Kultur | Salto Afternoon

Europa der Minderheiten im Theater

Der Regisseur des aktuellen VBB-Dokutheaters Alexander Kratzer bringt Minderheiten auf die Bühne. Und denkt mit ihnen und dem Publikum über Europa nach. Ein Vorgespräch.
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Foto: Foto: VBB

salto.bz: Der Begriff Minderheiten gilt als nicht besonders sexy oder cool. Wie arbeiten Sie als Theaterregisseur gegen dieses Vorurteil an?
Alexander Kratzer: Dieser Begriff beschreibt eine bestimmte Gruppe von Menschen. Wir laden Menschen auf die Bühne ein, die ihre persönlichen Sichtweisen erläutern. Das finde ich spannend, aufregend, vielleicht auch sexy, in jedem Fall cool! Im Theater versuchen wir das Leben immer möglichst authentisch darzustellen. Im dokumentarischen Theater steht das Leben selbst auf der Bühne. Darin liegt der besondere Reiz.

Es ist sehr wichtig, dass man den eigenen Blick schärft, indem man auf das Andere schaut.

Der legendäre Journalist Claus Gatterer hat bereits in den 1960er/70er-Jahre, verschiedensten Minderheiten in Europa eine besondere Wertschätzung beigemessen, um die eigene Minderheitensituation über andere Minderheitensituationen verständlich zu machen. Ist dieser Zugang auch in Ihrem Sinne?
Absolut! Ich denke es ist sehr wichtig, dass man den eigenen Blick schärft, indem man auf das Andere schaut. Versucht, das Andere kennen zu lernen und zu verstehen, damit man das Eigene mit neuen Augen betrachten kann. Dieser Blick muss ja nicht zwangsläufig ein negativer sein, vielleicht sieht man auch das Positive wieder klarer, weil man es mit dem Anderen in Relationen setzt.

Sie machen ihr drittes Doku-Theater in Bozen, eine Mischung aus Erzählcafé, Video, Moderation, Musik und in diesem Jahr auch Puppentheater. Eine feine Mischung die ankommt?
Ich hoffe es sehr! Diese Mischung soll ein Garant dafür sein, dass es an dem Abend immer wieder zu abwechslungsreichen Wendungen und überraschenden Momenten kommt. Die Vielfalt der Theaterformen rahmt die Vielfalt der Erzählungen der Minderheitenvertreter*innen ein. Die Musik und Franui sowie das Puppenspiel von Manuela Linshalm treffen als künstlerische Elemente auf die realen Erzählungen unserer europäischen Gäste. Weiters werden über eine Umfrage-Plattform im Internet Fragen an das Publikum gestellt, es wird auf diese Weise aktiv miteinbezogen in diverse wichtige Fragestellungen zum Zusammenleben vor Ort.

Die unabhängigkeitsfreudigen Katalanen und Katalaninnen, die sich selbst nicht gerne als Minderheit bezeichnen, werden von konservativen Rechtsparteien in Südtirol gerne als Vorbild betrachtet. Dabei kam der katalanische Widerstand seit jeher aus der linken Ecke, als Reaktion jahrzehntelanger Unterdrückung im Franco-Faschismus. Wie wird die katalanische Geschichte in ihrem Theater erzählt?
Wenn man auf die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien blickt, wird einem sofort klar, dass die Grundgedanken dieser Bewegung ganz anders sind als oftmals bei uns kolportiert. Um die katalanische Kultur bzw. Sprache weiter zu erhalten und den Grundsätzen einer offenen Gesellschaft, in der jede/r seinen Platz hat, Folge zu leisten, hat Katalonien z.B. um eine höhere Zahl an Migrant*innen beim spanischen Staat „angesucht“. Würde das eine Rechtsbewegung je machen? Auf der Bühne wollen wir die Beweggründe für die Unabhängigkeit mit kritischen Fragen durchleuchten und in einen gesamteuropäischen Kontext stellen: Wie würde aber ein „Nationalstaat Katalonien“ in der heutigen EU funktionieren? Ist das ein Wunsch, der vielleicht an der Realpolitik völlig vorbei geht?

Dass es heute noch Diskussionen darüber gibt, ob das Slowenische in der Kärntner Landesverfassung verankert ist oder nicht, ist eine Schande.

Als gebürtiger Österreicher verfolgen Sie sicher den Umgang ihres Heimatlandes mit Minderheiten. Wie beurteilen sie den allgemeinen Umgang der Österreicher*innen mit der österreichischen Minderheit in Südtirol? Wie jenen zur slowenischen Minderheit in Kärnten?
Ich bin zurzeit sehr besorgt über die Renationalisierung unseres Landes. Die Regierung ist erst ein paar Wochen im Amt und setzt schon klare Zeichen für eine rückschrittliche Politik wie z.B. höhere Strafmaße, mehr Polizei, Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich. Die neu aufgekommene Doppelpassdiskussion kommt von einer rechten Regierung, die die Südtiroler Bevölkerung meiner Meinung nach instrumentalisieren möchte, aber nicht wirklich einen fundierten Blick auf die Bedürfnisse des Landes darstellt. Leider ist auch Österreichs Umgang mit der slowenischen Minderheit immer wieder diskriminierend und nicht gerade vorbildlich: Dass es heute noch Diskussionen darüber gibt, ob das Slowenische in der Kärntner Landesverfassung verankert ist oder nicht, ist eine Schande.

Ihr Zugang zu Theater ist zwangläufig auch ein politischer Zugang. Wie führen sie die verschiedenen Zeitzeugenerzählungen dramaturgisch zusammen, ohne belehrend sein zu wollen?
Dafür sind die Elemente Musik und Moderation sehr wichtig. Aber auch unsere Gäste werden nicht wie Lehrer*innen auf der Bühne einen Vortrag halten. Sie sind im Gespräch mit Markus Warasin bzw. der Puppe Frau Gerda. Es kann sein, dass da durchaus auch lustige Unterhaltungen entstehen. Natürlich ist unser Thema auch ein politisches. Aber das soll es auch sein! Schließlich geht es um unser aller Zusammenleben! Wenn man über ein tiefgründiges Thema spricht, kann man aber gleichzeitig auch spannend, abwechslungsreich und humorvoll sein!

Ein praktisch-kommunikative Frage: Wie baut das Theater "Wir. Heute! Morgen! Europa." die verschiedenen Sprachen der Minderheiten in den Theaterabend ein?
Die Gespräche auf der Bühne finden hauptsächlich in Deutsch, Italienisch und Englisch statt. Aber natürlich wird man jede Sprache aus jeder Region auch auf der Bühne hören. Es freut uns sehr, dass wir eine so große Vielfalt präsentieren können! Und all diese Sprachen zumindest kurz zu hören, empfinden wir als äußerst spannend.

21.02.2018 - 25.02.2018
WIR. HEUTE! MORGEN! EUROPA.
Minderheiten und Autonomien im europäischen Kontext 
Uraufführung.