Gesellschaft | Antimafia

Trauer und Zorn auf Sizilien

Am 19. Juli 2017 jährt sich zum 25. Mal der Tod des Antimafia-Staatsanwaltes Paolo Borsellino. Ansa-Journalist Stefan Wallisch berichtete damals für die Wiener Zeitung.

Heute jährt sich zum 25. Mal der Tod des Antimafia-Staatsanwaltes Paolo Borsellino. Am 19. Juli 1992 fielen er und seine fünf Leibwächter einem Sprengstoffanschlag in der Via D’Amelio in Palermo zum Opfer.
Stefan Wallisch, der heute für die Nachrichtenagentur ANSA in Bozen arbeiten, berichtete damals für die Wiener Zeitungen über die tragischen Ereignisse.
Salto veröffentlicht aus gegebenen Anlass einen Artikel:

Wiener Zeitung, 25. Juli 1992

Trauer und Zorn auf Sizilien

Von Stefan Wallisch

Gestern wurde Paolo Borsellino, der am Sonntag von der Mafia ermordete Richter, begraben. In ganz Italien, besonders aber in Palermo, ist die Bevölkerung voll Trauer und Zorn, denn immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass dieser Mord verhindert hätte werden können. Einmal mehr versammelten sich Tausende Menschen in den Straßen von Palermo, um ein weiteres Opfer im Krieg gegen die Mafia zu Grabe zu tragen. Diese Menschen sind verzweifelt, denn der Cosa Nostra ist es gelungen, innerhalb von acht Wochen das schlagkräftige Duo Falcone/Borsellino zu vernichten. Der Zorn wendet sich gegen die Politiker, die für diese Situation verantwortlich gemacht werden. Wie beim Begräbnis der Leibwachen am vergangenen Dienstag wurde gestern der Polizeipräsident Vincenzo Parisi mit Pfiffen und Schmährufen empfangen.

Beim Begräbnis des Richters, das erst gestern stattfand, weil eine seiner Töchter aus dem Ausland hatte anreisen müssen, waren Kameras im Inneren der Kirche verboten, um die Dokumentation von Unmutsäußerungen zu vermeiden. Mit großem Applaus wurde hingegen Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando, einer der letzten Kämpfer gegen das organisierte Verbrechen, empfangen, als er sich mit seinen Leibwächtern vor der Kirche dem Trauerzug anschloss. Leoluca Orlando ist womöglich der letzte Politiker Siziliens, dem die Bevölkerung Glauben schenkt. Da er in der Democrazia Cristiana keine Rückendeckung fand, trat er aus und gründete die Rete, ein Auffangnetz für die enttäuschten Politiker aller Parteien, die sich zu einer sauberen Politik der Mitte bekennen wollen.

In den Tagen vor dem Attentat auf Borsellino musste Orlando seine Wohnung wechseln und alle öffentliche Auftritte absagen, weil auch er immer mehr ins Fadenkreuz der Mafia kam. Als er aber am Sonntag kurz nach Borsellinos Tod einen anonymer Anrufer Orlando als nächstes Opfer der Mafia nannte, trat dieser vor die Medien und versprach dennoch weiterzumachen.

Die Leibwächter und Richter von Palermo haben hingegen ihre Arbeit niedergelegt. Sie fordern von den Politikern entschiedene Maßnahmen. Diese scheinen zu reagieren. Die inhaftierten Mafiapaten wurden in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt und von der Außenwelt völlig abgeriegelt, weil klar wurde, dass sie von ihren Zellen aus wie gewohnt regierten. Als sich die Gerüchte verdichteten, dass die Ermordung Borsellinos angekündigt worden war und auch zu verhindern gewesen wäre, versprach Justizminister Claudio Martelli, hart gegen die Verantwortlichen durchzugreifen. Das Parlament hat gestern endlich das Anti-Mafia-Dekret verabschiedet, das zuvor wochenlang durch Parteistreitigkeiten blockiert worden war. Die Mafia wollte mit den beiden Bombenanschlägen auf die Richter Giovanni Falcone (23. Mai) und Paolo Borsellino die Bevölkerung einschüchtern.

Viele Spekulationen ranken sich um die Morde. Die einen sagen, Falcone und später Bosellino hätten die neu zu gründende „Superstaatsanwaltschaft“ leiten sollen, und dies sei für die großen Paten gefährlich gewesen. Die anderen sprechen von gewaltigen Drogengeschäften der Mafia in Kolumbien, denen die beiden Richter auf der Spur waren. Die Familie Borsellinos versichert, dass dieser knapp daran war, die Mörder seines Freundes seit Studienzeiten, Giovanni Falcone, aufzudecken.

Die Ermordung Borsellinos fiel in eine Phase, als Italien langsam wieder Glauben in Politik und Justiz gewann. Schließlich zeigte der Richter Antonio Di Pietro in Mailand, dass der Staat noch funktioniert. Er hat einen gewaltigen Schmiergeldskandal aufgedeckt, in dem Industrielle und Politiker aller politischen Lager verwickelt sind. Salvatore Ligresti, angeblich einer der fünf reichsten Männer Italiens, landete genauso im Gefängnis wie praktisch der ganze Kommunalrat von Reggio Calabria. Für Aufregung in Italien sorgte die Warnung eines „bekehrten“ Mafioso, dass Di Pietro das nächste Opfer der Mafia sein wird. Di Pietro wird zwar bereits seit Wochen schärfstens bewacht, die ist aber keine Garantie mehr, wie die Bombenanschläge gezeigt haben.

Eher als symbolische Geste hat Exstaatspräsident Cossiga auf seine Leibwache verzichtet. Er riet den Politikern, seinem Beispiel zu folgen, damit die Leibwachen sich auf jene Richter und Staatsanwälte konzentrieren können, die tatsächlich eines effektiven Schutzes bedürfen.