Gesellschaft | Salto Gespräch

Magische Momente

Christian Schölzhorn über die Initiative „Wipptal, der kleine Bezirk mit dem großen Herzen“, die mit ihren Aktionen für magische Momente sorgt.
Christian Schölzhorn.jpeg
Foto: Martin Schaller
Vor Kurzem hat am Bahnhof von Pfitsch/Sterzing eine Sensibilisierungskampagne stattgefunden, die auf die vollkommen unzureichende und unbefriedigende Barrierefreiheit auf den Wipptaler Bahnhöfen aufmerksam machen sollte. Lanciert wurde die Aktion von der Initiative „Wipptal, der kleine Bezirk mit dem großen Herzen“, ihrem Initiator Christian Schölzhorn sowie der Steuerungsgruppe.
 
Salto.bz: Herr Schölzhorn, an einem Werktag ist es Ihnen gelungen, eine für das Wipptal verhältnismäßig große Menschenmenge am Bahnhof Pfitsch/Sterzing zu versammeln.
 
Christian Schölzhorn: Es war ein unglaublich schönes Gefühl, dabei zu sein – ein wirklich toller Moment. Wir von der Steuerungsgruppe und alle eingebundenen Institutionen waren selbst überrascht über den großen Erfolg. Zum ersten Mal haben wir es geschafft, so viele verschiedene Institutionen und Vereine in unser Anliegen miteinzubeziehen. Wir haben auch Vertreter der Landespolitik wie Waltraud Deeg, Daniel Alfreider und Joachim Dejaco eingeladen, die Bürgermeister des Wipptales sind beinahe vollzählig erschienen sowie Vertreter der verschiedenen Parteien. Der große Wermutstropfen war, dass keine Fernsehanstalten anwesend waren.
 
 
 
Wie lautet die Botschaft dieser Aktion?
 
Wir wollen die Gesellschaft und die Politik dahingehend sensibilisieren, dass alle Wipptaler Bahnhöfe, Pfitsch/Sterzing, Freienfeld und Brenner, barrierefrei gestaltet werden müssen. Die Bahnsteige am Bahnhof von Pfitsch/Sterzing sind nur über eine schmale Unterführung erreichbar, Personen mit einer körperlichen Beeinträchtigung wie etwa Rollstuhlfahrer oder gebrechliche Senioren sowie Frauen mit Kinderwagen können ohne fremde Hilfe nicht zu den Zügen gelangen, geschweige denn einsteigen. Am Bahnhof Freienfeld wiederum gibt es zwar einen Aufzug, dieser funktioniert aber nicht und auch am Brenner ist es um die Barrierefreiheit schlecht bestellt. Kurzum: Für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist diese Situation äußerst unbefriedigend.
 
Wie ist es Ihnen gelungen, alle in ein Boot zu holen?
 
Mit der Planung haben wir bereits im Jänner 2022 begonnen. Gerechnet haben wir mit 30 bis 40 Teilnehmern, gekommen sind schließlich rund 80. Wir lagen goldrichtig damit, auf eine Sensibilisierungskampagne zu setzen und nicht auf eine Protestaktion. Stimmen von außen haben zwar nach einer Protestaktion gerufen, weil es ihnen mit der barrierefreien Umgestaltung viel zu langsam geht, nichtsdestotrotz haben wir von der Steuerungsgruppe unsere Linie durchgezogen. Wir wollten, dass unsere Botschaft „gemeinsam, geschlossen und stark“ im Zentrum steht und schließlich ging es uns darum, die Öffentlichkeit für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren. Es gibt natürlich noch hunderte weitere Themen, die den Wipptalern unter den Nägeln brennen wie beispielsweise bessere Zugverbindungen nach Innsbruck.
 
Wir wollten, dass unsere Botschaft „gemeinsam, geschlossen und stark“ im Zentrum steht.
 
Ihre Initiative ist der komplette Gegenentwurf zu einer modernen Protestbewegung.
 
Unser Ziel ist es nicht, gegen irgend etwas zu protestieren, sondern wir wollen einen Beitrag leisten für die Gesellschaft. Wir übernehmen Verantwortung, für uns selber und für den nächsten. Das ist  auch der Anspruch an uns selbst. Wenn wir es schaffen, dass wir zu selbstbewussten Wipptalern werden, dann spielt es auch keine Rolle, dass wir nur 20.000 Leute sind. Gemeinsam können wir viel mehr erreichen.
 
Bei der Aktion haben auch viele Kinder mitgemacht.
 
Wir möchten, dass die Wipptaler mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen und auch für den Nächsten. Das gilt nicht nur für uns Erwachsene, sondern wir möchten bei den Kindern anfangen und ihr Selbstvertrauen stärken. Deshalb haben wir bewusst diese Altersgruppe in unsere Aktion miteingebunden. Zwar wurden wir darauf angesprochen, warum wir Kinder für unsere Aktion missbrauchen, das mag aber jeder bewerten, wie er meint. Für die Steuerungsgruppe und all jene, die daran mitgearbeitet haben, ist diese Vorgehensweise jedoch schlüssig gewesen, weil wir das Gesamtkonzeptes immer vor Augen hatten und haben. Ursprünglich wäre sogar geplant gewesen, dass die Schüler mit den Bewohnern und betreuten Personen des Sozialzentrums Fugger die Plakate für die Sensibilisierungskampagne gemeinsam gestalten. Leider ist sich das zeitlich nicht mehr ausgegangen. Nichtsdestotrotz wollen wir diese Idee auch für zukünftige Aktionen aufgreifen.
 
 
 
 
Wie war das Feedback?
 
Im Anschluss an die Aktion haben wir sehr positive Rückmeldungen erhalten. Alle sind stolz darauf, dass im Wipptal so eine Aktion auf die Beine gestellt werden konnte. Viele Teilnehmer und Helfer sind übrigens auch aus der Gemeinde Ratschings gekommen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir gemeinsam geschlossen und stark viel erreichen können, auch wenn wir nur ein Bezirk mit 20.000 Einwohnern sind.
 
Waren Sie überrascht über den großen Erfolg?
 
Mit diesem starken Andrang hatten wir nicht gerechnet, auch weil wir im Vorfeld darüber diskutiert haben, ob es wirklich sinnvoll ist, an einem Montagvormittag so eine Veranstaltung zu organisieren. Am Ende hatten wir aber zuwenig Anstecker und Luftballone – schade, denn natürlich wollte jedes Kind einen Lufballon haben. Das sind aber Kleinigkeiten. Wir haben wieder welche nachbestellt und das passiert uns in Zukunft sicher nicht mehr.
 
Möchten Sie die Botschaft des kleinen Bezirkes auch in die anderen Landesteile tragen?

Natürlich wäre es schön, wenn wir eine gewisse Strahlkraft nach außen erlangen könnten. Der Tourismus-Experte Harald Pechlaner, Professor an der EURAC, bestätigte uns, dass unsere Idee Potential hat. Pechlaner übrigens hat unser Projekt, das in der Folge von Christian Theiner, ebenfalls von der EURAC, unterstützt wurde, in die richtige Richtung gelenkt. Auch eine Zusammenarbeit mit dem nördlichen Wipptal wurde angeregt. Erste Gespräche haben bereits stattgefunden. Über Vermittlung der EURAC durften wir unser Projekt sogar an der Universität in Berlin vorstellen.
 
Über Vermittlung der EURAC durften wir unser Projekt sogar an der Universität in Berlin vorstellen.
 
Wie ist Ihr Projekt „Wipptal, der kleine Bezirk mit dem großen Herzen“ entstanden?
 
Angefangen hat alles vor rund dreieinhalb Jahren. Ich habe zu dieser Zeit ein starkes Bedürfnis verspürt, etwas Sinnvolles aufzubauen. Meine Tätigkeit als Betreuer für Kinder mit besonderen Bedürfnissen war schließlich die Initialzündung. Jedes Mal, wenn wir eine Zugfahrt unternehmen mussten, habe ich mich über die Zustände am Bahnhof Pfitsch/Sterzing geärgert und darüber, wie mühsam sich so eine Zugfahrt für manche Menschen gestalten kann. Ich wollte, dass sich etwas ändert. Rund ein halbes Jahr habe ich gebraucht, um ein Konzept auszuarbeiten, von dem ich überzeugt war. Dank Karl Polig, dem ehemaligen Präsidenten der Bezirksgemeinschaft Wipptal, durfte ich mein Projekt bei der Bürgermeisterkonferenz vorstellen. Deren einhellige Meinung war: „Super Idee, mach! Aber Geld haben wir keines.“
 
Ein herber Rückschlag?
 
Ich habe nicht aufgegeben und mir eine Alternative überlegt. Josef Turin, langjähriger Geschäftsführer des Tourismusvereins Sterzing, hat mir den Kontakt zu Professor Harald Pechlaner vermittelt. Bei unserem ersten Gespräch konnte ich den Tourismusexperten von der Idee überzeugen, vom Konzept war er allerdings nicht begeistert und so machte ich mich erneut an die Arbeit. Während dieser Zeit hat sich auch der harte Kern der Steuerungsgruppe gebildet und inzwischen hat jeder sein festes Kompetenzgebiet.
Mit der überarbeiteten Version des Konzeptes war Pechlaner dann zufrieden, womit wir auch die Unterstützung der EURAC bekamen. Christian Theiner wirkte hochmotiviert an der Umsetzung der Idee mit und in der Folge haben uns dann auch die Gemeinden finanziell unterstützt. So ist daraus eine Erfolgsgeschichte geworden, die bis heute andauert. Inzwischen werden wir auch von interessierten Personen außerhalb des Bezirkes kontaktiert, die mehr über unsere Initiative wissen möchten.
 
 
 
Wer ist in der Steuerungsgruppe dabei?
 
Im Kern der Steuerungsgruppe sind neben mir der ehemalige und langjährige Geschäftsführer des Tourismusvereins Sterzing Josef Turin sowie Carmen Turin, Direktorin des GRW Wipptal vertreten, weiters Florian Mair, Direktor der Tourismusgenossenschaft Sterzing – Pfitsch – Freienfeld, Fritz Karl Messner, ehemaliger Bürgermeister von Sterzing, und der bekannte Hotelier Helmut Messner. In der erweiterten Kommunikationsgruppe sind mittlerweile 25 weitere Personen mit dabei, die uns vor allem dabei unterstützen, die Botschaft der Initiative nach außen zu tragen und andere dazu zu animieren mitzumachen.
 
Welche Aktionen wurden bereits gestartet?
 
Einige tolle und magische Momente hatten wir bei der bezirksweiten Aktion am 3 Dezember 2020, anlässlich des Tages der Menschen mit Beeinträchtigung, wo jede Gemeinde ein Zeichen gesetzt hat. Am Zwölferturm in Sterzing wurde für alle sichtbar ein großes Plakat mit unserem Logo angebracht. Im darauffolgenden Sommer haben wir mehrere Aktionen gestartet, unter anderem hat der Bergrettungsdienst Sterzing für Menschen mit einer Beeinträchtigung einen „Sonnenaufgang“ auf dem Roßkopf organisiert. Ein tolles Erlebnis für alle, die sicher nicht gedacht hätten, dass sie jemals in ihrem Leben die Aussicht vom „Köpfl“ genießen können.
 
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass derjenige, der zu sich selbst vertrauen hat, auch Verantwortung für seinen Nächsten übernehmen kann.
 
Auch am Blaulichttag, wo Weißes Kreuz, Freiwillige Feuerwehr Sterzing, Bergrettung, Finanzwache, Stadtpolizei und viele mehr ihre Fahrzeuge bestaunen ließen, durften wir viele spezielle und tolle Momente erleben. Wenn wir nur einem Menschen helfen oder ihm eine schöne Zeit bereiten können, dann haben wir unser Ziel bereits erreicht. Es gibt viele Menschen, die in ihrem Leben eine dunkle Phase durchleben. Wenn es uns gelingt, das Selbstvertrauen der Menschen zu stärken, dann schaffen wir es vielleicht auch, von den hohen Suizidraten wegzukommen, vom Alkoholismus und vom Drogenmissbrauch. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass derjenige, der zu sich selbst vertrauen hat, auch Verantwortung für seinen Nächsten übernehmen kann.