Politik | Unabhängigkeit

"Schottland ist erst der Anfang“

Keine Trübsal über das schottische Nein in Südtirol: Eine Niederlage wird rundum als Sieg interpretiert - und das Selbstbestimmungs-Referendum feiert Wiederauferstehung.

„Feuer unter dem Morgenrock der Deutschpatrioten“ hatte der Grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss im Fall eines schottischen „Yes“ zur Selbstimmung erwartet. Auch wenn es nun ein „Nein“ geworden ist, scheint der Enthusiasmus der stärksten Verfechter einer Südtiroler Selbstbestimmung dennoch befeuert worden zu sein. „Ein historischer Morgen“, „eine Sternstunde für die demokratische Diskussion“, „der Zug der Freiheit ist nicht mehr zu stoppen“: Mit solcherlei Kommentaren bewertete die Führungsspitze der Südtiroler Freiheit am Freitag Vormittag den Ausgang der schottischen Abstimmung. Auch wenn man einen Sieg der Unabhängigkeit begrüßt hätte – das wesentlichste sei, dass „ein Land, das bis vor 15 Jahren kein eigenes Parlament hatte überhaupt seine Unabhängigkeit abstimmen durfte“, erklärte Sven Knoll.

Die hohe Wahlbeteiligung, der friedliche Ablauf und vor allem die nun gemachten Zugeständnisse der britischen Regierung in Sachen Vollautonomie würden viele der Totschlagargumente in der Diskussion über Selbstbestimmung entkräften. Und zwar so weit, dass das Landtags-Trio Eva Klotz, Sven Knoll und Bernhard Zimmerhofer bereits einen Beschlussantrag vorbereitet hat, mit dem an das schottische Vorbild angeknüpft werden soll: mit einer bindenden Volksabstimmung über die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien. Über eine solche soll die Landesregierung laut dem Beschlussantrag mit der Regierung in Rom in Verhandlung treten. Denn mehr als 43 Klagen vor dem Verfassungsgericht und 3,4 Milliarden Euro, die Rom Südtirol derzeit schuldig sei, würden klar aufzeigen, dass der autonomiepolitische Kurs der Südtiroler Volkspartei zu überdenken sei, meinte Knoll.

Südtiroler Freiheit auf Al Jazeera

Wie eng Schottland mit Südtirol verbunden sei, zeigt Freitag auch eine der Grafiken, die über das Netzwerk Twitter geteilt wurde. "The Scots aren't alone. Here, a map of the most important independence movements in EU", so der dazu lautende Kommentar.

Auch bei der Südtiroler Freiheit berichtet man über zahlreiche Interviewanfragen aus der ganzen Welt. So wäre Pressesprecher Christian Kollmann am Donnerstag bei einer Live-Diskussion des Senders Al Jazeera zugeschalten gewesen und habe Medien aus Ländern wie Russland, Kroatien oder Finnland Rede und Antwort gestanden.  „Außerhalb des deutschsprachigen Raums wird an das Thema Selbstbestimmung weit offener und sachlicher herangegangen“, sagte Sven Knoll.

Schützen: "Tatkraft für Südtirol mitnehmen"

Ganz auf der selben Linie die Reaktionen aus der Schützen-Zentrale in Edinburgh: Von dort klingt auch ein wenig Neid auf die Tatkraft des schottischen First Minister Alex Salmond durch. „Während andere Völker in Europa der Zentralregierung scheinbar bedingungslos die Stange halten, hat er es mit einem Husarenstück verstanden, sich in kürzester Zeit von einem unbedeutenden Politiker in einer Kleinpartei zu einem der beachtetsten  Sterne am europäischen Polithimmel zu mausern“, schreibt der SSB.  Auch wenn Schottland das gewünschte Ziel nicht erreicht hätte, bieten seine Erfahrungen für Südtirol nun eine neue Chance – „es besser zu machen und jene Schwachpunkte zu beheben, die für die knappe Niederlage der Schotten wohl ausschlaggebend waren.“

SVP: Starkes Signal für Europa der Regionen

In eine andere Richtung wird das schottische Ergebnis naturgemäß von der Südtiroler Volkspartei interpretiert. Dort wird nicht zuletzt die hohe Wahlbeteiligung als klares Signal an Brüssel gesehen. „Gerade jetzt sollte die Europäische Union bereit sein, eine ernsthafte Debatte über ein wahres ‚Europa der Regionen‘ zu führen und über mehr autonome Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten der Regionen innerhalb der EU zu diskutieren“, so SVP-Obmann Philipp Achammer. Den  Selbstbestimmungsforderungen der Südtiroler Freiheit setzt er die Umsetzung der Vision einer Europaregion Tirol entgegen. „Wir müssen gemeinsam deutlich machen, dass eine ernsthafte Zusammenarbeit auch über Staatsgrenzen hinweg möglich ist“, so der SVP-Obmann. Parallel dazu gingen die Bemühungen in Richtung Überarbeitung des Autonomiestatuts und somit „größere Eigenständigkeit und Selbstverwaltung im Rahmen unserer Autonomie“ .

Pöder: „Nachhaltige Wirkung auf das Demokratieverständnis in den übrigen EU-Staaten“

Applaus auch von Andreas Pöder. Der sieht das schottische Referendum als Stück der EU-Geschichte: Denn: „Dass es im Rahmen der Europäischen Union ein Referendum über die Unabhängigkeit eines Teils eines Nationalstaates geben könnte, wurde bislang von allen Nationalstaaten und von Brüssel heftig bestritten“, so Pöder. Insofern werde es nun auch eine nachhaltige Wirkung auf das Demokratieverständnis in den übrigen EU-Staaten geben.