Politik | Interview

“Der Kollateralschaden von Strache & Co”

Wem schadet die Ibiza-Affäre um HC Strache? Wie geht es mit der FPÖ nun weiter? Und wie mit Österreich? Die Analyse des Politologen Peter Filzmaier.
Peter Filzmaier
Foto: Screenshot/ORF2

Die vergangenen 48 Stunden war Peter Filzmaier im Dauereinsatz. Der Politologe muss nach der Ibizia-Affäre um die beiden FPÖ-Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus – beide sind inzwischen als Vizekanzler und Parteiobmann bzw. als Fraktionsvorsitzender im Parlament zurückgetreten –, die Aufkündigung der Regierungskoalition durch Kanzler Sebastian Kurz und die Entscheidung für Neuwahlen Österreich und der Welt erklären, was da passiert ist.

salto.bz: Herr Filzmaier, umgehend nach der Veröffentlichung der Video-Ausschnitte begannen die Spekulationen über die möglichen Urheber der Aktion. Strache selbst sieht sich als Opfer einer Verschwörung, die möglicherweise von Geheimdiensten gesteuert wurde. Auch das Zentrum für Politische Schönheit und der Name von Jan Böhmermann tauchen im Zusammenhang mit der “Ibiza-Falle” auf. Welche Erkenntnisse gibt es inzwischen zu den Drahtziehern?

Peter Filzmaier: Das wissen wir – Stand Sonntag – nicht. Tatsache ist jedoch, dass Heinz-Christian Strache sogar in seiner Rücktrittsrede eine verschwörungstheoretische Täter-Opfer-Umkehr versuchte. Bevor er sein Auftreten endlich selbst als dumm, unverantwortlich, peinlich und katastrophal bezeichnete, sprach er von Geheimdiensten als eigentlich Schuldige. Als hätten Regierungen in aller Welt nichts Besseres zu tun als sich gegen ihn zu verschwören. Und hat etwa irgendjemand ihn gezwungen, so zu sein, wie wir alle gesehen haben? Nein, dafür sind die Herren Strache und Gudenus ganz allein verantwortlich.

Die entscheidende Frage ist aber einzig, was in dem Video zu sehen ist.

Können Sie sich erklären, weshalb die Videos deutschen Medien angeboten wurden? Ist die Wirkung dadurch eine andere als wenn sie von österreichischen Medien veröffentlicht worden wären?

Sicher nicht. Wann, wo und von wem das Video produziert und publiziert wurde, das ist interessant. Die entscheidende Frage ist aber einzig, was in dem Video zu sehen ist. Ein FPÖ-Vizekanzler und der FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, die mit einer ausländischen Investorin trotz Schwarzgeldanspielungen bereit gewesen wären, eine Zeitung zu kapern und Journalisten hinauszuwerfen, um eigene Parteischreiberlinge anzustellen. Dafür zeigte man Bereitschaft, als Gegenleistung Staatsaufträge zu verschachern. Nebenbei wurden übrigens offenbar auch politische Konkurrenten wie der jetzige und der frühere Bundeskanzler wüst beschimpft und verleumdet.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen spricht von “beschämenden Bildern”. Welches Verständnis von Demokratie, von Rechtsstaat und den Medien legt Strache in dem Video zutage? Muss man davon überrascht sein?

Den Aussagen des Bundespräsidenten ist hier nichts hinzuzufügen. Es ist ein beschämendes Sittenbild ihrer demokratiefeindlichen Denkweise, das zwei FPÖ-Politiker hier gezeigt haben.

Die härtesten der harten Anhänger der FPÖ wollen wirklich jede Opfertheorie glauben.

In allen übrigen Parteien gibt es große Empörung über Strache und die FPÖ. Kann man davon ausgehen, dass die anderen tatsächlich eine weiße Weste haben und solche verwerflichen Strategien zur Machtabsicherung nur in der FPÖ vorherrschen? Oder hatte Strache einfach nur das Pech, bei dem Versuch, schmutzige Deals einzufädeln, gefilmt zu werden?

Bundespräsident Van der Bellen hat treffend gesagt, dass wir Österreicher nicht so sind. Er hat aber auch richtigerweise das Vertrauensproblem angesprochen, das nun entsteht beziehungsweise sich verstärkt. Natürlich gibt es viele Menschen, die zwar Herrn Strache als Extremfall empfinden, doch das pauschale Vorurteil haben, in der Politik würden alle irgendwelche Machenschaften betreiben. Diese Leute fühlen sich nun in ihrer Meinung bestärkt und es wird lange Zeit brauchen, die ohnehin schlechten Vertrauenswerte in die Politik wenigstens auf das frühere Niveau zurückzubringen. Das ist der demokratiepolitische Kollateralschaden, den Strache & Co weit über ihre Partei und die Regierung hinaus angerichtet haben.

 

Gründe oder Vorwände für die ÖVP, die Regierungskoalition mit der FPÖ zu beenden, hätte es in den vergangenen Monaten mehrere gegeben, Stichwort Rattengedicht oder Identitäre. Warum sagt Bundeskanzler Kurz (erst) jetzt “genug ist genug”?

Dass die rechte FPÖ sich öfters nicht ausreichend oder zu spät von rechtsradikalen und rechtsextremistischen Gruppen oder Handlungen abgrenzt, das ist als Thema altbekannt und dieses Problems war sich ja Sebastian Kurz von Anfang an bewusst. Da hätte er gar keine Koalition eingehen dürfen. Das Video ist neu.

Ob wir erfahren werden, wer das Video gedreht hat, das weiß ich nicht.

Wie groß wird der Schaden, der durch die Veröffentlichung der Videos für Strache und die FPÖ entstanden ist, tatsächlich ausfallen? Werden die Blauen massiv an Zuspruch verlieren? Oder sind Rechtspopulisten nicht vielmehr ganz allgemein skandalresistenter als andere politische Gruppierungen?

Da würde ich vor Schnellschussprognosen warnen. Was die vorgezogene Nationalratswahl betrifft, so wissen wir ja noch nicht einmal den genauen Wahltag noch wer überhaupt kandidiert. Bei der unmittelbar bevorstehenden Europawahl dreht sich angesichts der bisher niedrigen Wahlbeteiligung unverändert alles um Mobilisierung und eine nun mögliche Demobilisierung. Denn ÖVP, SPÖ und FPÖ haben allesamt in der Nationalratswahl 2017 zwischen fast 700.000 und über 800.000 Stimmen mehr erhalten als in den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014. Ob sich da nun beispielsweise die SPÖ mit Eine Stimme gegen die FPÖ leichter tut, ihre Anhänger auch für den Europawahlgang zu mobilisieren? Oder ob die Parole Jetzt erst recht! eingefleischte FPÖ-Fans anspricht? Da können wir beides noch nicht wissen.

Könnte es sein, dass die FPÖ vom “Strachegate” am Ende gar profitiert? Weil die Methode beim offensichtlichen Versuch, ihr zu schaden, derart dubios ist, dass man sich der Bevölkerung glaubhaft als Opfer ausländischer Kräfte und Journalisten präsentieren kann?

Profitieren im Sinn von klaren Stimmengewinnen der FPÖ in der kommenden Nationalratswahl – bei der EU-Wahl ist übrigens ihr Ausgangsniveau deutlich geringer –, das wäre nun doch unwahrscheinlich. Doch ob es zu einem Totalabsturz kommt? Das ist möglich, aber keinesfalls sicher. Weil erstens die härtesten der harten Anhänger der FPÖ wirklich jede Opfertheorie glauben wollen. Zweitens ist eine gezeigte mögliche Korruptionsbereitschaft nicht unbedingt ein Nichtwahlmotiv. Das klingt paradox, doch oft heißt es dann, es wären ja alle Politiker und Parteien so.

Zwei kapitale Verlierer stehen jetzt schon fest: die Demokratiequalität und das Image der Republik.

Was wird innerhalb der FPÖ bis zu den Neuwahlen im September passieren? Wird man radikale Konsequenzen ziehen und die Partei tatsächlich auf völlig neue Beine stellen? Was bleibt dann noch von der heutigen FPÖ übrig?

Bisher gibt es absolut keine Anzeichen für eine personelle oder inhaltliche Neuaufstellung der FPÖ. Hauptsprachrohre sind bisher der Infrastrukturminister Norbert Hofer sowie Innenminister Herbert Kickl. Kickls Parole auf seinem Facebookaccount lautet Jetzt erst recht! und wird mit den üblichen Hinweisen auf das Zuwanderungsthema unterfüttert. Eine grundlegende Parteierneuerung sieht anders aus. Woher sollte die FPÖ aber auch andere Personen oder Themen nehmen und nicht stehlen?

 

Wie werden die übrigen Parteien in den Wahlkampf gehen?

Sorry, doch da muss ich lächeln. Diese Parteien wissen ja auch alle erst seit zwei Tagen überhaupt davon, dass es Neuwahlen gibt. Wie soll da ein Politikwissenschafter jetzt schon wissen, für welche Wahlkampfstrategie sie sich entscheiden werden?

Wie sehr sind das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Republik Österreich in Europa und international beschädigt?

Sehr. Leider. Wem immer der Fall am Ende des Tages in welchem Ausmaß schadet, zwei kapitale Verlierer stehen jetzt schon fest: die Demokratiequalität und das Image der Republik.

Woher sollte die FPÖ aber auch andere Personen oder Themen nehmen und nicht stehlen?

Gehen Sie davon aus, dass noch weitere Videoausschnitte veröffentlicht werden? Und dass sich die Drahtzieher der “Ibiza-Falle” ausgeforscht bzw. sich zu erkennen geben werden?

Ob wir erfahren werden, wer das Video gedreht hat, das weiß ich nicht. Sowohl der Spiegel als auch die Süddeutsche Zeitung haben aber klargestellt, dass sie weder den Informantenschutz verletzen werden noch weitere Szenen veröffentlichen wollen, weil privater Voyeurismus statt politischer Relevanz kein Kriterium sein darf, egal was ein Politiker da womöglich noch von sich gegeben hat. Ich stimme dem zu. Kurios ist nur, dass Heinz-Christian Strache am Samstag eine Veröffentlichung der gesamten sechs oder sieben Stunden Video wollte. Glaubt er ernsthaft, das würde ihm helfen, obwohl er sich zugleich bei seiner Frau für Dinge entschuldigte, die er scheinbar sonst noch sagte?

 

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△rtim post Mo., 20.05.2019 - 10:19

Anders als in den USA eines Trumps, Rumänien... oder in Italien, wo laut Medien einer Partei 49 Millionen verschwinden, ein Innenminister mit Hausbesetzern, Schlägern u.a.m. der neofaschistischen Forza Nova und casa Pound mehr als freundlich ganz ungeniert verkehrt... , wird in Österreich immerhin auch bei politischen Verfehlungen noch zurückgetreten. Eine Selbstverständlichkeit ist das ja nicht mehr.
Peter Filzmaier hat mit seinen Analysen wie ja fast immer recht. Nur die Aussage, der eventuelle Nicht-Totalabsturz der FPÖ sei nur durch die harten Anhänger der FPÖ mit ihrem Glauben an die Opfertheorie erklärbar, muss man nicht unbedingt teilen. Dazu gehört z.B. auch die Position Andreas Khols (ÖVP), wenn er am 19.05.2019 in der Sendung Hohes Haus dazu sagt, dass er nicht an Kollektiv-, sondern an Individualschuld glaube
Über die Hintergründe und Ziele zum jetzigen Zeitpunkt der Veröffentlichung gilt es jetzt objektiv aufzuklären.Wem das in Österreich, aber vielleicht mehr noch in der BRD, nützen oder schaden soll, gibt es ja nur Vermutungen.
Das aber, was sich da seit Freitag Abend bzw. am Samstag in Wien präsentierte, hatte auf jeden Fall etwas von einem bühnenreifen Staatsstreich (von außen).
Wir dürfen gespannt sein, wie es jetzt weitergeht.

Mo., 20.05.2019 - 10:19 Permalink
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Hartmuth Staffler Mo., 20.05.2019 - 22:30

Die beste Figur in diesem beschämenden Spektakel hat bis jetzt nach meiner Meinung Bundespräsident Van der Bellen gemacht. Er bezeichnet sich ja selbst als Tiroler, weil er in Tirol den Großteil seiner Kindheit verbracht hat und weil er immer noch richtig Kaunertalerisch sprechen kann. Wir können ihn daher als einen Landsmann ansehen.

Mo., 20.05.2019 - 22:30 Permalink
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Peter Gasser Sa., 14.12.2019 - 17:30

... mehr als "Niveaulosigkeit und Trottelhaftigkeit" vermögen Sie wirklich nicht zu erkennen?
Das würde wohl eher einen handfesten mafiösen Krimi abgeben, meinen Sie nicht?

Sa., 14.12.2019 - 17:30 Permalink