Politik | Senat

Roma Termini, 16.50 Uhr

Die SVP-Senatoren Dieter Steger und Meinhard Durnwalder haben durch ihre eigenmächtige Abreise, die Regierungsmehrheit in Rom arg in die Bredouille gebracht.
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Foto: upi
Gianclaudio Bressa ist zornig. Auch am Tag danach noch. „Das ist ein schwerwiegender Vorfall“, ärgert sich der in Südtirol gewählte PD-Senator, „und es muss hier eine ernsthafte Aussprache in der Fraktion erfolgen“.
Auch Julia Unterberger ist not amused. Die Meraner SVP-Senatorin und Fraktionssprecherin der Autonomiefraktion wählt die Worte mit Bedacht: „Mit solchen Aktionen wird meine Arbeit hier nicht erleichtert“.
Die beiden, denen das Donnerwetter gilt, heißen Meinhard Durnwalder und Dieter Steger. Weil die beiden SVP-Senatoren am Donnerstag völlig eigenmächtig eine Stunde zu früh den Senat in Rom verlassen haben, wäre beinahe die Regierung gestürzt. Was wie ein schlechter Witz klingt, hat einen konkreten Hintergrund. Dieter Steger bestreitet diese Leseart. „Bei der Abstimmung haben am Ende über ein Dutzend Senatoren der Regierungsmehrheit gefehlt“, meint der Bozner SVP-Senator, „und jetzt will man uns den Schwarzen Peter zuschieben.
 

Calderolis Putsch

 
Auf der Tagesordnung des Senates stand am Donnerstag das sogenannte decreto elezioni. Es geht dabei um die Zusammenlegung des Verfassungsreferendums zur Verkleinerung des Parlaments mit den Regionalwahlen und Gemeindewahlen in Italien und die Festsetzung des Wahltermins. Die Mehrheit hat sich hier auf den 20. und 21. September geeinigt.
Weil sich die Diskussion aber verzögert hat, muss das Dekret spätestens am 19. Juni in Kraft treten. Sonst wären mehrere Regionalräte oder Gemeinderäte vorzeitig verfallen. Das heißt, am Donnerstag war der letzte mögliche Tag, um das Dekret im Senat zu beschließen. Genauso hatte es die Regierungsmehrheit auch geplant.
Da die Zeit aber knapp wurde, begann die Rechtsopposition, allen voran der Lega-Frontmann Roberto Calderoli, die Generaldebatte mit allen Mitteln zu verzögern. Calderoli kennt als langjähriger Vizepräsident des Senates alle Tricks der Geschäftsordnung und nutzte sie auch aus. So gelang es der Mitte-Rechts-Opposition am Ende der Generaldebatte die Regierungsmehrheit auf dem falschen Fuß zu erwischen.
 
 
Von der bewusst hinausgezogenen Endlosdebatte müde, waren am Donnerstagmittag zu diesem Zeitpunkt nur mehr rund 10 Senatoren der Mehrheit in der Aula. Roberto Calderoli nutzte blitzschnell die Gelegenheit und verlangte eine Abstimmung durch Handaufheben, um den Übergang zur Artikeldebatte abzulehnen und damit das Dekret zu versenken. Senatspräsidentin Maria Elisabetta Casellati, seit langem wegen ihrer Vorzugbehandlung der Rechtsopposition unter Beschuss, gewährte umgehend die Abstimmung. Beobachter gehen davon aus, dass es ein abgekartetes Spiel war.
Die wenigen Vertreter der Mehrheit versuchten zwar noch durch Wortmeldungen die Abstimmung hinauszuzögern, doch Casellati lässt einfach abstimmen. Damit war das Dekret versenkt.
 

Eigenmächtige Abfahrt

 
Die Geschäftsordnung des Senates sieht aber vor, dass bei Abstimmungen per Handaufheben eine Bestätigung durch eine elektronische Abstimmung gefordert werden kann. Genau das tat die Regierungsmehrheit umgehend. Weil man die eigenen Leute innerhalb weniger Minuten in die Aula zurückbrachte, gewann die Mehrheit diese Abstimmung sehr knapp mit 104 zu 102 Stimmen.
Die Debatte in der Aula wurde danach mehrmals unterbrochen. Gegen 16 Uhr war klar, dass es zur Vertrauensabstimmung kommen wird. Deshalb mobilisierten die Fraktionssprecher ihre Truppen. Auch Julia Unterberger sollte sicherstellen, dass die Autonomiefraktion geschlossen an der Abstimmung teilnimmt.
 
 
Dabei tauchte ein  Problem auf. Dieter Steger und Meinhard Durnwalder hatten nicht wie geplant die Freccia Rossa um 17.50 Uhr genommen, sondern den Zug, der genau ein Stunde früher fährt. Sie saßen um 16.50 Uhr bereits im Zug. Ohne sich abgemeldet zu haben.
Dabei ist bereits lange vorher klar, dass von dieser Abstimmung das Überleben der Regierung Conte abhängt. „Mir hat niemand gesagt, dass es Probleme mit der Mehrheit geben würde“, verteidigt sich Dieter Steger. Davon habe er das erste Mal um 17.30 Uhr durch einen Anruf der Fraktionssprecherin erfahren.
Dieter Steger hat für sich eine einfache Erklärung: „Mein Sohn hatte am Freitagvormittag seine mündliche Maturaprüfung und er wollte, dass ich dabei bin“.
 

Die Wiederholung

 
Dabei wird schon wenig später deutlich, wie knapp das ganze für die Regierung wird. Bei der Vertrauensabstimmung zog die gesamte Rechtsopposition aus. Am Ende wurden 147 Stimmen abgegeben. (145 Ja und 2 Nein-Stimmen). Damit die Abstimmung aber gültig ist, müssen die Hälfte der Senatoren anwesend sein, die an der ersten Abstimmung des Tages teilgenommen haben.
Die Senatsverwaltung setzte dieses Quorum auf 146 fest. Demnach hätte man diese Hürde mit 147 abgegebenen Stimmen äußerst knapp geschafft.
So schaute es am Abend aus. Doch gegen 20 Uhr, als alle Senatoren bereits in den Zügen, Flugzeugen und Autos auf dem Heimweg waren, kam die Hiobsbotschaft. Es hatte bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit einen Fehler gegeben. Zur Annahme des Dekretes hätte es 150 Stimmen und nicht 147 gebraucht.
Deshalb wurde die Abstimmung am Freitagvormittag wiederholt. Das heißt, dass alle Senatoren spätestens in den frühen Morgenstunden wieder in Richtung Rom aufbrechen mussten. Auch Meinhard Durnwalder und Dieter Steger. Sie stimmten am Freitag dann in der Vertrauensabstimmung für das Dekret. Von 162 Anwesenden (die Rechtsopposition war erst gar nicht erschienen) stimmten 158 für die Regierung. Ministerpräsident Giuseppe Conte bedankte sich wenig später per SMS bei allen Fraktionen für die Geschlossenheit und die schnelle Reaktion der Mehrheit. Die SMS erhielt auch die Fraktionssprecherin Julia Unterberger.
 

Die Aussprache

 
Dass Unterberger und Bressa trotzdem fuchsteufelswild sind, liegt am Verhalten des Duos Steger/Durnwalder. Denn diese Aktion hat nicht nur die Regierung Conte ernsthaft in Gefahr gebracht, sondern auch die Wiederholung der Abstimmung verschuldet. Denn mit den beiden SVP-Senatoren war auch die Trentiner Italia-Viva-Senatorin Donatella Conzatti vorzeitig per Zug aus Rom abgereist. Damit fehlten am Ende genau diese drei Stimmen, um auf die nötige Anwesenheit von 150 Senatoren zu kommen.
Ganz gleich, ob es ein politischer Akt war oder ein Versehen, wir werden diese Sache intern klären müssen."
Gianclaudio Bressa
Vor allem aber waren Dunwalder, Steger und Conzatti die Einzigen, die sich trauten, kurz vor der Vertrauensabstimmung so mir nichts, dir nichts den Senat zu verlassen.
 
 
Weil bekannt ist, dass vor allem Meinhard Durnwalder ein Freund der Lega ist und die Achse Roberto Calderoli-Luis Durnwalder ein immer noch funktionierender politischer Kanal ist, glauben einige in Rom, dass die vorzeitige Abfahrt der beiden SVP-Senatoren alles andere als ein Zufall war.
Dieter Steger bestreitet das: „Es ist die erste Vertrauenabstimmung, bei der ich gefehlt habe, deshalb lasse ich mir das nicht nachsagen“. Zudem seien er und auch Meinhard Durnwalder die gesamte Lockdown-Zeit in den Kommissionen in Rom gesessen. „Hier will nur jemand bewusst Stunk machen“, ärgert sich Steger.
Meinhard Durnwalder bestätigt hingegen gegenüber der Tageszeitung sein politisches Credo: „Wir haben in erster Linie die territorialen Interessen zu vertreten. Es ist Aufgabe der Mehrheit, für die Beschlussfähigkeit zu sorgen“.
Gianclaudio Bressa gefällt dieser Sager des Pusterer Senators ganz und gar nicht. „Ganz gleich, ob es ein politischer Akt war oder ein Versehen“, sagt der ranghohe PD-Politiker, „wir werden diese Sache intern klären müssen“.
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Hartmuth Staffler Sa., 20.06.2020 - 16:34

Sollten Durnwalder und Steger tatsächlich versucht haben, der nationalistischen Lega einen Gefallen zu erweisen (was ich durchaus für möglich halte), dann wäre das natürlich schwerwiegend. Was mir aber nicht gefällt, ist die Formulierung, dass die beiden "eigenmächtig" Rom verlassen haben. Damit wird suggeriert, dass die beiden, mir durchaus unsympathischen Politiker im Grunde nur Marionetten sind, die das zu tun haben, was ihnen, von wem auch immer, vorgeschrieben wird.

Sa., 20.06.2020 - 16:34 Permalink
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Manfred Gasser Sa., 20.06.2020 - 17:49

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Eigenmächtig ist auf jeden Fall jedes unentschuldigtes Entfernen von der Arbeit, die nebenbei noch fürstlich entlohnt wird. Oder finden Sie, ein Arbeiter ist eine Marionette, wenn er eine Stunde vor Arbeitsende den Arbeitsplatz einfach mal so verlässt und nach Hause fährt?
Ob es dann Lega-freundlich oder Faulheit war, ist mir persönlich eigentlich egal.

Sa., 20.06.2020 - 17:49 Permalink
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Hartmuth Staffler Sa., 20.06.2020 - 23:12

Als "Arbeit" würde ich die Tätigkeit der auf jeden Fall überbezahlten Politiker in Rom nicht gerade bezeichnen. Es ist eine politische Tätigkeit, zu deren Spielregeln es unter anderem auch gehört, dass man durch Fernbleiben von einer Abstimmung deren Ergebnis beeinflusst, wenn man zu feig ist, zu seiner Überzeugung zu stehen. Das dürfte wohl auf die beiden Südtiroler Senatoren zutreffen, die damit der nationalistischen Lega einen Gefallen erweisen wollten. Dass dies hier auch noch verteidigt wird, kann ich nicht verstehen.

Sa., 20.06.2020 - 23:12 Permalink
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Manfred Gasser So., 21.06.2020 - 18:27

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Wenn Sie mich mit dem "verteidigen" meinen, muss ich Ihnen leider widersprechen.
Ich finde es, gelinde gesagt, eine Schweinerei, aber nicht wegen der vermuteten Lega-Nähe des Herrn Durnwalder, oder der Tochter des Herrn Steger.
Für mich ist jede unentschuldigte Abwesenheit aller politisch tätigen Personen eine Schweinerei, und die von Ihnen genannten Spielregeln gehören da genau so dazu.
Wie wäre es denn mit einem Tausender Abzug pro unentschuldigtes Fernbleiben? Ich wette, da müssten gar einige noch was zahlen.

So., 21.06.2020 - 18:27 Permalink