Wirtschaft | Fairer Handel

Fair-Wirrung

Sitzen wir bei "Fairtrade"-Produkten einem Marketing-Gag auf? Und wo liegt der Unterschied zwischen "Fairtrade" und "Fair Trade"? salto.bz hat nachgefragt.

"Hoffnungslos naiv" seien wir KonsumentInnen, wenn wir glaubten, mit dem Kauf von Fairtrade-Produkten die Welt auch nur ein Stückchen besser zu machen. So Die Zeit am Montag, 18. August in ihrer Onlineausgabe. Hart ins Gericht geht der Autor des Artikels "Wenn Kaffee bitter schmeckt" mit dem Anschein einer heilen Welt, der durch das Fairtrade-Siegel konstruiert werde. Er beruft sich dabei auf Studien der University of London sowie Berkeley und San Diego, die beweisen sollen, dass eine Fairtrade-Zertifizierung keineswegs zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen führt, sondern nur "wenig bis vernachlässigbare Auswirkungen" habe. Vor allem die hohen Zertifizierungskosten, die für den Erhalt des Fairtrade-Siegels zu entrichten sind, würden die wirtschaftlichen Vorteile, etwa höhere Einnahmen durch einen garantierten Mindestpreis, aufheben. Laut Kritiker sei das ganze System "enorm ineffizient".

Ganz wesentlich ist es, "Fairtrade" und "Fair Trade" nicht zu verwechseln.

Monetäre Aspekte sind zu wenig

"Der Vorwurf der geringen Effizienz erscheint wie eine Art Retro-Diskussion aus den Anfangsjahren des Fairen Handels. Schon damals wurde von Kritikern nicht verstanden, dass es im Fairen Handel – zwar auch – aber nicht nur um Geld geht", kontert Fairtrade Deutschland in einer Stellungnahme zum Zeit-Artikel. Die "Effizienz" eines Systems könne also nicht einfach auf die monetären Aspekte beschränkt werden, sondern müsse holistischer betrachtet werden. Also es geht um das Ganze. Um Selbstorganisation und Selbstbestimmung gehe es, um Demokratie, Partizipation, Gleichberechtigung, Umweltschutz und Biodiversität, versucht Fairtrade Deutschland das Ganze zu skizzieren.

In dieselbe Kerbe schlägt auch Heini Grandi, Präsident des Legacoopbund und Mitbegründer von Ctm Altromercato, wichtigste Fair-Trade-Organisation Italiens, die in Südtirol begonnen hatte: "Wir von Altromercato setzen in unseren Aktivitäten auf langfristige Partnerschaften mit den Kleinbauern und -bäuerinnen." Nicht nur ein gerechter Preis werde den ProduzentInnen bezahlt, sondern man biete den ProduzentInnen auch eine Abnahmegarantie der hergestellten Produkte. "Der gesicherte Verkauf der Erzeugnisse ist viel wichtiger als nur einen besseren Preis im Vergleich zum Weltmarkt zu bekommen", betont Grandi. Der Preis ist eben nicht alles.

Fehler sind nie ausgeschlossen

Die in Der Zeit erwähnten Studien und Vorwürfe kennt man bei Altromercato. Man wolle keineswegs die Augen vor existierenden Problemen verschließen. Zugleich zeigt sich Grandi ganz offen: "Ein hundertprozentig sicheres Zertifizierungssystem gibt es nicht. Leider." Es sei aber falsch, "wegen punktuell auftretender, einzelner Probleme gleich das ganze Fairtrade-System in Frage zu stellen und 'heuchlerisch' zu nennen". Und: "Ja, es gibt Probleme bei den großen Zertifizierungssystemen." Viele kleine Produzenten könnten sich die kostenaufwändige Prozedur der Zertifizierung nicht leisten. "Man braucht das ganze System daher keineswegs in Frage zu stellen", so Grandi, "das System ist einfach verbesserungswürdig und -fähig."

Das Fairtrade-Siegel reicht vielen großen Multis schon aus, um Nachfrage und Gewissen der Kunden zu befriedigen. Altromercato nicht. Schon 1999 hat man sich von der Fairtrade-Zertifizierung verabschiedet.

Zertifizierung, nein danke!

Bei Altromercato ist man auch deshalb schon vor 15 Jahren aus dem Fairtrade-Zertifizierungssystem ausgestiegen, gleich wie die GEPA, das deutsche Pendant zu Altromercato. "In keinem der Weltläden in Südtirol werden Sie Altromercato-Produkte mit Fairtrade-Siegel finden. Wir arbeiten einfach mit einem ganz anderen System", bestätigt Rudi Dalvai, Präsident der World Fair Trade Organization (WFTO) und auch Gründungsmitglied von Ctm Altromercato. Die WFTO ist der Dachverband der Fair Trade Organisationen. In 75 Ländern sind derzeit über 400 Mitgliederorganisationen aktiv.

Fair Trade versus Fairtrade

Ganz wesentlich ist es, "Fairtrade" und "Fair Trade" nicht zu verwechseln. Der Unterschied liegt aber nicht nur in der Orthographie. "Die Fair Trade Bewegung ist Anfang der 90er Jahre entstanden und hat sich dann in festen Strukturen organisiert. Beispiele dafür sind eben Ctm Altromercato, GEPA oder die österreichische EZA. Fairer Handel ist auch heute noch Hauptziel und -tätigkeit dieser Organisationen, und dafür ist keine Zertifizierung nötig. Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Transparenz sind zentral", präzisiert Dalvai. "Mit der Zeit sind jedoch neue Akteure aufgetaucht, denen es neben den Entwicklungsaspekten der Fair-Trade-Organisationen auch um Erfolg auf dem Markt ging. Sie haben dafür das Fairtrade-Siegel eingeführt."

Ein hundertprozentig sicheres Zertifizierungssystem gibt es nicht. Leider. Aber wegen punktuell auftretender, einzelner Probleme gleich das ganze Fairtrade-System in Frage zu stellen und 'heuchlerisch' zu nennen, das ist falsch.

Zwei Arten und damit zwei Systeme von fairem Handel sind somit entstanden: Einerseits die Fair-Trade-Organisationen, die auf die ProduzentInnen ausgerichtet sind, auf langfristige Partnerschaften, Beratung und Weiterbildung für Bauern und Bäuerinnen sowie auf großem Vertrauen basieren. Andererseits gibt es das Fairtrade-Label, deren Gründer marktorientiert operieren, auf die KonsumentInnen ausgerichtet sind und diese versuchen, zufrieden zu stellen, ihnen ein gutes Gewissen zu verkaufen. Daher sind von Fairtrade auch die Kriterien für die Produkte gesenkt worden. 
Kurz gesagt: Das zusammengeschriebene "Fairtrade" entwickelt sich zu einer Marketingstrategie, das getrennt geschriebene "Fair Trade" bekennt sich zu einer nachhaltigen Ein- und Verkaufshaltung.

Wie glaubwürdig ist Fairtrade?

Ist das Fairtrade-Siegel irreführend und wirklich ein reines Marketinginstrument? "Auf keinen Fall", beschwichtigt Dalvai. "Das Siegel hat seine Berechtigung, und die Zertifizierung funktioniert auch. Doch es ist dasselbe wie beim Bio-Siegel. Der Skandal um das mit Dioxin verseuchte 'Bio'-zertifizierte Hühnerfutter in Deutschland hat eine Schwachstelle im System aufgezeigt, ein Problem, das es zu beheben galt. Beim Fairtrade-Siegel sind Kompromisse eingegangen worden, deren Schwachstellen nun zum Vorschein kommen."

Rudi Dalvai kann daher die Ergebnisse der Studien der Universität London und die Anschuldigungen der Zeit nachvollziehen: "Untersucht worden sind größere Kaffee-Farmen, die Multis wie Starbucks beliefern und zu Erntezeiten Saisonarbeiter einstellen. Saisonarbeiter wurden bisher aber von den Fairtrade-Kriterien nicht berücksichtigt und daher auch nicht kontrolliert. Somit kann es – wie in der Studie aufgezeigt – vorkommen, dass die Saisonarbeiter des Fairtrade-Betriebs zum Teil schlechter als ihre Kollegen in den großen Plantagen behandelt werden, auch wenn sie vielleicht besser bezahlt werden."

Fair Trade als Unternehmens- und Lebensphilosophie

Steigende Nachfrage der KonsumentInnen nach fair produzierten und gehandelten Produkten erhöhen den Druck auf Konzerne, sich nach solchen umzuschauen und schließlich auch ins Sortiment aufzunehmen.

"Hoffnungslos naiv" seien wir KonsumentInnen, wenn wir glaubten, mit dem Kauf von Fairtrade-Produkten die Welt auch nur ein Stückchen besser zu machen.

Das Fairtrade-Siegel reicht vielen dieser Konzerne schon aus, um Nachfrage und Gewissen der Kunden zu befriedigen. Altromercato nicht. "Vordergründig ist für uns 'Empowerment', die Ermächtigung der Kleinbauern und -bäuerinnen, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie sollen ihre Erzeugnisse selber vermarkten und dabei autonomer und unabhängiger werden. Sie müssen überzeugt sein von dem, was sie machen und nicht nur aufgrund eventueller Vorteile auf dem Markt hinter den Fair-Trade-Prinzipien stehen", versucht Heini Grandi die Altromercato-Philosophie auf den Punkt zu bringen.

Interne Kontrollsysteme, eigene Impact-Studien und regelmäßige Besuche bei den ProduzentInnen machen die Fairtrade-Zertifizierung für Altromercato überflüssig. Doch Achtung: "Auch wir sind keine Heiligen", unterstreicht Grandi. "Fehler passieren auch bei uns. Doch wir sehen sie als Ansporn, uns ständig zu verbessern." Die Welt könne einfach nicht nur in schwarz-weiß gedacht werden, betont auch Rudi Dalvai. Doch sei man nicht bereit, Kompromisse einzugehen oder Kriterien aufzuweichen.
Denn, was im Fair Trade mehr als alles zählt, sind Prinzipien. Nach wie vor geht es schlicht um fairen Handel.

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Sepp.Bacher Do., 21.08.2014 - 11:14

Ich habe im TV eine Filmdokumentation zu diesem Thema gesehen und war voll enttäuscht und desillusioniert. Habe ich doch seit Jahrzehnten in gutem Glauben Kaffee und andere Lebensmittel vom Fairen Handel gekauft. Der Unterschied, der in diesem Beitrag erklärt wird, war mir nicht bekannt. Es beruhigt mich zwar ein bisschen, eine Rest-Skepsis bleibt aber trotzdem!

Do., 21.08.2014 - 11:14 Permalink