Umwelt | Salto Gespräch

"Ein zweischneidiges Schwert"

Seit Juli greift das Einweg-Plastikverbot der Europäischen Union. Markus Forcher ist Unternehmer, sein Produkt: Strohhalme. Ein Gespräch über nachhaltigen Wandel.
Alpiplast
Foto: Alpiplast

Markus Forcher ist Firmenchef der Firma Alpiplast, die Strohhalme verschiedenster Art für industrielle und gastronomische Betriebe herstellt. Das Einweg-Plastikverbot der EU, das unter anderem Trinkhalme aber auch Plastikgeschirr, Wattestäbchen oder oder To-go-Getränkebecher aus Plastik verbietet, hat einen einschneidenden Effekt auf sein Unternehmen: Die Produktion von Plastikstrohhalmen für die EU, die vor dem Verbot den größten Umsatz des Unternehmens darstellte, muss eingestellt werden. Im Gespräch erklärt Forcher, wie sein Unternehmen sich dem Wandel anpassen will, welche Alternativen es gibt und warum der von der EU angestrebte Wandel zwar funktioniert aber nicht unbedingt nachhaltig ist.

 

Salto.bz: Laut Informationen der Unternehmenswebseite produziert Alpiplast täglich etwa 1000 km Plastikstrohhalme. Seit Juli ist die Produktion von Plastikstrohalmen in der EU verboten. Haben Sie Ihre Produktion eingestellt?

Markus Forcher: Nein, wir haben auch Kunden außerhalb der EU, die das Plastikverbot nicht betrifft. Wir liefern zum Beispiel nach Nordafrika und auch in einige asiatische Länder im Nahen Osten. Hier greift das Plastikverbot nicht. Was die europäische Produktion betrifft haben wir vielfach auf biologisch abbaubare Materialien umgestellt. Dafür können wir zum Glück die gleichen Maschinen verwenden wie für die Plastikproduktion. In dem Sinn war die Umstellung, die wir in den letzten Jahren Schritt für Schritt vorangetrieben haben, nicht allzu schwierig.

Das Plastikverbot betrifft also nur die Produktion von Plastik in- und für EU-Staaten?

Verboten ist das In-Verkehr-Bringen innerhalb der EU. Ich darf Plastikprodukte weiterhin produzieren, sie aber nicht in einem EU-Staat verkaufen. Zum Beispiel: McDonalds Schweiz kauft weiterhin Plastikstrohhalme bei uns ein. McDonalds Italien ist hingegen im Dezember 2019 aus unserem Abkommen ausgestiegen.

Konnte McDonalds auf Lieferanten von außerhalb der EU umsteigen? 

Nein, auch der Import von Plastikhalmen ist verboten. McDonalds ist also auf Papierhalme umgestiegen und gibt diese nur mehr auf explizite Nachfrage vonseiten der Kunden aus. So können sie einen Kostenanstieg vermeiden.

Alpiplast selbst ist schon seit einigen Jahren dabei, auf Bio-Strohhalme umzusteigen. Was ist das, ein Bio-Strohhalm?

Wir führen verschiedene Produktlinien. Unsere Hauptlinie wird aus Kartoffelstärke und Zuckerrüben hergestellt. Das heißt: Aus einem stärkehaltigen Naturprodukt wird PLA gewonnen, aus dem die Halme dann hergestellt werden. Der Großteil unserer italienischen Kunden bezieht dieses Produkt. Für PLA-Produkte ist aber ein kleiner Anteil an Schmierstoff nötig. Unser Rohstoffhersteller verwendet dafür ein pflanzliches Öl, viele Hersteller gebrauchen aber Erdöl und bringen so wiederum Mikroplastikpartikel in den Umlauf. Deshalb wurden PLA-Produkte in einigen europäischen Staaten verboten.

 

Haben wir genug Wald, Kartoffeln, Zuckerrüben, um das alles herzustellen?

 

Was genau ist das Problem bei PLA-Produkten?

Hersteller und Verkäufer von Plastikstrohhalmen müssen die Kompostierbarkeit ihrer Produkte bezeugen. Es gibt hier zwei Kategorien: “Compost home” und “Compost industrial”. PLA ist meist nur “Compost industrial” zertifiziert, das heißt, dass für die Kompostierung der Produkte bestimmte industrielle Bedingungen nötig sind.

Gibt es Alternativen zu diesen Produkten?

Ja, die gibt es. Wir führen beispielsweise ein Produkt, das auf Lignin-Basis hergestellt wird. Lignin ist ein Abfallprodukt der Papierherstellung, also jener Teil des Holzes, der das Papier gelblich färbt und deshalb entnommen wird. Aus diesem Abfallprodukt wird ein Material hergestellt, das wir für unsere Trinkhalme verwenden können. In jenen Staaten, in denen PLA-Produkte verboten wurden, ist Lignin eine ideale Alternative.

Wie viel Prozent Ihrer Produktion werden aus Lignin hergestellt? 

Das ist leider eine Preisfrage. Lignin ist beinahe doppelt so teuer wie normales Bio-Material. Deshalb ist der Prozentsatz sehr gering. In Frankreich und in den Beneluxstaaten, wo keine PLA-Produkte akzeptiert werden, konnten wir einige Kunden dazugewinnen. Aber vor allem dort, wo PLA-Produkte erlaubt bleiben, ist der Preis für Lignin-Produkte einfach zu hoch. Wir haben vor Kurzem auch eine Produktreihe auf Kaffeebasis und eine aus Bambusmehl eingeführt. Hier stehen wir aber erst ganz am Anfang.

Zurück zum Plastikverbot der EU: Es wurde 2018 angekündigt, 2020 Corona-bedingt verschoben und 2021 dann endlich umgesetzt. Wie einschneidend war die Umsetzung dieser Regelung für Ihr Unternehmen? 

In der Gastronomie beobachten wir schon seit einigen Jahren einen Wandel. Hier sind bereits 2019 die Hälfte unserer Gastro-Kunden auf Bio-Artikel umgestiegen. Weil es hier meist um geringe Mengen geht, ist das für die Gastronomie auch nicht so schwer. Im industriellen Bereich – der bis zum Verbot unseren Hauptzweig dargestellt hat – ist das anders; eine Preissteigerung ist hier gravierender. Deshalb hat die Industrie auch so lange wie möglich an den Plastikhalmen festgehalten. Mit Januar 2021 sind dann viele unserer ausländischen Kunden abgesprungen, andere haben bis Juni Hamstereinkäufe gemacht. Der Einschnitt der EU-Regelung war in diesem Bereich also deutlich; wir arbeiten seit dem 1. Juli eigentlich nur mehr für die Gastronomie, die bis dahin ein Nischenzweig war.

 

Warum steigt die Industrie nicht auf die Bio-Linie um?

Viele sind auf Papierhalme umgestiegen, weil diese in allen EU-Staaten akzeptiert werden. Für Bio-Halme gibt es hingegen keine einheitliche Regelung in Europa. Vor allem für große Betriebe, die in ganz Europa exportieren, lohnt es sich also, die gesamte Produktion auf Papierhalme auszurichten. Mit unseren Maschinen können wir noch keine Papierstrohhalme produzieren. Wir sind aber dabei, den Maschinenpark entsprechend umzubauen.

Für die Papierhalme müssen wiederum Bäume gefällt werden. Inwiefern macht so ein Wandel Sinn?

Für den Endkonsument springt ein Bio-Produkt heraus, aber es müssen andere, natürliche Produkte verwendet werden, die nicht unbedingt zielführend sind. Bei den Lebensmitteln ist es oft so, dass nur nicht-verkaufsfähige Produkte verwendet werden, Kartoffelschalen zum Beispiel. Trotzdem sind Ackerflächen dafür nötig. Auch Recycling ist bei Bio-Produkten oft nur eingeschränkt möglich, vieles landet wieder im Restmüll.

Und der Papiertrinkhalm?

Ein Papiertrinkhalm ist in meinen Augen kein nachhaltiges Produkt: Es muss Holz verwendet werden und auch die Papierproduktion selbst benötigt viel Wasser und Energie. Dass das wirklich umweltfreundlich ist, bezweifle ich. Zudem kommt: Ein Papierhalm weicht sehr schnell auf und gibt auch bestimmte Stoffe an das Getränk ab. Das sind zwar natürliche Stoffe, aber ob sie gesund sind, weiß ich nicht. Der Vorteil ist natürlich, dass das Material sich in kürzerer Zeit zersetzt und Mikroplastik vermieden wird.

 

Trinkhalme sind Billigprodukte, die Industrie stellt hier nicht freiwillig von 1 Euro auf 10 Euro um. 

 

Den nachhaltigen Strohhalm, gibt es den überhaupt?

Ich glaube, dass Plastik an sich ist nicht das Problem ist. Es könnte unendlich viele Male recycelt werden. Aber dann müsste die Recyclingkette auch bis zum Endkonsumenten funktionieren... Auch Inox- oder Glasstrohalme sind eine Alternative. Hier ist jedoch die Reinigung sehr schwierig. Ich denke, dass der Strohhalm irgendwann sicher zum Luxusartikel werden wird. Ich kenne Bars, wo Strohhalme bereits jetzt verkauft werden: Grundsätzlich wird der Cocktail ohne Trinkhalm ausgegeben. Wenn jemand einen Strohalm möchte, kostet das Getränk einen halben oder ganzen Euro mehr. Aber das EU-Gesetz betrifft ja nicht nur Strohhalme. Wenn ich das gesamte Plastikgeschirr mit Bio-Podukten ersetzen will, brauche ich eine Unmenge an natürlichen Produkten. Aber haben wir genug Wald, Kartoffeln, Zuckerrüben, um das alles herzustellen? Ethisches, nachhaltiges Wirtschaften muss auch das berücksichtigen.

Das heißt, ohne eine Konsumreduktion geht es nicht.

Am nachhaltigsten wäre es, den Konsum zu reduzieren. Allerdings ist das für mich als Produzent nicht das, was ich mir wünsche. Das ist ein zweischneidiges Schwert.

Ob gut oder schlecht, das Plastikverbot hat ein Umdenken hervorgebracht. Braucht es Verbote, um Innovation und Veränderung voranzutreiben? 

In unserem konkreten Fall wahrscheinlich schon. Trinkhalme sind Billigprodukte, die Industrie stellt hier nicht freiwillig von 1 Euro auf 10 Euro um. 

Vor einigen Jahren haben Sie gegenüber der Wochenzeitung ff gesagt, dass Sie eigentlich keine Angst vor dem Plastikverbot der EU haben, im Gegenteil. Wie stehen Sie heute dazu? 

Naja, Angst... Das ganze hat sich in eine andere Richtung entwickelt als erwartet. Es sah so aus, als ob Bio-Trinkhalme in ganz Europa erlaubt bleiben würden. Damit hätten wir gut leben können. Dadurch, dass der Sektor jetzt auf Papier umsteigt, kommen eine Vielzahl an Mehrkosten dazu, die noch vor einigen Jahren nicht absehbar waren. Aber step by step werden wir auch hier eine Eigenproduktion aufbauen können.