Gesellschaft | Fußball

Ein Spiegel unserer Gesellschaft

Rassismus, Diskriminierung und Sexismus, aber auch Toleranz, Offenheit und Respekt: Fußball ist nicht nur Sport, sondern eine komprimierte Zeichnung unserer Gesellschaft.
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Foto: (Foto: salto.bz)

„Es ist doch nur Fußball!“, „Das sind nur elf Deppen, die einer Kugel nachlaufen“ - oder „Fußball ist wie eine Religion“, „Die schönste Nebensache der Welt“: Die Meinungen rund um die Welt des runden Leders gehen weit auseinander. Für die einen ist es eine sinnbefreite Aktivität, deren Aushängeschilder wegen durchtrainierter Körper statt durchtrainierten Verstandes auf einem viel zu großen Feld herumdümpeln und unsäglich viel Geld verdienen. Für die anderen integraler Bestandteil des alltäglichen Lebens, der auf der Prioritätenliste auf einer Stufe mit sozialen Beziehungen und dem Berufsleben steht. Wo sich jedoch alle einig sein können, ist die Tatsache – wenn auch nicht immer bewusst – dass der Fußball Menschen zusammenbringt, mit seinen ganzen positiven als auch negativen Aspekten.

Diese Eigenschaft machte sich die Organisation blufink zu Nutze, indem sie am Dienstag Abend im Rahmen des Projekts "Conflict Kitchen“ zur ausgiebigen Diskussion und zum regen Meinungsaustausch rund um das Thema Fußball geladen hat. Zahlreiche sogenannte Impulsgeber, darunter auch FabianTait und Alessandro Fabbri vom FC Südtirol, nahmen sich Zeit, um sich zu den Themen "Calcio – fattore integrazione“, "Traumberuf Fußballspieler“, "Calcio fra gioco e prestazione“, "Sichtbarkeit für Frauen im Fußball“ oder "Mini-WM in Milland“ auszutauschen, so Stammtischdiskussionen der etwas anderen Art zu bewerkstelligen und die gesellschaftliche Wichtigkeit des Fußballs hervorzuheben.

Wenn ihr wollt, dass ich die Sprache lerne, dann bringt es mir mehr, Freunde zu suchen, mit denen ich kicken kann. Das geht schneller als in der Schule

Integration

Massimo Antonino, Mitarbeiter von La Strada|Der Weg und Gründer des Vereins GS Excelsior, und Basamba Gassana, ein afrikanischer Flüchtling, der seit fünf Jahren in Bozen lebte, erzählen von ihren Erfahrungen mit dem Fußball als Mittel und Faktor zur Integration. "Ich bin nicht gern zur Schule gegangen. Ich habe sie anfangs immer geschwänzt. Als mich meine Lehrer darauf ansprachen, gab ich ihnen einfach zur Antwort: Wenn ihr wollt, dass ich die Sprache lerne, dann bringt es mir mehr, Freunde zu suchen, mit denen ich kicken kann. Das geht schneller als in der Schule“, erzählt Basamba, als er uns über seine Ankunft in Bozen berichtete.

Auf diesem Prinzip baut auch das Projekt GS Excelsior auf, das den Faktor Mannschaft als Motor verwendet, um Menschen aus verschiedensten Teilen der Gesellschaft, sei es Flüchtlinge, Menschen mit Behinderung oder einfache Fußball-Aussteiger Luft der Normalität atmen zu lassen und ihnen ein sportliches Zuhause schenkt. Dass Menschen ob ihrer Hintergründe nicht allzu selten abgewiesen werden, darüber sind sich Basamba und Antonino einig. Fußball bildet ein Potpourri verschiedener sozialer Schichten und Nationalitäten, Rassismus und Diskriminierung finden in solchen Verbindungen immer ihre Wortführer. Aber er bringt genau so Menschen wie Antonino hervor, die ihn als Nährboden für Offenheit und Toleranz nutzen.

 

 

Gleichstellung

Auch Annalena Santin, eine junge Fußballerin des SSV Brixen, Ana Izabel (il calcio unisce) und Yvonne Rauter vom Frauenmuseum Meran bilden ein Glied der Fußballkette – wenn auch (noch) am Rande der Aufmerksamkeit – das sich im Rahmen dieses Sports Herausforderungen stellen muss, die im größeren Rahmen im Alltag vorzufinden sind. Genau darum ging es auch in ihrer Runde "Sichtbarkeit für Frauen im Fußball“. Dass Frauen auf vielen Ebenen noch nicht gleichgestellt sind, ist nicht nur ein Phänomen auf unserem Arbeitsmarkt oder in einigen Haushalten, es manifestiert sich auch im Sport, umso mehr in der Männerdomäne Fußball.

Man kann durchaus argumentieren, das Frauen-Fußball nicht den Ansprüchen des gemeinen Fußballfans genügt – in der Tat ist es nicht zu bestreiten, dass er vor allem physisch nicht das Niveau des Männerpendants erreicht und sich dies folglich auch auf taktische und technische Aspekte auswirkt. Entsprechend zieht es zum Missfallen der Verbände nicht die Massen vor den Fernseher oder ins Stadion – und neben dem Spaßfaktor ist und bleibt der Fußball immerhin ein Geschäft. Jedoch sind es nicht nur diese Dinge, die den Durchbruch der Fußballerinnen behindert.

Ich würde mich schwer tun, meine kleine Tochter einem männlichen Trainer einer Mannschaft voller Jungen anzuvertrauen.

"Ich würde mich schwer tun, meine kleine Tochter einem männlichen Trainer einer Mannschaft voller Jungen anzuvertrauen“, argumentiert eine Teilnehmerin der Diskussionsrunde. Obwohl es in vielen anderen Sportarten zur Normalität gehört, legt der Fußball noch diese Hemmschwelle vor. Einerseits basierend auf der Tatsache, dass es für Mädchen, die die Pubertät noch nicht erreicht haben, keine eigenen Teams gibt, andererseits auch durch die Geschehnisse der letzten Jahre, als unter anderem im Zuge der #metoo-Kampagne zahlreiche Sportlerinnen zu sexuellem Missbrauch in ihren Jugendjahren ausgepackt haben. Diese durchaus begründeten Sorgen bilden immer noch einen Schatten, der Frauen im Fußball bereits den Eintritt erschwert. Ganz abgesehen von den Herausforderungen, die sich ihnen stellen, wollten sie sich im Männerfußball etablieren.

Ein Spiegel unserer Gesellschaft

Denn zum Beispiel sind männliche Trainer im Frauen-Fußball keine Seltenheit, eine Frau als Chef-Trainerin eines repräsentativen Männer-Teams sucht man vergeblich. "Il mondo del calcio maschile non lo permette. C'è ancora troppo sessismo“, Alessandro Fabbri ist einer der wenigen, der sich nicht zu verlegen fühlt, die Tatsachen offen auf den Tisch zu legen. Fabian Tait bestätigt den Einwurf seines Teamkollegen: "Für eine Frau wird es schwierig, eine Männermannschaft auf autoritärer Ebene zu erreichen. Einerseits hängt das damit zusammen, dass man zu seinem Trainer bestenfalls aufschaut, er muss auch Erfolge vorweisen. Und im Damen-Fußball gibt es nun mal noch keine Wettbewerbe, die das nötige Prestige mitbringen. Außerdem ist es einfach etwas anderes, wenn ein Mann als Trainer vor dir steht und dich anbellt.“ Aussagen, die einige Gemüter erhitzen mögen, die aber dem gängigen Status Quo entsprechen.

Il mondo del calcio maschile non lo permette. C'è ancora troppo sessismo.

"Fußball ist ein Spiegel unserer Gesellschaft“ - ein Satz, der schon des Öfteren und so auch am Dienstag gefallen ist. An diesem Abend wurde diese Aussage seziert und auf die Probe gestellt. Es würden wohl nur die Dimensionen eines Buches reichen, um der Vielfalt und Tiefe der Diskussionen gerecht zu werden. Jedoch hat es blufink geschafft, einer oberflächlich betrachtet banalen Angelegenheit wie dem Fußball Seele sowie gesellschaftliche und kulturelle Relevanz einzuhauchen. Man hat Männer und Frauen, Menschen verschiedener Länder, Menschen aller Altersklassen, Menschen aus verschiedenen Realitäten zusammengebracht und einen Diskurs entfacht, der ganz im Sinne der "Conflict Kitchen“ zwar viel Konfliktpotenzial hervorbringt – jedoch den Teilnehmern vor Augen geführt hat, wie dieser Sport Parallelen zu den Problematiken und Hürden des alltäglichen Lebens in einem überschaubaren Bereich bildet. Letztendlich muss man den Verfechtern der schönsten Nebensache der Welt recht geben: Es ist eben doch nicht NUR Fußball.