Gesellschaft | salto Gespräch

“Nach mehr streben ist menschlich”

Das Image von Journalisten und Politikern, Reichtums-Rankings, Südtirol und die Medien und Prinzipien in der Wirtschaft – SWZ-Chefredakteur Christian Pfeifer im Gespräch.
Christian Pfeifer
Foto: Ingrid Heiss

Alles begann vor exakt einem Jahrhundert. Am 20. Dezember 1919 erscheint die erste Ausgabe der “Industrie- und Handels-Zeitung”. Hundert Jahre später hält Christian Pfeifer die Erstausgabe des Blatts, das heute unter dem Namen “Südtiroler Wirtschaftszeitung” oder kurz SWZ bekannt ist. Seit 2015 ist Pfeifer Chefredakteur des unabhängigen “Wochenblatts für Wirtschaft und Politik”. Über Wirtschaft und Politik, Südtirol und seine Medien, Neid und Zufriedenheit spricht der 45-jährige Deutschnofner an einem Dezemberabend in seinem Büro in der SWZ-Redaktion in der Bozner Innsbrucker Straße.

salto.bz: Herr Pfeifer, wie bewahrt sich ein Medium in Südtirol 100 Jahre Unabhängigkeit?

Christian Pfeifer: Eine gute Frage. Ganz sicher, indem man es schafft, finanziell unabhängig zu sein. Uns gelingt es zum Glück, durch Werbe- und Abo-Einahmen jedes Jahr bescheidene Gewinne zu schreiben und daher nicht abhängig zu sein von irgendwelchen Geldgebern. Das geht auch, indem wir keine Dividenden ausschütten. Dazu kommt die breite Streuung des Kapitals, die heute unsere Stärke ist.

In wessen Händen liegt die SWZ heute?

Ich höre immer wieder “Ihr gehört eh dem Unternehmerverband”, “Ihr gehört eh der Handelskammer”, “Ihr gehört eh der Athesia”. Ich pflege zu sagen: Wir gehören niemandem – um unsere breite Gesellschafterstruktur zu betonen. Von den heute 103 Gesellschaftern hält der größte 7, die meisten zwischen 0,5 und 1 Prozent. Somit hat kein Gesellschafter die Kraft, der Redaktion bei ihrer Arbeit dreinzureden und auch kein Interesse an Dividenden. Denn bei 103 Gesellschaftern würde für den einzelnen wenig übrig bleiben.
Es sind also die finanzielle Unabhängigkeit und die Unabhängigkeit in der Gesellschaftsstruktur, die unserem Wochenmagazin die Unabhängigkeit sichern. Auch die Tatsache, dass wir keine öffentlichen Beiträgen oder Förderungen beziehen, ist eine Form der Unabhängigkeit, die uns nicht unbedingt stört. Man ist einfach völlig unabhängig in der Berichterstattung und muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Wobei, Rücksicht nehmen sollte ein Journalist nie. Eine Demokratie muss journalistische Kritik vertragen. Wenn es gelingt, konstruktiv kritisch zu sein, akzeptiert das der Kritisierte in der Regel auch.

Der Ruf der Journalisten wird insgesamt schlecht sein, doch am Ende liegt es an jedem Journalisten und an jedem Medium, wertgeschätzt zu werden.

Konstruktiv Kritik üben sollte doch zu den ureigensten Aufgaben eines jeden Journalisten und einer jeden Redaktion zählen?

Ganz genau. Das versuchen wir, genauso wie salto, auch zu machen.

Wie sehen Sie die jüngsten Entwicklungen in der Südtiroler Medienlandschaft, mit einem mächtigen Medienhaus, das sich permanent auf Einkaufstour befindet?

Wir haben in Südtirol eindeutig eine große Medienkonzentration. Aus Sicht des Unternehmens macht Athesia im Grunde alles richtig. Ein Unternehmen muss versuchen, zu wachsen. Aus journalistischer Sicht muss man bei einer derartigen Konzentration aber doch gewisse Bedenken haben. Doch trotz dieser Konzentration ist unsere Medienlandschaft sehr bunt – bunter als anderswo. Und es gibt in Südtirol noch wirklich unabhängige Medien.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Wenn ich mir die SWZ anschaue, bin ich sehr, sehr optimistisch. 2018 war unser absolutes Rekordjahr in Umsatz und Gewinn und 2019 waren wir weiter gut unterwegs. Ob es ein neuer Rekord wird, wird sich am Jahresende zeigen. Vor diesem Hintergrund bin ich schon optimistisch – wobei, ich bin von Grund auf Optimist –, dass auch in Zeiten von Social Media, immer extremeren Positionen und Informationsblasen, in denen sich immer mehr Menschen bewegen, klassische Medien und Medienmarken durchsetzen. Und dass es Leute gibt, die sich die Mühe machen, zu lesen, nicht in ihrer Blase zu verharren, auch Zweifel an der eigenen Meinung zuzulassen, sich breiter informieren und auf Medienmarken zurückgreifen.

Medien bzw. Information, die von Journalisten gemacht wird, wird ihren Einfluss nicht verlieren?

Sie haben jedenfalls einen Einfluss. Ich bin überzeugt, dass der Journalismus und die Medien, wie wir sie kennen – das kann ein Printprodukt, ein Radiosender, ein Online-Portal sein – eine Renaissance erleben werden. Weil sich immer mehr Leute aus der Informationsblase herausbewegen werden.

Nichtsdestotrotz belegen Daten des ASTAT regelmäßig, dass Journalisten geringes Vertrauen in der Bevölkerung genießen.

Wir Journalisten haben Glück, dass es die Politiker gibt. Sonst wären wir in dieser Hinsicht auf dem letzten Platz.

Aus Sicht des Unternehmens macht Athesia im Grunde alles richtig. Aus journalistischer Sicht muss man aber doch gewisse Bedenken haben.

Wie erklären Sie sich dieses geringe Vertrauen?

Ein Teil des schlechten Rufs und Images hat sich die Berufsgruppe der Journalisten selbst zuzuschreiben. Weil Journalisten – bei Gott nicht alle – in der Vergangenheit und auch heute noch teilweise nicht gute Arbeit leisten, auch tendenziös Bericht erstatten und auf der Suche nach Schlagzeilen auch schlechtmachenden und schlechtredenden Journalismus betreiben. Sehr oft ist es ja so, dass, wenn man hinter die tollen Schlagzeilen schaut und sich auch die andere Glocke anhört – wie es jeder Journalist tun sollte –, vieles zerfällt. Und dann ist die Schlagzeile weg. Es gibt leider Medien, die eine Schlagzeile produzieren, damit sie am nächsten Tag die Schlagzeile mit der Gegendarstellung haben. Da haben die Journalisten selbst viel Porzellan zerschlagen und Vertrauen verloren. Andererseits gibt es auch Journalisten und Medien, die einen guten Ruf genießen. Ich zum Beispiel gehe immer mit Stolz hinaus und sage, ich arbeite für die SWZ. Wir wissen, dass die SWZ bei den Lesern einen guten Ruf genießt, als vertrauenswürdig und zuverlässig gilt. Der Ruf der Journalisten wird insgesamt schlecht sein, doch am Ende liegt es an jedem Journalisten und an jedem Medium, wertgeschätzt zu werden und nicht im gleichen Topf zu landen.

Journalismus in Südtirol ist nicht immer unabhängig, sagen Sie. Das gilt für die Politik genauso. Hat der Einfluss der verschiedenen Interessen- und Lobbygruppen in der Politik Überhand genommen?

Der Einfluss war immer schon da. Heute ist er verstärkt sichtbar, weil die Interessenvertretungen ihre Meinungen dank der neuen kommunikativen Möglichkeiten viel stärker nach außen bringen können und viel stärker in der Öffentlichkeit präsent sind. Dadurch fühlen sich die Politiker getrieben. Ein weiterer Grund, warum die Interessenvertretungen heute gefühlt stärker sind, ist, dass die Politik insgesamt ein Problem hat: Wir Wähler haben die Politiker so lange schlechtgemacht und gesagt, sie dürfen nichts verdienen, dass wir weniger gute, starke Persönlichkeiten in der Politik haben, die dann auch den Mut und die Kraft haben, sich gegen Interessenvertretungen und deren Meinungen zu stellen. Die Politiker sind getrieben mit Blick auf die nächsten Wahlen. Natürlich kann man nicht verallgemeinern, aber ich beobachte das so.

Es landen also nicht mehr die fähigsten Köpfe in der Politik, sondern eher solche, die am leichtesten die Positionen von Lobbys durchsetzen?

Ganz genau. Möglicherweise muss man irgendwann – weniger auf Gemeindeebene, aber auf Landesebene – die Wahlprozedur überdenken. Denn heute wird es immer schwieriger, in den Landtag zu kommen, ohne Interessenvertretung dahinter, die sagt, den musst du wählen. Insofern weiß ich nicht, ob es immer die tüchtigsten Leute schaffen, nach oben zu kommen und nicht viel eher jene, die von den Verbänden gepusht werden. Wobei das durchaus auch tüchtige Leute sein können.

Die Neiddiskussion gibt es, zwar weniger als bei der Politik, aber auch bei Unternehmern.

Ist die Lust, in die Politik zu gehen, gesunken?

Ich höre ganz viele gute Leute – Unternehmer, Arbeitnehmer –, die sagen, das tue ich mir nicht an: immer der Sündenbock sein, weniger Zeit für die Familie haben, alles, was ich gut mache, ist selbstverständlich und was ich schlecht mache, ist schlecht. Früher haben Politiker großes Ansehen genossen, trotz manch krummer Dinge, die sie gedreht haben. Jetzt hingegen, wo sie meiner Überzeugung nach viel weniger anstellen, ist ihr Ansehen im Keller.

Wer ist Schuld daran?

Es sind sicher wir Wähler gefragt – und wir Medien auch. Wenn wir die Politiker immer schlechtschreiben und schlechtmachen, glaubt es der Wähler natürlich irgendwann auch. Medien und Journalisten haben die Aufgabe, die Politik und auch Interessenvertretungen zu kritisieren, ihnen auf die Finger zu schauen. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, sie pauschal schlechtzumachen, nur weil Kritik als Schlagzeile immer viel mehr taugt und wir denken, dass bad news good news sind. Man kann auch einmal das Gute, das Menschen machen, zeigen. Hinter Politikern stehen immer auch Menschen. Und diese Menschen versuchen, in der Regel, ihr Bestmögliches zu tun. Aber natürlich machen sie auch Fehler. Wenn wir aber die Politiker permanent schlechtreden, wird auch die Qualität der Politik zwangsläufig leiden. Obwohl wir in der Politik eigentlich mit die besten Leute bräuchten.

 

Im Gegensatz zur Politik funktioniert Wirtschaft nach anderen Spielregeln. Dort haben im Allgemeinen jene Erfolg, die sich bewiesen, etwas geleistet haben, Mitarbeiter gut führen, Verantwortung übernehmen. Und anders als in der Politik ist die Akzeptanz, dass Führungskräfte der Wirtschaft auch entsprechend verdienen, größer. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Die Neiddiskussionen gibt es immer, auch Unternehmen spüren sie. Deshalb wollen einige Unternehmer ihre Umsatzzahlen mittlerweile nicht mehr preisgeben und hinterlegen sie nicht mehr bei der Handelskammer. Sie zahlen lieber eine Strafe. Weil sie sagen, die Leute verwechseln Umsatz mit Gewinn und sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, du hast leicht reden! Aber Umsatz ist eben nicht Gewinn. Diese Neiddiskussion gibt es bei Unternehmern also auch. Aber es stimmt, es gibt sie weniger als bei der Politik. Die weitläufige Meinung ist, Politiker sollen heute bestenfalls gratis arbeiten. Ich bin der Meinung, Politiker sollten gut verdienen. Dann aber müssen sie auch liefern. Und bei den nächsten Wahlen steht es uns Wählern zu, sie abzubestellen oder zu bestätigen.

Inzwischen sollten Politiker nicht nur gratis arbeiten, sondern sind für viele gar überflüssig. Dazu kommt, dass demokratische Prozesse bzw. Entscheidungsfindungen mitunter zäh, zeit- und kostenaufwändig sind. Das lässt vermehrt den Ruf nach dem starken Mann laut werden. In einem Unternehmen werden Entscheidungen im kleinen Kreis und meist rasch getroffen – warum sollte es in der Politik nicht so sein?

Also mir macht der starke Mann oder die starke Frau in der Politik Angst. Da reicht ein Blick in die Vergangenheit. Ich beobachte mit einiger Verwunderung, wie die Gesellschaft, die Wählerschaft von einem Extrem ins andere geht: Gerade haben wir noch so viel von direkter Demokratie geredet und davon, dass die Politiker uns mitreden lassen müssen. Und jetzt plötzlich rufen 48 Prozent der Italiener nach dem starken Mann. Warum gehen wir jedes Mal von einem Extrem ins andere gehen? Die einen sagen “Partizipation bis zum Abwinken”, die anderen schreien nach dem starken Mann. Gibt es nicht irgendwo ein Mittelmaß?

Vielleicht wäre es wirklich einmal eine heilsame Erfahrung, wenn alle Gehälter öffentlich gemacht würden. Dann weiß jeder von jedem, wie viel er verdient.

Welchen Sinn haben Rankings, in denen regelmäßig die reichsten Südtiroler aufgelistet werden? Die ff veröffentlicht ein solches alle zwei Jahre, die SWZ listet jedes Jahr die umsatzstärksten Unternehmen auf. Tragen solche Rankings am Ende nicht auch dazu bei, die von Ihnen erwähnte Neiddebatte zu schüren?

Umsatz ist eine Größe, da geht es um Zahlen und Fakten, die in der Bilanz stehen. Man kann darüber streiten, ob es Sinn macht, Umsätze zu veröffentlichen, aber ich meine, Umsatz-Ranglisten haben durchaus ihre Berechtigung. Denn sie geben ein Bild der Kräfteverhältnisse in der Südtiroler Wirtschaft wieder. Allerdings muss man betonen, dass Umsatz nicht gleich Gewinn und nicht gleich Reichtum ist. Da kommt es sehr oft zu Verwechslungen. Insofern halte ich von Reichtum-Rankings gar nichts.

Warum?

Es ist nicht korrekt, ein Unternehmen zu bewerten und dann zu schreiben, Unternehmer XY ist 150 Millionen Euro schwer. Das Unternehmen ist ja nicht Reichtum an sich. Es ist ein Arbeitsvehikel. Natürlich hat es einen gewissen Wert – den ich allerdings erzielen würde, wenn ich es verkaufen würde. Nur so macht mich das Unternehmen nicht reich. Im Gegenteil. Unternehmen bedeutet Verantwortung und Sorgen. Ich spreche sehr viel mit Unternehmern – und jeder der meint, die schlafen immer gut, darf sich selber selbstständig machen, die ganzen bürokratischen Auflagen erfüllen, die Verantwortung für die Mitarbeiter spüren, wenn ein Jahr einmal nicht so gut läuft. Es ist kein Honigschlecken, immer weniger. Deshalb finde ich diese Reichtums-Rankings sehr sehr zweifelhaft.

Den Unterschied zwischen Wirtschaft und Nicht-Wirtschaft würde ich so nicht machen. Auch in Klimafragen nicht. Wirtschaft sind wir alle.

Trotzdem schreiben Sie in einem Ihrer jüngsten Leitartikel “Reden wir übers Geld” – jenes der Arbeitnehmer.

Bei all den Rankings mit den Gehältern von Politikern und öffentlichen Verwaltern oder dem angeblichen Reichtum der Unternehmer, die veröffentlicht werden, stellt sich mir die Frage, ob nicht jeder einmal selbst in sich hineinhören und sich fragen sollte, ob man es gern hätte, wenn das eigenes Einkommen in der Zeitung stehen würde – und zwar das Bruttoeinkommen. Wo man genau weiß, dass man netto viel weniger kriegt. Denn das ist der nächste Punkt: In der Zeitung stehen immer die Bruttoeinkommen und in einigen Fällen heißt es “sein Bruttoeinkommen beträgt X plus zahlt das Land für diese Person so und so viel an Sozialabgaben” – und dann kommt heraus “boah, der verdient 210.000 oder 220.000 Euro”. Die Sozialabgaben zahlt jeder Arbeitgeber für jeden Arbeitnehmer. Und da besteht die Gefahr, dass man das eigene Nettoeinkommen nicht nur mit dem Bruttoeinkommen, sondern gar den Lohnkosten der Person vergleicht, die in der Zeitung stehen. Vielleicht wäre es wirklich einmal eine heilsame Erfahrung, wenn alle Gehälter öffentlich gemacht würden. Dann weiß jeder von jedem, wie viel er verdient. Gut oder schlecht? Das weiß ich nicht.

Würden Sie Ihres preisgeben?

Wenn alle Gehälter in der Zeitung stehen, soll meines halt auch drinstehen.

Warum spielt das Materielle, das Monetäre eine derart große Rolle in der öffentlichen Debatte?

Das Monetäre ist in unserer Gesellschaft wichtig. Der Mensch wird – man muss auch sagen leider Gottes – sehr stark über das Monetäre bzw. den Besitz definiert: Welches Haus hat er, wo war er im Urlaub, welches Auto fährt er?
Interessanterweise wollen alle Leute – das gehört in diese Diskussion hinein – zur Mittelschicht gehören. Dazu gibt es Statistiken. Eine übergroße Mehrheit sagt: “Ich bin Mittelschicht”. Das betrifft auch das Einkommen: Diejenigen, die etwas weniger verdienen, versuchen ihr Einkommen scheinbar größer zu machen, indem sie sagen, im Urlaub war ich nicht in Bibione, sondern in Griechenland, in Ägypten oder sonst wo. Diejenigen, die wirklich Geld haben, versuchen dieses Geld hingegen zu verstecken. Ich kenne Leute, die sagen, ich fahre nicht gerne mit meinem Porsche durchs Dorf. Weil sie ihren Wohlstand nicht gern herzeigen.
All der Neid, der uns auffrisst, ist bedenklich und für unsere Gesellschaft auch gefährlich. Warum können wir das nicht etwas entspannter sehen? Vielleicht würde die Veröffentlichung der Löhne in diesem Sinne etwas dazu beitragen. Vielleicht wären wir aber auch noch neidischer.

 

Die Wirtschaftskammer Österreich hat des öfteren mit dem Slogan “Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut” geworben. Würden Sie das heute, in Zeiten, wo das Ausmaß von Umweltzerstörung und Klimawandel, die von der Wirtschaft mit verschuldet sind, nicht mehr zu verleugnen ist, unterschreiben?

Den Unterschied zwischen Wirtschaft und Nicht-Wirtschaft würde ich so nicht machen. Wirtschaft sind wir alle. Trotzdem – auch wenn man das heute nicht einmal mehr sagen darf – unterschreibe ich nach wie vor, dass, wenn es der Wirtschaft gut geht, es allen gut geht. Denn wenn Wirtschaft läuft, bedeutet das nichts anderes als dass wir Arbeit und Einkommen haben. Das ist natürlich wieder die monetäre Seite. Um auf den Klima- und den Umweltgedanken zu kommen: Wirtschaft und wirtschaften ist ja nicht per se schlecht und klima- und umweltschädigend. Es liegt an uns Gesellschaft. Nehmen wir das Fliegen, das ja umweltschädlich ist. Aber nicht die Wirtschaft fliegt, sondern wir alle. Auch wenn ich selbst schon lange nicht mehr geflogen bin. Zuletzt 2010.

Verzichten Sie bewusst aufs Fliegen?

Ich habe nicht das Bedürfnis danach – und meine Kinder fahren im Urlaub am liebsten an die Adria. Aber kommen wir zurück: Es fliegt nicht die Wirtschaft, sondern es sind wir Verbraucher, die in den Urlaub fliegen. Eine Wirtschaft sollte natürlich versuchen, möglichst klimaverträglich zu arbeiten. Und da haben wiederum wir Verbraucher eine große Macht in der Hand.

Der Klimawandel ist eine globale Problematik. Kann tatsächlich jeder einzelne, wie es immer heißt, etwas dagegen tun?

Ich bin recht optimistisch, dass uns der Fortschritt in Richtung mehr Klimaverträglichkeit bringt. Viele fragen sich, was sie alleine schon bewirken können, ja. Wenn ein Unternehmen alleine etwas ändert, macht das genauso wenig aus. Es muss eine Bewegung sein, aber ich bin auch in Klimafragen dagegen, zwischen Wirtschaft und Nicht-Wirtschaft zu unterscheiden. Im Grunde ist alles Wirtschaft, auch der Verkehr, das Einkommen: Wir geben das Geld, das wir für unsere Arbeit erhalten, dort aus, wo jemand anderes arbeitet und es verdient. Ich wüsste nicht, was nicht Wirtschaft ist. Alles ist wirtschaften.

Wenn wir die Politiker permanent schlechtreden, wird auch die Qualität der Politik zwangsläufig leiden.

Sie sagen, alles ist Wirtschaft. Die Prinzipien, nach dem das gesamte System funktioniert, legen aber längst nicht alle Wirtschaftsteilnehmern fest, wirken sich aber auf alle aus. Ständiges Wachstum, das Streben nach immer mehr, immer größer, immer schneller – wir werden praktisch gezwungen, da mitzumachen. Oder?

Nein, dieser Meinung bin ich absolut nicht. Sie müssen mir jemanden zeigen, der sagt, er möchte nicht mehr verdienen. Das Streben nach Mehr ist menschlich und auch gut. Denn dieses Streben nach Mehr bedeutet nichts anderes als Fortschritt. Und wenn der Mensch nicht nach mehr – mehr Wohlstand, mehr Freizeit – streben würde, würden wir wahrscheinlich noch in Höhlen leben.

Muss es aber immer ein materielles Mehr sein, das die Menschheit weiterbringen kann?

Nein, muss es nicht. Das liegt an uns. Ich kenne nur wirklich ganz wenige Leute, die sagen, nein, mehr Materielles will ich eigentlich nicht.

Mehr Zeit wäre für viele Menschen heutzutage auch schon ein Fortschritt bzw. Zeichen von mehr Wohlstand.

Da stimme ich zu. So gerne ich selbst arbeite – und ich arbeite wirklich gerne –, wenn ich mehr Zeit für Freizeit und Familie hätte, wäre mir das auch recht. Es gibt Untersuchungen, dass der Mensch ab einem Netto-Jahreseinkommen von ca. 70.000 Euro nicht mehr glücklicher wird. Von daher müssten wir eigentlich sagen, 70.000 Euro netto ist eine schöne Summe Geld und der Mensch müsste sich doch zufrieden geben. Aber es gibt ganz wenige, die sich zufrieden geben.

Es gibt in Südtirol noch wirklich unabhängige Medien.

Zufriedenheit ist ein gutes Stichwort für diese Tage. Wie verbringen Sie Weihnachten?

Ich liebe Weihnachten und genieße es. In der Weihnachtswoche erscheint die SWZ nicht und ich freue mich auf ein paar wirklich ruhige Tage, an denen ich richtig ausspannen kann. Es gibt keine Arbeitsveranstaltungen oder Tagungen, es kommen kaum E-Mails, es tut sich fast nichts und ich muss als Journalist nicht das Gefühl haben, etwas zu versäumen. Journalisten sind ein bisschen Getriebene – zumindest ich. Man hat immer Angst, etwas zu verpassen, ist immer auf der Suche nach Themen. Das läuft immer im Hintergrund mit. Und auch am Wochenende oder im Urlaub schalte ich nie richtig völlig ab. Zu Weihnachten schon. Denn dann, so kommt mir vor, fährt die ganze Welt herunter. Das genieße ich. Genauso wie die Zeit mit meiner Familie und meinen Eltern.

Und was wünschen Sie sich für 2020?

Zuallererst wünsche ich mir Gesundheit. Das mag abgedroschen klingen, doch ohne Gesundheit ist alles andere nichts. Davon abgesehen wünsche ich mir, dass es so weitergeht, dass die Zeitung gesund bleibt und ich mir nicht Sorgen um die eigene Zukunft machen brauche. Und auch, dass es in der Familie weitergeht wie bisher. Ich habe eine so tolle Familie. Arbeit und Familie sind in meinem Leben gleichberechtigt, dennoch frage ich mich oft, ob das, was ich mache, das Richtige ist. Und da komme ich immer wieder an den Punkt, wo ich sage, so schön die Arbeit ist – wenn die Familie nicht wäre… Mein vierter Wunsch schließlich: ein paar freie Tage mehr. Das ist ein wirklicher Luxuswunsch, wichtiger sind die anderen drei: Arbeit, Familie, Gesundheit. In unserer Gesellschaft ist vieles so selbstverständlich geworden. Wir könnten ruhig ein bisschen bescheidener und zufriedener werden. Es gibt immer einmal harte Tage und ich bin ja selbst oft unzufrieden. Dann aber gehe ich in mich und sage mir, eigentlich hast du es wirklich gut getroffen und wirklich viel Glück gehabt, dort hineingeboren worden zu sein, wo du hineingeboren wurdest und den Weg gegangen zu sein, den du gegangen bist.

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Martin Daniel So., 22.12.2019 - 10:15

Was den Zusammenhang zwischen Politikerbezügen und Lobbyeinfluss auf die Politik angeht, bin ich nicht Pfeifers Meinung. Heute wird Politik von allen Seiten kontrolliert und durchleuchtet, vom Rechnungshof genauso wie von Opposition und einer Vielfalt an Medien. Die Abläufe und Entscheidungen sind viel transparenter, was die Bedienung von Partikularinteressen leichter nachvollziehbar macht. Durnwalder und Strauss, Kohl und Andreotti haben trotz ihres staatsmännischen Auftretens genauso Partikularinteressen befriedigt, nur eben auf diskretere Art und Weise. Zudem konnten in Zeiten ordentlichen Wirtschaftswachstums alle Interessen einigermaßen bedient werden.
Nun aber brökelt der Zusammenhalt der Gesellschaft, weil sich zu viele als Verlierer der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wiederfinden und heute den Abstand zu den Gewinnern klarer wahrnehmen als früher. Der knallharte Standortwettbewerb hat vielerorts dazu geführt, dass die Politik Arbeitnehmerinteressen hintan gestellt hat, was die Gefälligkeiten für Wirtschaftssektoren, Gruppen und Einzelsubjekte stärker sichtbar werden und den gesellschaftlichen Konsens für interessensgesteuerte Politik erodieren ließ.
Im Übrigen sind die Politikergehälter bei weitem nicht so gesunken, wie stets getan wird. LH und Landesräte verdienen immer noch richtig gut und nicht weniger als anderswo Regierungsmitglieder auf gesamtstaatlicher Ebene. Landtagsabgeordnete erhalten ihre 5.500 Euro Netto im Monat plus Spesenvergütungen (wobei die allerwenigsten von ihnen nicht auch noch Zusatzverdienste als Präsidialsekretäre, Fraktionssprecher, Kommissionspräsidenten oder für diverse Regionalratsfunktionen erhalten, die einem Monatsgehalt von Teilzeit- und Niedrigverdienern entsprechen) und können, wenn sie wollen, angesichts der einen Sitzungswoche im Monat weiterhin ihrer ursprünglichen oder weiteren Tätigkeiten nachgehen. Dass Machertypen wie Josef Unterholzner wenig Bock auf einfache Landtagsarbeit mit ihren langsamen Entscheidungsmechanismen haben, dürfte also andere Gründe haben.
Was sicher stimmt, ist dass einen Verband im Rücken zu haben, den ausschlaggebenden Vorteil bei Wahlen darstellen kann.

So., 22.12.2019 - 10:15 Permalink
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Sepp.Bacher Mo., 23.12.2019 - 09:28

Ich muss leider sagen, dass die Aussagen des Herrn Pfeifer für mich eine totale Enttäuschung sind! Ich erinnere mich noch an Herrn Weißensteiner, der viel wirtschafts- und sozial-kritischer war!
"Auch die Tatsache, dass wir keine öffentlichen Beiträgen oder Förderungen beziehen, ist eine Form der Unabhängigkeit, die uns nicht unbedingt stört." Aha deshalb sind in Südtirol auch die alternativen Medien so unkritisch gegenüber der Macht!
"Wir Wähler haben die Politiker so lange (...) gesagt, sie dürfen nichts verdienen, dass wir weniger gute, starke Persönlichkeiten in der Politik haben, die dann auch den Mut und die Kraft haben, sich gegen Interessenvertretungen und deren Meinungen zu stellen." Gemeint ist sicher "...die dann nicht den Mut haben....Jedenfalls verdienen die Südtiroler Politiker immer noch mehr als schon jene im Trentino - mit den gleichen Kompetenzen - und des restlichen Italien, und sind die Italienischen Politiker Spitzenreiter in Europa! Was wollen sie noch?
"Das Unternehmen ist ja nicht Reichtum an sich. Es ist ein Arbeitsvehikel". (.......) "Es ist kein Honigschlecken, immer weniger. Deshalb finde ich diese Reichtums-Rankings sehr sehr zweifelhaft." Dieser Passus erinnert mich daran, wenn Bauern sagen, dass sie vom Besitz nicht abbeißen können. Sie können ihn erstens verkaufen und dann gut leben - und gehören dann immer noch zur gehobenen Gesellschaft oder zur Mittelschicht (... und dann vielleicht in die Politik gehen...). Sie können verpachten und die Wohnimmobilie haben sie dann immer noch ohne Miete. Sie kriegen Kredite, wenn sie solche brauchen. Sie haben in der Politik eine große Macht, usw.. Das haben Lohnempfänger alles nicht!
Deshalb gute Idee, alle Gehälter in der Zeitung: ob Brutto oder Netto ist ja gleich? Dann wird deutlich, mit wie wenig die Mächtigen ihre Untergebenen abspeisen! Altroché 70.000 Euro netto; ich komme nicht einem auf die Hälfte Brutto! Und es gibt noch viele , die deutlich weniger Monatseinkommen haben - sicher ein Großteil der Rentner, die über 100.000 - mehr als 1/5 der Bevölkerung ausmachen!
“Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut” Billiger Slogan! Sieht man ja in Südtirol: die einen werden immer Reicher, und die, welche den Reichtum erst ermöglicht haben, werden immer ärmer. Von Wohlfahrtsökonomie und noch mehr von einer Gemeinwohlökonomie hat Pfeifer anscheinend noch wenig gehört!
"Es fliegt nicht die Wirtschaft, sondern es sind wir Verbraucher,..." Aha, eine neue Erkenntnis? Die demnächst startende Fluglinie Bozen - Rom wird also nicht für die Politiker und Geschäftsreisenden eröffnet, nein für die Menschen, welche zum Papst pilgern, oder wie? Sicher müssen die vielen kleinen Urlaubs- und Wochenendflüge reduziert und keine Südtiroler "Qualitätsprodukte" mit Frachtfliegern versandt werden!

Mo., 23.12.2019 - 09:28 Permalink