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Jenseits des Pädagogischen

Friedrich Dürrenmatts "Das Versprechen" ist um einiges vielschichtiger als die biedere Verfilmung unter dem Titel "Es geschah am hellichten Tag". Eine Spurensuche.
La promessa 1979
Foto: Rai Teche

Gestern lief auf dem TV-Sender arte die Verfilmung eines Dürrenmatt-Krimis. Es geschah am hellichten Tag ist nichts Besonderes. Bemerkenswert sind nur die Umstände seiner Entstehung. 
Der Handlung zugrunde liegt der Roman Das Versprechen. Und auch wieder nicht: Der Schluss der schriftlichen Vorlage war zu hart, als dass der Regisseur sich getraut hätte, ihn umzusetzen. Immerhin holte Ladislao Vajda die ausdrückliche Zustimmung des Autors ein. Er ließ Dürrenmatt sogar am Drehbuch mitschreiben. Eine weitere Merkwürdigkeit: Der Film kam in die Kinos, noch bevor der Roman erschien. 


Die Filmhandlung, laut Lexikon des Internationalen Films: „Nachdem ein alter Hausierer, der die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden und die Polizei informiert hat, selbst als Mörder beschuldigt wurde und sich in seiner Zelle erhängt hat, kommen dem ermittelnden Kommissar Zweifel. In mühsamer Arbeit und mit Hilfe einer jungen Frau und ihres Töchterchens stellt der dem wahren Mörder eine Falle.“


In diese Falle tappt der Delinquent hinein. Das Ende ist also halbwegs versöhnlich. Ganz anders im Roman: Dort wartet der Kommissar vergeblich an der Tankstelle, an der er seinen Köder, auffällig mit rotem Kleidchen drapiert, positioniert hat. Ginge es nach der Logik – Verhaltensmuster, Opferschema, Triebauslöser, Täterreaktion – müsste der Serienmörder wieder zuschlagen. Doch er erscheint nicht, weder an diesem Tag noch an einem anderen. Kommissar Zufall hat mitgespielt und den Triebtäter längst gerichtet: Auf dem Weg zur geplanten und vorbereiteten Tat ist er ums Leben gekommen – durch einen simplen Verkehrsunfall. Der Kommissar, der eigentlich alles richtig gemacht hat, erfährt davon nichts. Er wartet weiter und verfällt dem Wahnsinn. 

Sauer aufgestoßen war dem stets bis zur Kompromisslosigkeit  aufrechten Dürrenmatt vermutlich auch die Besetzung des Hauptakteurs...

Als das Buch erschien, fühlte sich sein Autor zu einem Nachwort verpflichtet. „Der vorliegende Roman“, heißt es darin, „ ist mit dem Film, der leider den Titel Es geschah am hellichten Tag führt, auf folgende Weise verknüpft: Im Frühjahr 1957 bestellte der Produzent Lazar Wechsler bei mir eine Filmerzählung. Thema: Sexualverbrechen an Kindern. Beabsichtigt war, vor dieser leider immer häufigeren Gefahr zu warnen.“ So weit, so trivial. Doch hätten Wechsler und sein Regisseur Vajda angesichts der Eindimensionalität ihres Produkts mit der Widerspenstigkeit des Lieferanten rechnen müssen.
Der Autor lobt zwar brav den Film, spricht von einer „hervorragenden Arbeit des Regisseurs“, stellt aber auch unmissverständlich klar, dass das Holzschnittartige sein Ding nicht ist: „Ich griff die Fabel aufs neue auf und dachte sie weiter, jenseits des Pädagogischen.“ Sauer aufgestoßen war dem stets bis zur Kompromisslosigkeit  aufrechten Dürrenmatt vermutlich auch die Besetzung des Hauptakteurs: Darsteller Heinz Rühmann hatte sich zwei Jahrzehnte zuvor die Mitgliedschaft in der Reichsfilmkammer durch die Scheidung von seiner jüdischen Ehefrau Maria Bernheim erkauft.

 

Dass es auch anders geht und man seinen Zuschauern durchaus etwas zumuten kann, zeigte ein italienischer Regisseur. Zwischen der Vajda-Verfilmung und Alberto Negrins Umsetzung des Dürrenmattstoffs lagen nicht nur zwei Jahrzehnte, sondern auch eine Umerziehung des Publikums durch die Achtundsechzigergeneration. Negrin hält sich nicht nur an das erratische Finale des Autors. Ähnlich wie Dürrenmatt mehrere Ebenen in seinen Roman und sich – um in Brechtscher Verfremdung eine Distanz zu seinen Akteuren zu schaffen – selbst in die Handlung eingebaut hat, lässt der Regisseur Dürrenmatt in seinem Film auftreten und über Logik und Zufall, verdienten Erfolg und tragisches Scheitern referieren. Negrin tut dies übrigens nicht in einem kleinen Auditorium im graubündnerischen Chur (wo der Roman spielt) vor wenigen Zuhören, sondern im vollbesetzten Saal des Grandhotel Emma in Meran, wohin er der eindrucksvolleren Optik wegen einen Teil der Handlung verlegt hat.

 

Schade, dass arte diesen Film nicht zeigt. Es gäbe noch zwei weitere, die sich Dürrenmatts Stoff auf sehr unterschiedliche Weise annehmen und vor allem an ganz anderen Orten spielen. The Pledge (2001) von Sean Penn ist in Nevada angesiedelt, Jack Nicholson spielt den Kommissar, der Ausgang ist tragisch wie der des Romans. Ganz in düsterem Schwarzweiß, mit sehr wenigen, dafür um so längeren Kameraeinstellungen ist Szürkület (Dämmerung) des ungarischen Regisseurs György Fehér gehalten. Es ist die künstlerisch hochwertigste Dürrenmattverfilmung, 1990 gedreht, mit einer in das Jahr 1957 versetzten Handlung. Es war, nebenbei bemerkt, das Jahr nach dem Scheitern des ungarischen Volksaufstands. Fehérs unendlich trauriger Film gipfelt im Fund des Unfallautos durch den Ermittler und ist, kaum vorstellbar, noch deprimierender als die Vorlage. Auch hier lautet die Empfehlung an arte: unbedingt zeigen!