Politik | Finanzautonomie

Aufgefrorene Millionen

Landeshauptmann, Landesrat und Bürgermeister freuen sich über aufgefrorene Verwaltungsüberschüsse – und “eine sinnlose Regelung weniger für unser Land”.
Südtirol-Fahne
Foto: Südtirolfoto/Udo Bernhart

Viele zufriedene Gesichter gibt an diesem Tag. Beim Landeshauptmann, beim zuständigen Landesrat, in seinem Ressort und wohl auch bei den allermeisten Bürgermeistern im Land. Von einem “Quantensprung” ist die Rede, von einem “wichtigen Erfolg”, einer “enormen Leistung”,  Der Grund für die Jubelstimmung? Eine Nachricht aus Rom.

Die italienische Regierung wird das Landesgesetz Nr. 7 vom 15. Mai 2018 und damit Art. 3 dieses Gesetzes nicht anfechten. Damit können die 116 Südtiroler Gemeinden und das Land künftig frei über die Verwaltungsüberschüsse in ihren Bilanzen verfügen. Wirklich frei. Eine jahrelange Odyssee der Unsicherheit, der Rechtsstreitigkeiten und politischen Hickhacks dürfte nun zu Ende sein. “Unsere Finanzautonomie ist heute stärker denn je!”, meint Landehsauptmann Arno Kompatscher mit Genugtuung.

 

Von Harmonie keine Spur

Ausgangspunkt für die Irrfahrt ist das Jahr 2011. Im Harmonisierungsdekret Nr. 118 legt die damalige Regierung Berlusconi aufgrund einer Vorgabe aus Brüssel fest, dass Gemeinden, Provinzen und Regionen ihre Verwaltungsüberschüsse ab 2015 an den Staat abführen müssen.
Verwaltungsüberschüsse sind Ersparnisse, die nicht gebraucht oder ausgegeben werden (können) – und die der Staat nun von den öffentlichen Körperschaften einfordert, um zur Sanierung seiner Kassen beizutragen.
Machen wir nicht, denn das käme staatlichem Raubrittertum gleich, meinen viele öffentliche Verwaltungen – und bekommen vom Verfassungsgerichtshof recht. Zurückholen darf sich der Staat die überschüssigen Gelder nicht. Aber sie werden eingefroren, dürfen nicht verwendet werden.

Inzwischen zieht der 15. Oktober 2014 vorbei. An jenem Tag unterzeichnet Landeshauptmann Kompatscher mit der Regierung von Matteo Renzi den so genannten Sicherungspakt. Dieser garantiert Südtirol de facto eine Finanzautonomie. Das Abkommen wird durch einen Briefwechsel zwischen Italien und Österreich völkerrechtlich abgesichert: Bis zum Jahr 2022 zahlt Südtirol jährlich 476 Millionen Euro in die Staatskassen. Die jährliche Abgabe ist auf 0,6 Prozent der Kosten der Staatsschulden des Jahres 2014 festgelegt. “Bekanntlich sind diese Kosten gesunken – damit wird auch unser Beitrag sinken”, erklärt der Generalsekretär des Landes, Eros Magnago im Mai als der Verfassungsgerichtshof zum wiederholten Mal bestätigt: Die italienische Regierung darf bis auf die im Sicherungspakt festgelegten Gelder keine zusätzlichen Finanzmittel von Südtirol einfordern.

 

Die Nachricht kam in der Nacht auf Mittwoch

“Die Urteile des Verfassungsgerichtshofes haben dazu geführt, dass die Regierung jetzt auf die Anfechtung des Landesgesetzes verzichtet hat”, berichtet der Landeshauptmann wenige Stunden nachdem er “die frohe Botschaft” erfahren hat. Bis 24. Juli ist Zeit, dann sind die 60 Tage für die Rekurs-Frist ab Veröffentlichung des Landesgesetzes im Amtsblatt vorüber.

“Das Risiko für eine Anfechtung war nicht klein”, bestätigt Arnold Schuler, der als Landesrat für die Gemeinden zuständig ist. Doch man wollte es wissen, Rom auf die Probe stellen. Im Vorjahr war noch eine Ausnahmeregelung zusammengeschustert worden, im vergangenen Mai legte man schließlich per Landesgesetz fest, dass Verwaltungsüberschüsse als Teil der endgültigen Einnahmen der öffentlichen Verwaltungen zu betrachten seien und sie somit verwendet werden dürfen. Auch wenn der 24. Juli noch nicht um ist – man habe aus Rom bestätigt bekommen, “dass unsere Landesbestimmung definitiv nicht angefochten wird”, betont Schuler.

 

Hunderte aufgefrorene Millionen

Aufgefroren wurden 300 Millionen Euro in den Kassen des Landes und über 400 Millionen Euro in den Gemeindekassen. Diese Gelder dürfen die öffentlichen Verwaltungen nun ausgeben. Über die Verwendung der Landesmittel soll der Landtag befinden, sicherte die Landesregierung im Mai zu.
“Hunderte Millionen waren auf Eis gelegt – diese Verwaltungsüberschüsse nicht verwenden zu dürfen, wäre absolut nicht nachvollziehbar gewesen”, betont Landesrat Schuler nun. Er zeigt sich zufrieden: “Wir haben Sicherheiten geschafft: Rechtssicherheit, die den Verwaltungen beträchtliche Geldmittel sichert, über die sie selbst entscheiden können – und damit langfristige Planungssicherheit.” In vielen Gemeinden sei aufgrund der Sorge über eine Anfechtung seit der Verabschiedung des Gesetzes eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten gewesen, meint Schuler, “man wusste nicht, ob die Verwaltungsüberschüsse verwenden soll oder nicht”.

Eine dieser Gemeinden ist St. Lorenzen. “Das, was sehr sachlich klingt, bedeutet für Südtirol enorm viel in Sachen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Die Finanzautonomie wurde weiter ausgebaut”, kommentiert der dortige Bürgermeister, Martin Ausserdorfer, am Mittwoch auf Facebook. “Für die Gemeinde Lorenzen bedeutet dies, dass 2,4 Millionen Euro sofort verwendet werden können.” Ausserdorfer macht keinen Hehl daraus, wem er an diesem Tag danken will: Es sei Arno Kompatscher gewesen, der sich in Rom “politisch durchgeboxt” und “zäh verhandelt” habe. Töne wie “Der Mut hat sich ausgezahlt” sind auch aus der Landesverwaltung zu vernehmen. Indes freut sich der Landeshauptmann selbst über “eine sinnlose Regelung weniger für unser Land”.