Kultur | Salto Afternoon

Geistesnärrin, die Erste

Linda Roehl stellt sich gerne vor die Kamera. Arbeitet aber auch gern dahinter. Mit der Pandemie hat sie das Singen wiederentdeckt. Salto hat sie ans Mikro gebeten.
Linda Roehl
Foto: Linda Roehl

salto.bz: "The Mindfoolies" ist ein Musikprojekt, dem Sie ihre Stimme leihen. Das Projekt ist während des ersten Lockdown entstanden, als noch viele Menschen solidarisch sich auf die Balkone stellten und gemeinsam gesungen haben. Sie haben weitergesungen…

Linda Roehl: Ja, das Projekt wurde tatsächlich inspiriert durch den italienweiten Aufruf am Freitag, den 13. März 2020 um punkt 18 Uhr die Fenster zu öffnen und zu singen oder zu musizieren. Das war die Geburtsstunde von The Mindfoolies. Musik als eine die Herzen aller Menschen verbindende Sprache, statt in die Angst oder Verzweiflung für einen Moment lang in die Freude und Zuversicht zu gehen, Hoffnungen nicht aufzugeben und an das Gute zu glauben, aus jeder Lebenslage das Beste zu machen und Toleranz walten zu lassen. Die Liebe zum Leben, zur Natur, zum Menschen, einzigartig auf dieser Welt – JETZT...
Diese Gedankenkette und mehr hatte mich eine ganze Nacht lang wach gehalten, als mir mein Nachbarsfreund Christian davon erzählte und ich ihm spontan und entschlossen vorschlug mitzumachen, um einen Beitrag zu leisten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Wesentliche gemeinsam, wir teilten gleiche Gedanken und wir sangen gern. Über Nacht, wie gesagt, kam mir die Idee die Kampagne "Singing for Future" ins Leben zu rufen und wöchentlich jeden Freitag ein selbstgeschriebenes Lied zu performen. Alles mit dem Handy, sonst nichts, in meiner privaten Laube, unbehelligt von anderen Nachbarn. Doch als sich der Lockdown verschärfte bis hin zur "Einzelzellhaft" war es uns nicht mehr möglich zusammen aufzutreten, also machte ich ab der 4. Folge allein weiter. Insgesamt bestand die Kampagne aus 14 Liedern, die sich alle mehr oder weniger um die Themen und Werte Frieden, Freiheit und Liebe drehten. Allerdings wurden sie mit der Zeit immer persönlicher, auch emotionaler, denn ich verarbeitete nicht nur die momentane Welt- und Lebenssituation, sondern auch die Trennung von meinem Mann, also eine gescheiterte Ehe. Zudem waren wir Künstler alle arbeitslos für eine lange Zeit. Mit The Mindfoolies ist für mich eine in mir schlummernde Schatztruhe aufgegangen mit Schätzen aus meiner musikgeprägten Kindheit, meinen Wurzeln und vor allem mit dem Schlüssel zu meinem eigenen Herzen, die Musik! Seitdem kann und möchte ich nicht mehr ohne leben und lasse mich selbst überraschen, mit jedem Lied auf's Neue.

The Mindfoolies "Nature breathes" / Foto: The Mindfoolies


Der Bandname „The Mindfoolies“ meint übersetzt, die „die dem Verstand folgen“. Mit dem Verstand ist es – nicht nur in Zeiten wie diesen – meistens so eine Sache… „Was ist Sache“ bei "The Mindfoolies"?

Eigentlich ist es umgekehrt. Ich hatte die Worte "mindful thoughts" im Kopf, ich wollte aber nichts Braves oder Verständiges, also verband ich die Worte "mind" (Geist, Verstand) und "fool" (Narr, Dummkopf). Einen Mindfoolie bzw. "Geistesnarren" gibt es also nicht in der englischen Sprache, ich bin sozusagen die Erste. In der 1. Folge von "Singing for Future" bitte ich meinen Nachbarn, ob er mein erster "Follower" sein möchte und mit mir zusammen für eine bessere Welt singen wolle, um die Isolation zur Inspiration für viele Menschen zu machen, aus ihrem Leben etwas Sinnvolles zu machen, jetzt, wo sie so viel Zeit geschenkt bekommen haben einmal gründlich darüber nachzudenken. Werde ein Mindfoolie und gehe eigene Wege. Ein idealistischer Ansatz, ich wollte Mut machen zu sich zu stehen und für die Liebe einstehen, der grassierenden Angst den Wind aus den Segeln nehmen. Es funktionierte und aus einer kleinen treuen verbundenen Anhängerschaft wurde ein stetig wachsendes Publikum, über das ich mich jeden Tag von Herzen freue, denn „geteiltes Glück ist doppeltes Glück!“.

Ich habe viel gesungen, aber immer heimlich, wenn sonst niemand da war, so fühlte ich mich am freiesten und wohlsten.

Wie würden sich The Mindfoolies musikalisch einordnen? Die musikalische Reise führt gestalterisch u.a. in eine neu inszenierte Vergangenheit der 1920er Jahre. War früher alles besser?

The Mindfoolies, das bin ich Linda Roehl, ein Mensch mit einer langen verzweigten Geschichte, eine Frau mit vielen Gefühlen und Gedanken. Ich lebe meinen Musikgeschmack aus, auf nur meine Art. Wenn ich eintauche in die Lieder, die Texte besinge bin ich ganz tief in mir drin, ja, mir am nähsten, dort, wo ich meine eigene Wahrheit verspüre und doch vor noch vielen Geheimnissen stehe, manchmal eine Ahnung bekomme, wohin es geht und dann wieder Grenzen bemerke, wo es noch nicht weitergeht. Von daher bin ich als The Mindfoolies nicht einzuordnen, da ich mich als eine Reisende empfinde, offen für das, was kommen mag. Eine Einordnung oder Bewertung von dem, was ich mache, überlasse ich Anderen. Ich selbst folge nur meinem Instinkt und meiner Intuition!
Die Idee mich für die "Christmas Edition 2020" kostümlich in die Zwanziger-Jahre zu begeben war eben solch ein innerer Impuls, das Bedürfnis es genau so darstellen zu wollen und nicht anders. Und ein Kostüm hat immer Einfluss auf die Körpersprache.

Und warum die 1920er Jahre? 

Ein Hintergrund ist meine Affinität zu dieser Stilepoche, ich fühle mich vor allem von den Kleidern geradezu angezogen und hege deshalb den heimlichen Traum einmal in solch einem glamourös ausgestatteten Film mitwirken zu wollen. Ein weiterer Mädchentraum! Mein ewiger Kindheitstraum war es übrigens einmal Sängerin zu werden. Ich habe viel gesungen, aber immer heimlich, wenn sonst niemand da war, so fühlte ich mich am freiesten und wohlsten.

Sie sind über die Dokumentarfilmschule ZeLIG nach Südtirol gekommen. Worüber handelte Ihr Abschlussfilm?

Er handelte von zwei alten Brüdern, die ihr gesamtes Leben auf dem Bauernhof ihrer Eltern verbracht haben, ohne jemals eigene Wege gegangen zu sein oder Familien gegründet zu haben. Der Film beobachtet in Stille ihr Zusammenleben im Alltag, in ihren Rollen, gleich einer klassischen Ehe aus alten Zeiten, der Eine die Aufgaben der Frau übernehmend, meist in der Küche anzutreffen, Kochen, Backen, Putzen, Waschen, Gärtnern und der Andere in der Rolle des Mannes, meist schweigend in der Stube, Zeitunglesend oder Fernsehschauend. Im Aussen war er als Bauer und Hoferbe für die Landwirtschaft verantwortlich, fütterte die Tauben und fuhr auf seinem uralten Traktor über sein Land. In der Luft schwang immer diese schwere unausgesprochene Gedankenglocke, die Spannung der unterdrückten Gefühle, das Gewicht des geheimnissvollen Schweigens. Es war kaum auszuhalten und sehr bedrückend. Die Regisseurin und Nichte ihrer zwei Großonkel erhoffte sich ein Aufbrechen des Schweigens, einen diplomatischen friedvollen Ausgang durch diesen Film. Aus Liebe zu ihrer Familie wollte sie Brücken schaffen, Klarheiten ins Dickicht und Licht in die Dunkelheit bringen. Aber sie waren zu alt und vernarbt, vollkommen festgefahren in starren Strukturen, sie wollten keine Veränderung oder gar Verständnis füreinander, so gibt es in diesem Film auch keine Entwicklung, aber dafür ein unglaublich starkes Gefühl für die Spannungen und Stimmungen unter diesen zwei alten Brüdern, die wohlgemerkt bis zuletzt ihr Kinderzimmer teilten. Unvorstellbar, aber wahr. 


"BRÜDER" ist mein Abschlussfilm als Editorin (Cutterin). Ich habe monatelang an diesem Film geschnitten, mit Phasen der Verzweiflung, aus diesen unendlichen Beobachtungen eine sehenswerte Geschichte zu basteln, und auch beim Dreh als Tonfrau auf Schritt und Tritt dabei gewesen zu sein, vollkommen involviert in der Privatheit dieser Familiengeschichte, ja, der Film war am Ende ein gemeinsames Werk, durch Dick und Dünn von Anfang bis Ende. Er lief auf Festivals rund um die Welt, erhielt Nominierungen, Preise. Ein wunderbarer einfühlsamer Film!

 

Mit der Webserie "Jenny unterwegs" haben Sie den Südtiroler*Innen auf humorvolle Weise den Spiegel vorgehalten. Wo ist Jenny geblieben? 

"Jenny" gehört nun leider der Vergangenheit an, es wird sie in der Zukunft nicht mehr geben. Das hat mit meiner Trennung von Dietmar Gamper, dem Theaterregisseur, Autor und Schauspieler, zu tun, der für solche Projekte hauptverantwortlich war. Wir haben in unseren 12 Jahren einige künstlerische Zusammenarbeiten erlebt, die Liebe zur darstellenden Kunst war unsere größte Gemeinsamkeit. In diesem Fall verhalf ich ihm die Videos zu produzieren und verkörperte die Figur "Jenny", die eine schräge deutsche Videobloggerin darstellen sollte, die um die Welt reist, Land und Leute erkundet und zufällig in Südtirol landet, wo ihr kuriose Menschen und Situationen widerfahren. Ich hüpfte quasi von hinter der Kamera vor die Kamera und wieder zurück. Ein kleiner Spagat, aber sehr sehr lustig. "Jenny unterwegs" war unglaublich beliebt unter den Menschen, wir wurden oft auf der Strasse angesprochen.

Es gibt kein Ziel dabei, keine Absicht. Es ist ein Bedürfnis, so wie ein heißes Bad nehmen zu wollen oder in die Natur zu gehen.

Hinter der Kamera, vor der Kamera... was liegt Ihnen näher?

Hinter der Kamera fühle ich mich wohl, da ich mich mit allen Erfahrungen auf mein Auge für die Bildgestaltung verlassen kann. Das Bild zu führen und zu komponieren sind meine Stärken, nicht aber die Technik und das Handwerk zu beherrschen, ich bin passionierte Autodidaktin. Trotzdem hatte ich das große Glück für einen ersten Spielfilm die Kamera führen zu können, von professionellen Assistenten unterstützt. Es war großartig und unvergesslich in vollkommenem Vertrauen alleinverantwortlich für die „Bebilderung“ der Kinoleinwand gewesen zu sein. „HINTER DIE SPIAGL“ ist die letzte gemeinsame Regiearbeit zusammen mit meinem Ex-Mann und kommt nun endlich heuer als DVD heraus. - Vor der Kamera habe ich noch zu wenig Erfahrung, um das beurteilen zu können. Aber es ist natürlich eine sehr aufregende Sache in Rollen und Kleider zu schlüpfen und zu spielen. 

Hinter die Spiagl, Trailer / Quelle: Albolina

 

Viele der von Ihnen eingesungenen Lieder offenbaren sehr persönliche Bezüge. Ist das Singen geliebter Textpassagen und Melodien eine gute Möglichkeit aus dem Covid-Allatg zu fliehen…?

Das stimmt und das Wort „offenbaren“ trifft es genau, was meine Liedauswahl angeht. Alle Lieder, die ich singe geben Einblick in meine Gedanken-und Gefühlswelt. Sie sind Momentaufnahmen auf meiner Reise durch dieses Leben. Und ja, das Singen ist für mich nicht nur eine gute Möglichkeit aus dem Covid-Alltag zu entfliehen, sondern aus dem Alltag im Allgemeinen, um meiner Seelen-und Herzenssprache Raum zu schenken. Singen hat für mich etwas sehr befreiendes, ich lasse los, ich lass es fließen, ich lass es spüren. Um mehr geht es mir auch gar nicht. Es gibt kein Ziel dabei, keine Absicht. Es ist ein Bedürfnis, so wie ein heißes Bad nehmen zu wollen oder in die Natur zu gehen. Es macht mich einfach zu einem glücklicheren Menschen. Dafür bin ich sehr dankbar!

Thank you for watching and STAY TUNED!

Cover oder eigene Lieder? Wohin ziehen "The Mindfoolies" 2021?

Es hat angefangen mit eigenen Liedern und wird auch weitergehen mit eigenen Liedern. Zu covern oder zu interpretieren ist eine wunderschöne Aufgabe, man kann so viel lernen, wenn man sich in bereits gelebte Lieder auf eigene Art und Weise hineinlebt. Teilweise sehr ergreifend, sich zutiefst verstanden zu fühlen und zu erfahren, wie sich doch alles ständig und immerzu wiederholt im Leben. Vor allem, wenn es um die Liebe geht.
Doch wohin, zu welcher Zeit und in welcher Form The Mindfoolies weiterziehen werden, das überlasse ich dem Zufall und meiner guten Intuition. Die Musik ist nun Teil meines Lebens geworden, wer mich begleitet, wird sicher noch einige Überraschungen erleben können. Die „Christmas Edition 2020“ war ein erster offizieller Auftrag einen musikalischen Beitrag für den Online-Südtiroler Christkindlmarkt zu leisten. In diesem Jahr wurde ich als Kamerafrau für einen Dokumentarfilm engagiert und soll zudem musikalisch beisteuern und singen. Und ich habe im Sinn bald ein Lied zu erarbeiten für das ich letzten Sommer einen deutschen Text geschrieben habe. Das sind die einzigen Prognosen, die ich Ihnen momentan geben kann. Mein letzter Satz in meinen Facebook-Posts ist immer: „Thank you for watching and STAY TUNED!“