ex-Freundin Nadine Reiter hatte die Polizei alarmiert, als er mit einem Küchenmesser in der Hand in ihrem Badezimmer gestanden war.
 
Ich habe nie Differenzen in der Wertschätzung und im Interesse gegenüber den beiden Kindern gespürt - Patricia Avagna
 

Die Perspektive der Mutter

 
„Laura erzählte, dass Benno einen schwierigen, arroganten Charakter hat. Sie war besorgt, weil er nicht viel aß und Anabolika zu sich nahm“, sagt Avagna. Die Diagnose der Psychiatrie lautete mögliche Persönlichkeitsstörung bzw. paranoide Schizophrenie. „Sie war über die Diagnose sehr schockiert und versteckte die Küchenmesser, als ihr Mann Benno von der Psychiatrie abholte. Laura hoffte, dass er sich helfen lässt und sie nahm Kontakt zu Psychiatern auf.“
Im Gerichtssaal werden zwei Sprachnachrichten von Laura Perselli an Patricia Avagna abgespielt: „Ich hoffe, dass er in einer therapeutischen Einrichtung Platz findet“, sagt die Mutter von Benno und Madé Neumair. Während ihre Stimme in der ersten Sprachnachricht erschöpft klingt und sie nur langsam spricht, ist ihre Stimme in der zweiten auch anklagend, sie redet schneller. „Er hat diese Bestie in sich. Ich hoffe, dass wir gute Therapeuten für ihn finden“, sagt sie.
„Ich habe nie Differenzen in der Wertschätzung und im Interesse gegenüber den beiden Kindern gespürt“, sagt Avagna über die Beziehung von Laura Perselli und Peter Neumair zu Sohn und Tochter. Laura Perselli sei eine liebevolle Mutter gewesen, die gerne von den Erfolgen ihrer Kinder erzählte. Gleichzeitig sagte Avagna letztes Jahr gegenüber der Polizei aus, dass Madé die Familie mit Stolz erfüllt hätte, während sie sehr besorgt um Benno gewesen wäre. „Manchmal war die Beziehung der Eltern zu Benno konfliktreich“, so Avagna vor Gericht. Streitpunkte waren etwa die Anabolika oder seine fehlende finanzielle Unabhängigkeit. Da die Mutter Benno sehr nahestand, wäre dies möglicherweise der Grund, warum er ihr die Schuld für sein gesamtes Unbehagen gab.
Zum letzten Mal in Kontakt war Patricia Avagna mit Laura Perselli am 2. Januar 2021. „Laura klang sehr froh, weil Benno Hilfe annehmen wollte.“
 
 

Der Therapieversuch

 
Einer der von Laura Perselli kontaktierten Psychiater ist Lorenzo Annecchini. Die Bozner Wohnung, in der er mit seiner Frau wohnt, gehörte zudem Laura Perselli und Peter Neumair. Bis zum Juli 2020 habe er beruflich nichts mit ihnen zu tun gehabt, sie seien als Vermieter freundlich und höflich gewesen. Nach dem Vorfall in Neu-Ulm wendete sich das Lehrerpaar an ihn, um Ratschläge einzuholen. „Sie hatten zuvor nie über Benno gesprochen. Nur über die Tochter, die, wie ich, Ärztin ist“, sagt Annecchini.
Der Zeuge habe einige Fragen gestellt und ihnen Auskunft darüber gegeben, an wen sie sich im Gesundheitswesen wenden konnten. Annecchini hat auch das erste und einzige Gespräch mit einer Therapeutin organisiert. Da die Eltern befürchteten, dass Benno nicht hingehen und sie anlügen würde, begleitete der Vater Peter ihn zu dem Termin und wartete während dem Gespräch draußen. Der für September vereinbarte Folgetermin wurde von Benno abgesagt.
Der Psychiater hatte die Eltern darauf hingewiesen, dass sie ihn als erwachsenen Mann nicht zur Therapie zwingen konnten. „Sie erzählten mir, dass er noch nicht bereit für eine Therapie sei, auch wenn er wüsste, dass er eine Therapie machen muss“, so Annecchini. Auch mit Madé habe er Kontakt gehabt. Sie habe ihn Ende Januar 2021 angerufen und von Schuldgefühlen gesprochen, sie habe dabei geweint.
 
Es ist schwierig in nur einer Nacht eine Diagnose zu erstellen - Roger Pycha
 
 

Diagnosefindung

 
Auch der Psychiater Roger Pycha von der Psychiatrie in Brixen wurde von den Eltern Bennos im Sommer 2020 kontaktiert. Da Pycha im Gespräch mit den Eltern die Diagnose der deutschen Psychiatrie in Neu-Ulm in Zweifel zog, wäre eine neue Diagnose notwendig gewesen. „Es ist schwierig in nur einer Nacht eine Diagnose zu erstellen“, sagt er vor dem Schwurgericht.
Das Lehrerpaar habe Pycha erzählt, dass ihr Sohn Benno bereits im Alter von fünf Jahren systematisch zu lügen begonnen habe – auch wenn die Lüge offensichtlich war. Im Gespräch mit den Eltern habe er gemerkt, dass sie nicht um sich selbst, sondern um die Zukunft von Benno besorgt waren. „Ab dem 27. Lebensjahr sollen seine Krisen evidenter geworden sein“, so Pycha.
Gegenüber den Medien sagt er, dass er Benno Neumair für den Mord an seinen Eltern für zurechnungsfähig halte. Aus seiner Perspektive deute sein Zustand auf eine Persönlichkeitsstörung hin, zu diesem Schluss kamen auch die Gutachten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Persönlich habe er den mutmaßlichen Täter aber nie getroffen.
 
Heute muss ich sagen, dass Benno Neumair keine geeignete Person für die Schule ist - Ingrid Pertoll Froner
 

Benno Neumair als Lehrer

 
Neben einem Polizeibeamten wurden am 17. Mai im Schwurgericht auch die Direktorin der Bozner Mittelschule „Josef von Aufschnaiter“ und eine Lehrerkollegin von Benno Neumair befragt. Ihre Schilderungen beweisen einmal mehr sein manipulatives Verhalten. „Beim Vorstellungsgespräch hat Benno Neumair auf mich einen exzellenten Eindruck gemacht. Er war selbstbewusst und sprach sehr gebildet“, erklärt die Direktorin Ingrid Pertoll Froner. Er unterrichtete im Schuljahr 2020/21 bis zum Verschwinden seiner Eltern als Supplent an dieser Schule Mathematik und Naturkunde. Im Februar 2021 wurde er suspendiert.
Vor seiner Suspendierung hatte Pertoll Froner bereits mehrere Gespräche mit ihm. Anlass dafür war ein Streit mit einem Lehrerkollegen im Schulhof und seine Verspätungen. „Er erzählte mir, dass er Schlafprobleme hat und ihm das Aufstehen schwerfällt.“ Im Dezember erhielt Pertoll Froner von Benno Neumair eine vertraulich zu behandelnde E-Mail.
Dort schrieb er, dass seine Freundin in Innsbruck Selbstmord begangen habe und er deshalb an diesem Tag nicht zum Unterricht erscheinen könne. Den Namen dieser Freundin hat die Direktorin nie erfahren. „Ich wollte menschlich sein und habe ihm freigegeben“, sagt sie vor Gericht.
 
 
„Sein Strafregisterauszug war unproblematisch“, sagt Ingrid Pertoll Froner. „Heute muss ich sagen, dass Benno Neumair keine geeignete Person für die Schule ist.“ Zudem spricht sie vor Gericht an, dass es für eine Schule neben dem Strafregisterauszug auch hilfreich wäre, über Aufenthalte in der Psychiatrie informiert zu werden. „Aber das ist andererseits auch ein privates und sensibles Thema“, so Pertoll Froner.
 
Er ging auf mich zu und fixierte mich mit den Augen, ich fühlte mich bedroht - Magdalena Gruber
 

Zusammenarbeit schwierig

 
Magdalena Gruber, Integrationslehrerin an der Mittelschule „Josef von Aufschneiter“, berichtet vor Gericht von einer schwierigen Zusammenarbeit mit Benno Neumair. Sie unterstützte ihn anfangs als Integrationslehrerin. Als sie während dem Unterricht seine Erklärung zu einer Mathematik-Aufgabe noch weiter ausführen wollte, habe er zunächst eingewilligt. Nachdem sie fertig war, wollte er selbst nicht mehr mit dem Unterricht fortfahren.
„Er ging auf mich zu und fixierte mich mit den Augen, ich fühlte mich bedroht“, sagt Gruber vor Gericht. Benno Neumair warf ihr vor, seinen Unterricht gestört zu haben und provozierte sie vor der Klasse. Um nicht zu streiten, entschuldigte sich Magdalena Gruber. Das habe aber wenig geholfen, denn nach dieser Unterrichtsstunde habe er sie noch weitere Male auf diese Situation angesprochen.
Außerdem hatte Benno Neumair öfters seine Aufsichtspflicht verletzt – eine passende Entschuldigung dafür hätte er immer gefunden. Allerdings meldete sie sein Verhalten nicht der Direktorin, weil sie einen jungen und unerfahrenen Kollegen nicht anschwärzen wollte.
Der nächste Prozesstermin findet am 31. Mai statt.