Politik | GRENZÄNDERUNGEN

Helmut Kohl und Südtirol

Warum Helmut Kohl auch für Südtirol wichtig ist.
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Foto: Die Welt

Helmut Kohl ist gestorben. 16 Jahre war er Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Ich durfte von 1980 bis 1989 in Deutschland leben und lernen, habe ihn erlebt und habe bei seiner Wahl gefeiert! Bei seiner Abwahl aber auch. Sein System war korrupt geworden, zu lange an der Macht, Männerfreundschaften, Sie verstehen schon.

Als Südtiroler sehe ich bei Kanzler Kohl aber noch eine andere Leistung: Kohl hat die beiden Deutschlands wieder vereint. Das war nicht selbstverständlich, denn Linke im Westen und die DDR-Führung sowieso, bezeichneten alle Vereinigungswünsche immer als revisionistisch. Als Linker durfte man dieses Thema nicht ansprechen. Und doch haben sich die DDR-BürgerInnen auf den Weg gemacht und sind ab 1988 heimlich und dann immer weniger heimlich über Ungarn in den Westen geflohen. Es galt das Motto: „Erich mach das Licht aus, Du bist der Letzte“. Und dann ist die größte Grenzänderung in Europa der Nachkriegsjahre gut und vor allem friedlich über die Bühne gegangen!

Warum schreibe ich das als Südtiroler? Weil auch hier Menschen über Grenzänderungen nachdenken und von anderen dafür als Revisionisten bezeichnet werden. Grenzänderungen gelten für manche als Tabu, da herrscht Denkverbot. Als wäre die DDR-BRD-Vereinigung das einzige Beispiel gewesen! Auch die Tschechei und die Slowakei haben sich ganz emotionslos und trocken getrennt, ein kleiner Staatsakt von oben – fertig war die Trennung. Und dann die Teilstaaten von Yugoslawien: Auch sie haben sich vom imperialistischen Serbien getrennt, wenn auch mit einem zum Teil unmenschlich hohen Preis.

Und heute haben wir Montenegro und Kosovo erlebt, alles Grenzänderungen, weil die Menschen es so wollten.

Aber wer in Südtirol das Wort Sezession in den Mund nimmt, ist ein Rechter, ein Revisionist, ein Zündler und was alles für Bezeichnungen existieren. Aber würden all jene, die Grenzänderungen tabuisieren, den Staaten, die sie gemacht haben, dieses Recht absprechen wollen?

Wir haben gerade die 25 Jahre der Streitbeilegungserklärung zwischen Österreich und Italien gefeiert. Die Autonomie als Erfolgsmodell. Und doch hat jede Sprachgruppe in Südtirol weiterhin ihren ethnospezifischen „disagio“. Auch 70 Jahre der besten Autonomie der Welt (Zitat SVP) haben nicht zu einer Annäherung der Volksgruppen geführt, sondern eher zu ihrer Entfremdung. Alles öffentliche Leben läuft getrennt ab: Schulen, Theater, Altersheime etc. Die Sprachkenntnisse der jeweils anderen Sprache nehmen ab, nicht zu! Ich nenne das seit einigen Jahren eine „friedliche Apartheid“.

Und dann gibt es den Konvent, der jetzt zu Ende geht: ein gesellschaftspolitisches Experiment, mit dem man das Autonomiestatut verbessern und anpassen wollte. Aber nun steht dort das Wort „Selbstbestimmung“ drin, und schon gilt der gesamte Konvent als gescheitert! Schon erstaunlich dafür, dass im Konvent 150 Menschen aller Sprachgruppen eineinhalb Jahre guten Willens miteinander gearbeitet haben und jeder seine Meinung einbringen konnte. 

Dabei wäre m.E. die Loslösung Südtirols von Italien und die Bildung eines eigenständigen Staates eine große Chance für alle Volksgruppen! Endlich könnte man sich einen Staat so gestalten, dass darin alle Volksgruppen dieselben Rechte haben und nicht eine Gruppe dauernd nach Rom pilgern muss, um wieder um Kommas zu fechten und die andere Gruppe inzwischen Angst hat, dass Mama Roma nicht mehr schützend die Hand über sie hält. Einfach einen Staat gründen, dessen Regeln man sich selbst gibt.

Es geht um nichts weniger, als die Erfahrung des Konvents zu nutzen, und eine wirkliche Konstituente zu bilden, die den Auftrag hat, eine für den Staat Südtirol angebrachte Verfassung auszuarbeiten. Eine Verfassung, wo als Erstes die Rechte des Individuums groß geschrieben werden und dann ein System installiert wird, wo die Bedenken über ethnisch motivierte Mehrheitsentscheidungen ausgeräumt werden können.

Vielleicht ein bissl utopisch, aber die jetzige Kultur der „disagi“ ist ja auch nicht gerade modellgebend.

So bleibt mir der gute Helmut Kohl in Erinnerung, als der Kanzler, der die größte und gravierendste Grenzänderung im Nachkriegseuropa durchgeführt hat.

Und keiner nimmts ihm übel. Anzi!