Politik | Affäre Gullotta

Zweite Allgemeine Verunsicherung

Die Landespolitik- und -verwaltung zeigen sich von den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft überrascht. Diego Nicolini fordert offen den Rücktritt.
Vincenzo Gullotta e Giuliano Vettorato
Foto: Asp
Ich habe von dieser Entwicklung aus den Medien erfahren“, sagt Giuliano Vettorato am Dienstag zu Salto.bz. Dann fügt der italienische Bildungslandesrat einen Satz hinzu, der alles und nichts sagt: „Ich habe aber vollstes Vertrauen in die Gerichtsbarkeit“.
Die Exklusivmeldung über den Abschluss der Vorermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft im Fall Gullotta hat überraschend eine alte Wunde wieder aufgerissen. Über ein Jahr lang haben die Ermittler dem Fall gewidmet und sie gehen davon aus, eindeutig beweisen zu können, dass der italienische Schulamtsleiter Vincenzo Gullotta unrechtmäßig beim Direktor einer Bozner Mittelschule interveniert habe, um zwei Noten im Zeugnis seines Sohnes anheben zu lassen.
 
 
Der ermittelnde Staatsanwalt Andrea Sacchetti hat inzwischen den Betroffenen die Benachrichtigung über den Abschluss der Vorermittlungen zugestellt. Dem Südtiroler Hauptschulamtsleiter (sovrintendente) Vincenzo Gullotta, dem Direktor der Bozner Mittelschule „Ugo Foscolo“, Franco Lever und dem Lehrer Francesco Migliaccio werden Falschbeurkundung im Amt (Art 479 StGB - Falsità ideologica commessa dal pubblico ufficiale in atti pubblici) und Anstiftung zur Vorteilsannahme (Art 319 quater StGB - Induzione indebita a dare o promettere utilità) angelastet.
Die Beschuldigten haben jetzt 30 Tage Zeit sich zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft zu äußern. Da die Beweislage aber eindeutig ist, dürfte die Staatsanwaltschaft noch vor Sommerbeginn die Anklagerhebung vorbereitet. Spätestens im Herbst wird der Vorverhandlungsrichter dann entscheiden, ob es zum Hauptverfahren kommt oder der Fall archiviert wird.
 

Kompatschers Zuständigkeit

 
Eine direkte Folge dieser Entwicklung ist aber eine plötzlich eintretende allgemeinen Verwunderung in der Landespolitik- und -verwaltung. Man schiebt die heiße Kartoffel von einer Hand in die andere. „Der Fall ist von einer Kommission der Landesverwaltung untersucht worden“, sagt der zuständige Landesrat Giuliano Vettorato., „und diese ist zum Schluss gekommen, dass es keine Verfehlungen gegeben habe."
Auch der Anwalt von Vincenzo Gullotta tut jetzt so, als fallen er und sein Mandant aus allen Wolken. „Durch die verwaltungsinterne Untersuchung wurde die gesamte Angelegenheit bereits geklärt“, erklärt Anwalt Giancarlo Massari dem Alto Adige, es wundert mich deshalb, dass eine Strafermittlung durchgeführt wird“.
Bei der interne Untersuchung der Landesverwaltung im Fall Gullotta ging es dabei um mögliche disziplinarrechtliche Verfehlungen. Zuständig für die Führungskräfte ist eigentlich der Generaldirektor der Landesverwaltung Alexander Steiner.
Mit einer Ausnahme: Für mögliche Verstöße des Generalsekretär der Landesregierung, des Generaldirektors des Landes, der Ressortdirektoren und der drei Bildungsdirektoren ist allein der Landeshauptmann bzw. die Landesregierung zuständig.
 
 
Deshalb ist die Untersuchung im Fall Gullotta auch direkt von Arno Kompatscher ausgegangen. „Das Verfahren wurde natürlich über unsere Strukturen abgewickelt und ich wurde über den Ausgang informiert“, sagt Alexander Steiner. Konkret wurden im Juni/Juli 2020 alle Beteiligten angehört bzw. sie mussten schriftliche Stellungnahmen abliefern. Am Ende verkündete dann der Landeshauptmann persönlich das Ergebnis: Es wurden keinerlei disziplinarrechtliche Verstöße festgestellt.
Natürlich sind unsere Möglichkeiten begrenzt“, gibt Alexander Steiner offen zu. Die Landesverwaltung kann Dokumente überprüfen und die Aussagen der Betroffen einholen. Sind sie stimmig, wird es schwer das Gegenteil zu behaupten.
So war es auch im diesem Fall. Mehrere Beteiligte - allen voran der italienische Hauptschulamtsleiter - haben die Dinge in ihren Stellungnahmen deutlich anders dargestellt, als sie in Wirklichkeit abgelaufen sind.
 
 
Die Staatsanwaltschaft hat bereits vor Monaten den gesamten Akt im Land beschlagnahmt. In einen möglichen Verfahren wird deshalb auch zu klären sein, ob sich die öffentlichen Beamten hier der Falschaussage schuldig gemacht haben.
Generaldirektor Alexander Steiner lässt jetzt aber keinen Zweifel offen: „Sollte es zur Anklageerhebung kommen, werden wir die Geschichte auf jeden Fall neu aufrollen“.
 

Die Rücktrittsforderung

 
Diego Nicolini hat bereits vor zwei Jahren als der Fall bekannt wurde, den Rücktritt von Vincenzo Gullotta gefordert. Jetzt erneuert der 5-Sterne-Landtagsabgeordnete diese Forderung.
 
 
Al di là del procedimento penale in corso, i contorni della vicenda erano già di per sé imbarazzanti. Adesso l’intervento della Procura rivela anche come le verifiche interne dell’amministrazione provinciale siano state approssimative e conniventi“, schreibt Nicolini in einer Aussendung.
Der Landtagsabgeordnete geht dabei auch auf die Zivilklage ein, die Vincenzo Gullotta am Bozner Landesgericht gegen den Corriere dell´ Alto Adige angestrengt hat.
Diego Nicolini:
 
“Già avevo trovato maldestra e diseducativa, oltre che scorretta, l’intromissione di un genitore in un consiglio di classe, tanto peggio se si tratta del Sovrintendente scolastico. Ma questo modo di agire, intimidatorio nei confronti dei giornalisti ed altri appartenenti del mondo della scuola, compromette irrimediabilmente la figura professionale del Sovrintendente Gullotta.”

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob man auch das Dienstzeugnis von Vincenzo Gullotta korrigieren muss. Aber diesmal deutlich nach unten.
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Josef Fulterer Do., 19.05.2022 - 05:43

"Vollstes Vertrauen in die Gerichtsbarkeit?"
Das ist eine Ilussion, wenn die Richter von politischen Parteien in ihrem Amt eingesetzt werden!
Wessen Bort man isst, dessen Lied zu singen, wird man schon aus reiner Dankbarkeit bemühen / aber auch müssen!

Do., 19.05.2022 - 05:43 Permalink
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Manfred Klotz Do., 19.05.2022 - 07:12

Antwort auf von Josef Fulterer

Sie verwechseln die Bestellung der Richter mit dem System in den USA. In der italienischen Verfassung ist die Judikative ein unabhängiges Organ. Um Richter zu werden muss man verschiedene Voraussetzungen erfüllen, an einem Wettbewerb teilnehmen und ihn gewinnen.

Do., 19.05.2022 - 07:12 Permalink