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Das Sardische in Literatur und Musik

Sprechen in Sardinien? Teil 2 – Ein Gespräch über Moden, Musik, literarische Übersetzungen und über den jüngst verstorbenen Anthropologen Giulio Angioni.
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Foto: Quelle: minet-tv.com

Salto.bz: Sardisch ist wieder „in Mode“? Seit wann schämen sich die Sarden nicht mehr Ihre Sprache zu sprechen?
Alexandra Porcu: „In Mode“ wäre schön, aber so weit sind wir noch lange nicht. Viele schämen sich immer noch. Hinzu kommt, dass nur noch wenige Sardisch als echte Muttersprache gelernt haben. Die letzten muttersprachlichen Sprecher, die ich kennengelernt habe, sind selten unter 40, und selbst diese hatten dann starke Kontakte zu den Großeltern oder kommen aus kleineren Dörfern und nicht aus den größeren Städten. Viele andere sind gebildete Autodidakten und haben sich, wie ich, aus wissenschaftlichem oder politischem Interesse damit beschäftigt.

Sie übersetzen Sardische Literatur ins Deutsche. Ist das Italienische für Sie eine Brücke nach Sardinien?
Ja, ich habe einige Texte und unter anderem auch einen Roman übersetzt, „Su Cuadorzu“ / Der Fluch von Orioli von Nanni Falconi. Nein, Italienisch ist keine „Brücke“. Im Gegenteil, hierbei ist die Kenntnis des Lateinischen oder anderer romanischer Sprachen, wie Spanisch beispielsweise hilfreicher. Das Deutsch und Sardisch sind sich in ihrer Struktur ähnlicher, als Italienisch. Sardisch und Deutsch sind sehr analytisch, man reiht mehr Wörter aneinander, als Morpheme zu verwenden, die Träger grammatikalischer Informationen sind. So ist der Satzbau ähnlich. Das Futur wird ähnlich gebildet. Häufig steht im Sardischen das Verb auch am Ende.
Davon aber abgesehen, sind die meisten Wörter in diesen Texten aus einem landwirtschaftlichen Wortfeld. Hat man Probleme beim Verstehen dieser Worte, so wird man auch im Italienischen keine Hilfe finden. Zumindest hatte ich die meisten Probleme mit Geräten, Pflanzen und Tieren, die ich partiell schneller im Deutschen fand, als im Sardischen. Zudem gibt es ein tolles Wörterbuch von Mario Puddu, auch als Onlineversion des Verlages Condaghes, welches auch ins Deutsche und Englische funktioniert.

Sardinien prägt auch eine junge, neue Literaturlandschaft. Wird sie außerhalb der Insel  wahrgenommen?
Nicht wirklich. Insgesamt ist es immer noch schwierig zu definieren, was „sardische Literatur“ sein soll. Für die meisten reicht es aus, dass der Autor Sarde oder Sardin ist oder das Thema. Dies gehört allerdings der italienischen Literatur zugeordnet, da meiner Meinung nach, sardische Literatur auf Sardisch geschrieben sein sollte. Literatur auf Italienisch von Sarden und in viele Sprachen übersetzt gibt es. Beschränken wir also die Frage darauf, ob Literatur, die in sardischer Sprache geschrieben wird Beachtung findet. Die Antwort ist: Nein. Einige Klassiker sind ins Italienische übersetzt worden und wenige Einzelwerke. Trotzdem gibt es wirklich viel mehr Blogs und Geschriebenes auf Sardisch, als zuvor.

 Die sozialen Netzwerke sind das derzeitige Fundament des Sardischen.

Es gibt Zeitschriften auf Sardisch, allerdings keine Tageszeitungen und kaum Radio oder sardisches Fernsehen. Die Sprache wird vor allem mündlich weitergegeben...
Ja, es gibt häufig nur vereinzelte Rubriken in Zeitungen, einmalig finanzierte Projekte oder vereinzelte Bücher auf Sardisch. Selbiges gilt für Fernsehen und Radio. Teilweise werden sardische Theaterstücke im Regionalsender gezeigt. Neuerdings gibt es aber einen Online-Sender, EJA!TV, der zu über 60% in sardischer Sprache sendet, auch Live-Streamings anbietet. Die sozialen Netzwerke sind das derzeitige Fundament des Sardischen. Das schriftsprachliche Leben des Sardischen findet dort statt und hat womöglich dort angefangen. Die ersten Sardischschreiber haben sich im Internet getroffen, haben sich dort ausgetauscht und die Sprachgemeinschaft wachsen lassen.

Welche Zukunft prophezeien sie dem Sardischen?
Noch hat es eine Chance. Wenn man anfängt Lehrer zu schulen, sei es auch nur, um Grundkenntnisse des eigenen Dialektes zu vermitteln, so wäre dies von Vorteil. Leider war man in den letzten 18 Jahren zu sehr damit beschäftigt, die Sprache zu kodifizieren. Damit ist die Weitergabe an Kinder zunehmend in den Hintergrund geraten. Sollte man hier einen Weg finden, den Kindern die Sprache zu vermitteln oder bei den Erwachsenen ein Bewusstsein für die Zweisprachigkeit zu evozieren, dann gibt es noch eine Chance. Hierbei sollten vor allem die älteren Menschen, die echten Sprecher eine Rolle spielen und an diesem Revitalisierungsprozess aktiv beteiligt werden. Alles andere führt meiner Meinung nach nur zu einer Dialektalisierung des Sardischen. Es wird zunehmend mit dem Italienischen vermischt und quasi kreolisiert, indem immer mehr Wörter, grammatikalische Strukturen und lautliche Charakteristika der Nationalsprache ins Sardische übernommen werden. Es muss eine Lehre der Sprache stattfinden, solange es noch Menschen gibt, die die Sprache tatsächlich sprechen und kennen. Ansonsten hat das Sardische keine Zukunft und wird zu einem Dialekt des Italienischen degradiert werden.

Es gibt viele lokale Dialekte in Sardinien. Wie können diese in einem vereinheitlichten Sardisch bestehen?
Es ist keine Neuheit, dass Makrovarietäten des Sardischen existieren, die sich durch offensichtliche Unterschiede kennzeichnen. So wie man alle anderen Dialekte in Nord- Zentral oder Süddialekte einteilen kann, so kann man das auch in Sardinien. Es geht einfach nur darum, wie viele gemeinsame, klare Merkmale die verschiedenen Dialekte aufweisen und inwiefern man diese einer bestimmten Gruppe zuordnen kann. Insgesamt jedoch wäre es möglich das Sardische zu vereinheitlichen, wenn man zunächst ein wenig Spielraum für Varianten ließe beziehungsweise für identitätsstiftende Grapheme.
Ein Beispiel: Im Südsardischen gibt es ein „X“, im Nordsardischen nicht. Es ist jedoch in Nachnamen und Eigennamen vorhanden und hat eine ganz eigene Aussprache. Das kann man nicht einfach löschen, weil es im Nordsardischen nicht existiert.
Dieses, und andere bedeutende Merkmale vereinzelter Dialekte, müsste berücksichtigt werden und vorerst sollte eine Gemeinsprache entstehen, eine koiné, ein babel, wie man es nennen möchte, damit die Leute sich erst einmal überhaupt daran gewöhnen, diese mündliche Sprache geschrieben zu sehen.

Sie kennen die Band Ratapignata, eine der wenigen Bands, die auch Sardisch singen, Mutzigasurda sozusagen… Welche Rolle spielt die Musik für die Sprache?
Eine sehr große! Die Cantadoris, die Improvisationssänger, die in den Dörfern, auf den Plätzen seit jeher sagen, haben großen Einfluss gehabt. Zumindest kennt durch sie fast jeder passiv die Sprache. Selbiges gilt für die modernen Gruppen. Besonders im Bereich hip hop existieren viele sardisch singende Gruppen und Einzelkünstler, die meiner Meinung nach viel mehr gefördert werden sollten, um den jungen Leuten die Texte nahe zu bringen. Doch dies sind nur Hilfen für den aktuellen Erhalt oder für eine Form der Kunst. Auch hier muss man aufpassen, dass die Sprache nicht zu einer Art „Museumssprache“ mutiert. Die alte und moderne Musik, die Texte und das gemeinsame musikalische, sardische Erlebnis sind nur eine positive Beigabe. Ohne eine anständige Weitergabe jedoch an die Kindergenerationen wird das Sardische über kurz oder lang aussterben, egal, wie viel Musik es geben wird.

Am 12. Januar verstarb der bekannte Anthropologe Giulio Angioni in Cagliari, ein Protagonist der Neuen Sardischen Literatur...
Er war Anthropologe, Dozent und Intellektueller. Neben seiner wissenschaftlichen Laufbahn war er auch als Schriftsteller tätig. Er gehört der neuen Generation sardischer Schriftsteller an, die auch außerhalb Sardiniens bekannt sind und in andere Sprachen übersetzt werden. Er war ein Intellektueller, der Land und Leute bereichert hat mit seinem Schaffen. Viele seiner ehemaligen Studenten hinterließen schöne Kommentare auf Facebook. Er betrachtete das Sardische eher als folklore Sprache der Einheimischen und sprach sich mehrfach gegen einen Standard des Sardischen aus. Er verwendete viele sardische Wörter als Kunstwörter. Erst sehr spät begann er auch Gedichte auf Sardisch zu schreiben. Nicht zuletzt muss man bemerken, dass am selben Tag, auch Eduardo Blasco Ferrer starb, ein katalanischer Linguist, der seinen Lehrstuhl in Cagliari inne hatte, der quasi sein ganzes Leben lang die sardische Sprache erforschte. Nur wenige haben so viel zum Sardischen publiziert, wie er. 

Ratapignata | Su Bandu / In einer kleinen Rolle auch: Giulio Angioni / Quelle: Ratapignata, Youtube