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Warum mir in Istanbul die Lust am Schreiben vergeht..

Die Türkei steht im Brennpunkt der Weltgeschichte. Für eine Journalistin eigentlich der ideale Ort, um zu forschen und zu berichten. Das ist kaum mehr möglich.

Nein, es ist nicht die türkische Zensur, die eine Schreibblockade bei mir ausgelöst hat. Es kommt gar nicht zu einer Zensur, weil ich weder Lust noch Unterlagen zum Schreiben habe.  

Gesicherte Informationen gibt es in der Türkei nicht mehr. Die Medien sind in den Händen regierungsnaher Konzerne oder staatseigener Unternehmen  Was dort geschrieben wird, ist gefiltert und geschönt. Regierungskritische Journalisten sind ausgeschaltet worden. Facebook und Twitter werden strengstens kontrolliert.

Freunde und Bekannte  halten sich zurück. Über Politik reden sie lieber nicht - wer weiß, ob in der Tafel- oder Gesprächsrunde nicht irgendein Spion sitzt. Und so kann die Regierung in Ankara verkünden was sie will - auch wenn es noch so unglaubwürdig und unwahrscheinlich ist.

Beispiel: jüngstes Attentat in Ankara. Wie kann ein Regierungschef nach nur 8 Stunden nach dem Attentat behaupten, ein syrischer Kurde oder kurdischer Syrer sei der Selbstmordattentäter gewesen? Mein römischer Bekannter, der Spezialist in Spurensicherung ist, sagt: Nach einem Blutbad mit so vielen Toten und Verletzten sei es unmöglich, zwischen den herumliegenden Fleischfetzen in Rekordzeit das DNA des Attentäters herauszufinden.

Auch verstricken sich die hiesigen Behörden in Widersprüche: Zuerst hieß es, eine Autobombe sei explodiert als der Militärbus vorbeifuhr. Dann plötzlich war ein Kamikaze am Steuer, der mit dem Auto in den Militärkonvoi hineinpreschte. Doch was soll's: Wichtig ist, dass die Öffentlichkeit den für die Regierung idealen Schuldigen zum Frass vorgesetzt bekommt: einen Kurden, der aus Syrien kommt.

Dass die türkische Regierung einen Genozid an der kurdischen Bevölkerung begeht, dass sie den Daesch unterstützt und ein Doppelspiel mit der EU und den USA betreibt: Das ist hinlänglich bekannt. Dass die türkische Zivilbevölkerung in Erdogan-Gegner und Befürworter  geteilt ist und grundsätzlich in einer Lethargie verharrt, die bis zur Schockstarre geht: Auch das ist nichts Neues.

Als gesicherte Information kann ich nur bieten, was ich mit eigenen Augen sehe: Dass beispielsweise vor meinen bodentiefen Fenstern in der Istanbuler Wohnung keine Kreuzfahrtschiffe mehr die Sicht nach Asien, zum Top-Kapi, zum Goldenen Horn  und zum Marmara-Meer versperren, sondern dass Kriegsschiffe den Bosporus auf und ab jagen. Seit der Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran tummeln sich auch Riesenfrachter vor meinen Augen. 

Durch meine Fenster schaue ich gerne auf den darunterliegenden verwilderten Park. Dort spazieren bis gegen drei Uhr nachmittags die schönsten und unterschiedlichsten Katzentiere herum. Dann tauchen die Dog-Sitter auf. Es sind drei türkische Männer, die je acht bis zehn Rasse-Hunde an der Leine führen. 

Diese Hunde werden freigelassen, sie toben und spielen dort zwei Stunden lang, bis sie zu den wohlhabenden Besitzern zurückgebracht werden. Diese Dog-Sitter sind mir sehr sympathisch: Hunde sind in islamischen Ländern ja geächtet, weil unrein. Wer Hunde liebt, ist deshalb irgendwie subversiv. Aber die Dog-Sitter haben noch eine Eigenschaft, die in der Türkei zunehmend verboten wird: Sie trinken gerne ein Bierchen. 

Immer wenn ich länger wegfahre, bringe ich den Hunde-Aufpassern meine Restbestände an Alkohol. Die Männer (es sind keine Clochards!)  sind jedesmal hocherfreut.    

Worüber ich aus eigener Erfahrung ebenfalls berichten kann sind die herrlichen Dachterrassen-Restaurants von Istanbul. Aber auch die Fischlokale am Bosporus, in Arnavoutkoy haben es mir angetan. Ist es nicht das, was der Neo-Sultan Erdogan will? Dass wir konsumieren, um das Elend um uns herum zu vergessen?

Hier in der Türkei wird vorgemacht, was unsere hochklugen Austeritäts-Apostel  so gerne möchten: Dass die Wirtschaft boomt, um jeden Preis. Zwar ist in der Türkei ganz nebenbei auch die Demokratie, die Meinungs- und Pressefreiheit abgeschafft worden - aber das sind wohl Nebensächlichkeiten für Leute, die nur Aktienkurse und Profitraten im Kopf haben. 

Dass die breite Bevölkerung, wie in der Türkei, arm und unglücklich vor sich hin lebt,  während die immer ausgedünntere Schicht von Superreichen reicher und reicher wird - ist es das, was anstrebenswert ist? 

Was soll das Gefasel der calvinistischen Neolibs über "schmerzhafte" Einsparungen? Sollen die Menschen hungern und dursten nur damit die Brüsseler  Finanzlobbys zufriedengestellt sind? Dazu kommt, dass deren Austeritätspolitik ganz einfach nicht funktioniert. Keine Verbesserung sondern eine akute Verschlechterung lässt sich in der EU konstatieren! Wäre es nicht sinnvoller, die gesellschaftlichen Verhältnisse dergestalt zu verändern, dass möglichst viele Menschen gut leben, wie im frohen und optimistischen Nachkriegs-Europa?

Eine weitere bemerkenswerte Phobie betrifft unsere jüngere Südtiroler Vergangenheit. So wurde kurz hintereinander in hiesigen Internetforen gefordert: Erstens die Südtiroler Terrorismus-Geschichte zu vergessen und zweitens auch die davor liegende Schreckensherrschaft des Dritten Reiches ad acta zu legen. 

Wie bitte? Waren das vielleicht Schreibfehler? Ich möchte es hoffen. 

Solchgearteten Theoretikern kann ich einen Umzug in die Türkei wärmstens empfehlen. Dort ist es üblich, die Vergangenheit auszulöschen. Die byzanthinische, die ottomanische und ein Teil der kemalistischen Geschichte des Landes sind bereits im Zement erstickt worden. Spuren der kosmopolitischen, lebensfrohen und weltoffenen Metropole Istanbul werden derzeit durch einen streng islamisch gefärbten Kapitalismus systematisch beseitigt. Doch die Wirtschaft boomt. Ist es nur das , was wir brauchen ?