Chronik | Tenti-Prozess

"Deine Männer"

Das abgehörte Telefongespräch zwischen Katia Tenti und Cuno Tarfusser ist jetzt offiziell Teil der Prozessakten. Dahinter steht ein ungeheurer Verdacht der Ermittler.
Telefone
Foto: upi
Es war die bisher kürzeste Verhandlung in einem langen Prozess.
Der Vorsitzende Richter Carlo Busato und die Beisitzer Stefan Tappeiner und Ivan Perathoner kamen am Dienstag gegen 9 Uhr in der Aula das Landesgerichts zusammen. Nach ein paar Minuten war die Verhandlung im Prozess gegen die ehemalige Landesbeamtin und Ressortdirektorin Katia Tenti und den Unternehmer Antonio Dalle Nogare bereits wieder zu Ende. Denn es ging an diesem Tag nur darum, dass eine gerichtlich beeidete Sachverständige ein Protokoll hinterlegt.
Wie unspektakulär diese Hinterlegung auch war, umso brisanter ist der Inhalt des Schriftstücks. Es ist die Abschrift eines Telefongesprächs zwischen der Angeklagten Katia Tenti und dem ehemaligen Staatsanwalt und Richters am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag, Cuno Tarfusser.
Das Telefongespräch und die Abschrift sind eine Art Krimi im Krimi. Denn die Staatsanwaltschaft will anhand dieses Beweisstückes einen ungeheuren Verdacht untermauern. Die Tatsache, dass Katia Tenti vorab informiert wurde, dass die Ermittler der Carabinierisondereinheit ROS ihr Telefon abhörten.
 

Die Vorgeschichte

 
Katia Tenti und Cuno Tarfusser sind seit einigen Jahren privat befreundet. Die langjährige rechte Hand von Christian Tommasini ist auch als Autorin tätig. In den vergangenen Jahren erschienen im renommierten Verlag „Marsilio“ zwei Romane Tentis, die sich beide an realen Südtiroler Justizfällen orientieren. 
Der Protagonist in Tentis literarischem Debüt „Ovunque tu vada“ ist ein junger Bozner Staatsanwalt namens Jakob Dekas, der unschwer als Cuno Tarfusser zu erkennen ist. Tarfusser trifft sich 2012/2013 mehrmals zu Recherchegesprächen mit Tenti. Zudem erhält die Schriftstellerin Einblick in einige Fälle im Archiv des Landesgerichts.
Auch als die Ermittlungen gegen Katia Tenti bekannt werden, reißen die privaten Kontakte zwischen Cuno Tarfusser und Katia Tenti nicht ab. Ab Mitte Mai 2014 hören die ROS-Beamten Tentis Telefon ab. Dabei schneiden sie im Frühsommer 2014 auch vier Gespräche zwischen Tarfusser und Tenti mit.
 
Weil der Chefermittler Alessandro Fontana in seiner Aussage vor Gericht mehrmals auf eines dieser abgehörten Telefongespräche Bezug nimmt, ordnet der Richtersenat bereits im Frühjahr die Abschrift eines Anrufes an.
Es handelt sich dabei um ein Telefongespräch, das am Abend des 29. Mai 2014 stattfindet. Der Großteil des Gesprächs dreht sich dabei um private und berufliche Dinge. Etwa Tentis neues Buch oder Cuno Tarfussers Arbeit in Den Haag.
Für die Öffentlichkeit und das Gerichtsverfahren relevant ist jener Teil in dem abgehörten Telefongespräch, in dem Tenti auf die Ermittlungen zu sprechen kommt.
 

„Informationen eingeholt“

 
Cuno Tarfusser: Und deine Sachen?
Katia Tenti: Meine Sachen. Welche? Was willst du wissen?
Tarfusser: Nein, nein deine....du redest...über die du reden möchtest...
Tenti: Schau, die Gerichtsangelegenheiten gehen weiter...dabei muss ich dir sagen, hat es eine nette, eine sehr nette Episode gegeben. Hier sieht man auch, dass der Mensch einfach schön und neugierig ist. Der Maresciallo des ROS hat mich vorgeladen, ich musste etwas unterschrieben...die Wahl der Zustelladresse, irgendwelche Papiere...dabei haben wir ein bisschen geplaudert. Wir redeten über Bücher. Er sagte mir, dass er Krimis lese und er deutete an, dass er auch mein Buch gerne lesen würde. Ich habe ihm und den Brigadier Crognale je ein Buch bringen lassen. Ich muss dir sagen, es war wirklich nett. Denn Crognale hat mich angerufen, um mir in seinem, aber auch im Namen des anderen zu danken...
Tarfusser: Wer ist der andere?
Tenti: Der andere heißt Alessandro Fontana vom ROS in Trient....Er ist auf Draht.
Tarfusser: Von dem du gesagt hast, dass er so arrogant ist...
Tenti: Ja, im ersten Moment, als er bei mir die Hausdurchsuchung machte, erschien er mir ein bisschen besessen. Aber als ich dann zu ihm ins Büro ging, war er total ruhig. In seiner Umgebung, in seinem Habitat, hat er auf mich einen völlig anderen Eindruck gemacht. Ich muss zugeben, dass er mir einen Eindruck....
 
Tarfusser: Ich habe dann...weil ich ihn nicht kenne. Jedenfalls glaube ich ihn nicht zu kennen. Ich habe versucht, Informationen zu erhalten. Das Ergebnis: Das ist einer, der tüchtig ist...
Tenti: Ja genau. In dem Moment war er sehr exaltiert. Aber auch ich war in dieser Situation sehr berührt und schockiert. Wie kann ich sagen, vielleicht habe ich auch...Du kennst das ja. Danach mit mehr Ruhe und Gelassenheit habe ich mir gesagt: Da kommt ein irrelevanter Gemeinderat daher (gemeint ist der ehemalige Bozner M5S-Gemeinderat Alberto Filippi – Anm. d. Autors), macht eine Anzeige, konstruiert ein Theorem, das er sich selbst zusammengestellt hat, dann muss die Staatsanwaltschaft ermitteln..
Tarfusser: ....das ist klar...
  

Literarische Figuren

 
Katia Tenti erzählt Tarfusser, dass sich die Ermittler für ihre Arbeit als Schriftstellerin interessiert hätten.
 
Tenti: Ich habe ihm dann gesagt: „Sie sind wirklich eine literarische Figur“. Ich habe aus dieser ganzen Geschichte viele Anhaltspunkte für meinen nächsten Roman gewonnen. Deshalb habe ich ihnen gesagt: Wenn alles fertig ist, bitte ich euch, mir eure Identitäten zu schenken. Denn alle beide, sowohl der Brigadier wie auch der Maresciallo sind wirklich literarische Figuren.
 
Im Gespräch zeichnet Katia Tenti dann detailliert nach, wie sie den Unternehmer Antonio Dalle Nogare kennengelernt hat. Außerdem beschreibt sie die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden.
 
Tenti: Es wird sich alles klären. Aber das ganze ist einfach ein Ei. Das dauert alles viel zu lange. Man hört mich nicht an. Ah, Fontana hat mir gesagt: „Machen Sie doch eine Stellungnahme zu ihrer Verteidigung“.
Tarfusser: Das sage auch ich....(...)...
 
Tenti: Ich bin dann draufgekommen, dass gegen mindestens der Hälfte meiner Kollegen in der Landesverwaltung wegen anderer Dinge ermittelt wird....
Tarfusser: Logisch. Das war doch das erste, was ich dir gesagt habe: Einer, gegen den nie ermittelt wurde, der ist doch nichts...
Tenti: Insoma...
Tarfusser: Das ist so, cazz...
 

Tommasinis Verhalten

 
Tenti: Die schlimmste Sache aber ist, dass mein Landesrat (gemeint ist Christian Tommasini – Anm. d. Autors) – ich will nicht sagen, dass ich mir erhofft habe, dass er mich groß verteidigt – nicht einmal zugibt, dass er es war, der dieses Programm der Mittelstandswohnungen im Wahlkampf unbedingt wollte. Ich habe die Mails, wo er sagt: „Machen wir weiter, machen wir weiter“. Er sagt dazu kein Wort. Zudem hat er mich im Büro völlig kaltgestellt. Er behandelt mich wie eine „deficiente“. Er hatte sogar die Courage zu behaupten: Wenn er bei den nächsten Wahlen schlecht abschneiden würde, dann zahlt er die Rechnung für meine Beziehung zu Dalle Nogare... Das ist keine menschliche Ebene, einfach null.
Tarfusser: Wie ich dir gesagt habe.
Tenti: Du hast mir das gesagt.
Tarfusser: Es wundert mich kaum.
 
Tenti: Du hast mir das gesagt. Aber er war für mich wie ein Bruder. Ich habe ihn wirklich als Bruder gesehen. Für mich war es viel mehr als nur ein berufliches Verhältnis. Ich habe ihn immer verteidigt. Auch bei unverteidigbaren Dingen. Seine ganzen Schwächen. Bah, eben Politik.
 
Dabei werden diese Themen im Tenti-Prozess noch Gegenstand der Gerichtsverhandlung werden: Denn im Jänner 2019 wird der ehemalige PD-Landesrat Cristian Tommasini als Zeuge im Prozess angehört.
 

„Lass mich wissen“.

 
Katia Tenti und Cuno Tarfusser reden dann lange über Tentis Buch, in dem der fiktive Cuno Tarfusser die Hauptperson ist.
 
Tenti: Schau, es ist mein größter Schmerz, dass ich die Buchverstellung nicht mit dir machen konnte....Aber es wird noch kommen.
Tarfusser: Sicher werden wir das machen. Lass dir ein bisschen Zeit..(...)...dann ist das ganze fertig. Schauen wir, dass wir das wir das ganze beschleunigen können, cazz...
Tenti: Eben. Aber die Justiz braucht eben ihre Zeit. Vielleicht kannst du ja in Turin, beim Circolo degli editori dabei sein. Das ist wirklich wichtig....
Tarfusser: Ja, ja.
...(...)...
Tenti: Also, lass mich wissen, wenn du alle deine Männer gehört hast und schönen Abend.
 
Gerade diese Verabschiedung wertet die Anklage als klares Ersuchen Tentis an Tarfusser, Informationen über die Ermittlungen einzuholen. Der im Telefongespräch angesprochene ROS-Beamte Alessandro Fontana, der auch für die Abhörungen zuständig war, sagte im Zeugenstand offen, dass man diese Worte als klare Interferenz Tarfussers aufgefasst habe.
 
Vor allem aber hegt die Staatsanwaltschaft einen schwerwiegenden Verdacht. Das Verhalten von Cuno Tarfusser und Katia Tenti am Telefon – auch bei weiteren Abhörungen – deutet darauf hin, dass beide wussten, dass sie abgehört wurden. Und nicht nur das. Auch wer sie abhört. Denn wenig später grüßt Katia Tenti - in einem Telefongespräch mit Antonio Dalle Nogare - den ROS-Beamten Alessandro Fontana. Eine Episode, die vor Gericht auch zur Sprache kam.
Cuno Tarfusser widerspricht im Gespräch mit salto.bz im vergangenen Jahr energisch dieser Interpretation: "Das ist eine Unterstellung, die keinerlei Fundament hat".
Eine indirekte Folge hatte dieses abgehörte Gespräch bereits. Die Ermittlungen im Fall Tenti/Dalle Nogare leitet Staatsanwalt Giancarlo Bramante. Nach Bramantes Berufung zum leitenden Staatsanwalt wurden einige leitende Beamte im Gerichtspalast versetzt. Unter anderem der Chef der Abteilung, die für die Abhörungen zuständig ist. Die offizielle Begründung: „Ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis“.
Steht dahinter Katia Tentis Anspielung zu Tarfusser über „alle deine Männer“?