Gesellschaft | Gastbeitrag

Der Mief der Dreißigerjahre

Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm über die austrofaschistischen Wurzeln des Europäischen Forums Alpbach und die Geschichte seiner Gründer.
Alpbach
Foto: upi
Vor einigen Tagen haben die zum millionenteuren Medien- und Politspektakel ausgearteten Österreichischen Hochschulwochen wieder begonnen. Anlass für einen Rückblick auf die Geschichte des Forums Alpbach und seines Gründers. Eine Geschichte, die nur allzugern im offiziellen Tirol und Südtirol vergessen wird.
Bereits 1936 hat der spätere Mitbegründer und wissenschaftliche Leiter (1945 bis 1978) von Alpbach, Simon Moser, im nahen Rotholz die ersten österreichischen Hochschulwochen organisiert – eine Einrichtung des austrofaschistischen Ständestaates. 
1935 wurde vom Schuschnigg-Regime das Hochschulerziehungsgesetz erlassen, das auch Hochschulwochen für die Studierenden vorsah. Sie sollten der ideologischen Zurichtung der jungen Leute dienen, die Volksgemeinschaft im Sinne der klerikalfaschistischen Vorgaben stärken und dazu beitragen, den „neuen österreichischen Menschen“ zu schaffen. Das erste dieser Hochschullager fand in Rotholz bei Jenbach statt.
 
Rotholz ist nicht weit von Alpbach und die Hochschullager vor dem Krieg sind auch nicht ganz weit weg von den Hochschulwochen nach dem Krieg
 

Moser & Zangerle

 

Organisator der Hochschullager war Simon Moser (1901-1988), den Namen bitte merken, ein gebürtiger Jenbacher, Hauptstellenleiter der Vaterländischen Front (V.F.) und engster Vertrauter der Schuschnigg-Regierung. Diese hat ihn auch an der Universität Wien als Lehrbeauftragten für Weltanschauungsfragen eingesetzt, das heißt für die Verbreitung der österreichischen Spielart einer faschistischen Diktatur.  
Man wollte sich mit ähnlichen Mitteln wie der Nationalsozialismus in Deutschland gegen ebendiesen stellen, sich mit Rückgriffen auf die eigene höhere Kultur als der bessere deutsche Staat darstellen, den Hitlerfaschismus – wie die Historiker heute sagen – ideologisch „überhitlern“.
 
Bildungsführer in Rotholz war ein gewisser Ignaz Zangerle (1905 – 1987), zu dieser Zeit als Schriftleiter ständestaatlicher Zeitschriften wie „Ruf der Heimat“ und „Wir marschieren mit“ an vorderster Front des Schuschnigg-Regimes tätig, daneben Innsbrucker Bezirkssachwalter der ständestaatlichen Freizeitorganisation „Neues Leben“, die große Ähnlichkeit mit der Mussolinischen „Dopolavoro“ und der deutschen Einrichtung „Kraft durch Freude“ aufwies. Zangerle sah seine Aufgabe in Rotholz darin, die schwächlich-bleichen Stadtmenschen zu „kräftigen gebräunten Gestalten“ zu machen. 
Dies sollte im Hochschullager unter anderen mit Vorlesungen über die österreichische Geschichte, dem Singen von Volksliedern und der Pflege heimatlichen Brauchtums erreicht werden. Selbstverständlich standen auch Dollfuß-Gedenkfeiern auf dem Programm.
 
Ignaz Zangerle stellt nach dem Anschluss Österreichs Anträge um Aufnahme in die Reichspressekammer und in die Reichsschrifttumskammer und wird Mitglied der NSDAP. 
Nach dem Krieg betätigt er sich als katholischer Volksbildner.
Zurück zu Simon Moser. Er war als hoher Funktionär des erwähnten V.F.-Werks „Neues Leben“ (Grußformel unter den Mitgliedern: „Frontheil!“) von der Regierung Schuschnigg mit der geistigen Führung der Studentenlager beauftragt worden. 
 
 

Der Bruder Willram Bund

 
Ebenso wie Zangerle war er im streng klerikalen Tiroler Bruder-Willram-Bund aktiv, und dies - gleich wie Zangerle - sowohl vor dem Zweiten Weltkrieg als auch nachher. Bruder Willram (Deckname des katholischen Priesters Anton Müller) war der allerübelste der üblen Kriegshetzer im 1. Weltkrieg. 
1924 gründete er den Bruder-Willram-Bund, ideologisch einer der Vorreiter des Austrofaschismus. Vom Bruder-Willram-Bund ging auch die Idee der paramilitärischen „Ostmärkischen Sturmscharen“ aus. Offiziell gegründet von Kurt Schuschnigg, dem späteren Bundeskanzler, der auch der erste Vorsitzende des Bruder-Willram-Bundes war. 

 
 

Im Dienst der Nazis

 

Simon Moser betätigte sich seit Mitte der Dreißigerjahre immer mehr auch als Fotograf, als Lichtbildner, wie er sich selbst bezeichnete, mit einem romantisierenden, heroisierenden, man muss schon sagen ideologisierenden Blick auf die Menschen, soll heißen: das Volk, das Bergvolk. 
Seine Arbeiten veröffentlichte der „Kulturreferent im V.F.-Werk ‚Neues Leben‘“, der er ja war, vor allem in den Propagandamagazinen des Schuschnigg-Systems. 1937 versammelte die staatliche „Arbeitsgemeinschaft Jungösterreich“ seine schwer heimattümelnden Fotografien im Bildband „Österreichs Bergwelt und Bergvolk“. Nicht nur dass seine da im Braundruck wiedergegebenen Arbeiten bereits viele Merkmale der Nazi-Ästhetik tragen, viele der beigegebenen literarischen Texte stammen von damals bereits bekennenden oder noch versteckten Nazis (Max Mell, Josef Georg Oberkofler, Franz Kranewitter, Karl-Heinrich Waggerl u.a.). 
Aus den hier noch verherrlichten österreichischen Bergbauern wurden 1939 „Deutsche Bergbauern“, so der Titel von Mosers zweitem Fotobuch, vom Inhalt, von der Aufmachung, vom Druck her die direkte Fortsetzung des ersten; mehr als sinnbildlich für den nahtlosen Übergang des einen autoritären Regimes ins nächste, schlimmere. Wie leicht Moser den Wechsel vom Propagandisten des Austrofaschismus zu jenem des Nationalsozialismus geschafft hatte, demonstrierte er in seinem 1942 erschienenen „Bildwerk“ mit dem Titel „Das Land in den Bergen“ und dem Untertitel „Vom Wehrbauer – zum Gebirgsjäger“, zu welchem der Tiroler Nazi-Dichter Josef Wenter Begleittexte verfasst hatte. 
 
Im selben Jahr fotografierte Moser sogar im Auftrag (und im Sinne) des Reichsarbeitsdienstes für eine Dokumentation mit dem Titel „Helfende Hände“, die er in seinem Werkverzeichnis freilich unerwähnt lässt.
 

Moser war wegen seiner hohen Position im österreichischen Ständestaat nach dem Anschluss zwar vom Universitätsdienst suspendiert worden, während aber zahlreiche andere Funktionäre der Vaterländischen Front in Haft gelangten, passierte ihm gar nichts. 1940, er hatte inzwischen seine Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt, erhielt er von den Nazis sogar seine Lehrbefugnis wieder.
Das Rotholzer Hochschullager übersiedelt nach Alpbach
 

Die Geburt der Hochschulwochen

 
So wie Simon Moser 1938 mit den Jahren vorher nichts mehr zu tun hatte, so hatte er auch 1945 urplötzlich mit der Nazi-Zeit nichts mehr zu tun, auch wenn der Mensch Moser sich so schnell gar nicht häuten konnte. 
Schon im Sommer 1945 werden die Alpbacher Hochschulwochen aus dem Boden gestampft. Aus welchem? Aus dem der Vorkriegszeit. Sie waren kein radikaler Neubeginn, sondern ein Rekurs auf diese. Hatte sich der Jenbacher Moser 1936 den Nachbarort Rotholz schlicht wegen der sich dort als Tagungsstätte anbietenden Landwirtschaftlichen Landeslehranstalt ausgesucht, so jetzt das nahegelegene Alpbach, weil sein Bruder Alfons dort zwischenzeitlich den Böglerhof ersteigert und hergerichtet hatte und amtierender Bürgermeister war. So einfach können sich Legenden entzaubern. 
Alpbach kommt aus der Mitte des Austrofaschismus
Nix Neuanfang. Nix Stunde Null. Simon Moser, der auch das Programm für die „ersten“ Alpbacher Hochschulwochen entwirft, verkörpert die personelle und ideologische Kontinuität zu den Hochschulwochen vor dem Krieg. Als Mitbegründer von Alpbach gilt neben Moser der Wiener Verlegersohn Otto Molden, ein Anti-Nazi im Krieg, der aber auch an eine politische Karriere im Austrofaschismus anknüpfen konnte. Er war aktives Mitglied des „Grauen Freikorps“, eines militanten antisozialistischen und antinationalsozialistischen Studentenbundes im Schuschnigg-Regime. Gegen Ende des Krieges und vor allem nachher arbeitete er, ebenso wie sein Bruder Fritz, für US-Geheimdienste. Aus diesen Verbindungen entwickelt sich später auch deren Engagement im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf. Otto Molden, stark ständestaatlich geprägt, mit einem Einschlag ins Monarchistische, erzkatholisch, pro-amerikanisch, paneuropäisch, gründete später die Europäische Föderalistische Partei und stellte noch 1963 (!) den ehemals hochrangigen Austrofaschisten Josef Kimmel, Reichsführerstellvertreter der Ostmärkischen Sturmscharen („Wir sind Ostmarkdeutsche!“ „Wir kämpfen für das katholisch-ostmarkdeutsche Ziel!“) als Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl auf. 
In kultureller und geistiger Hinsicht reicht der Ständestaat weit herauf bis in die 60er Jahre, ja, teilweise bis in die Gegenwart. Aufgrund der Vernichtung des Nazisystems wurde 1945 nahtlos an die Zeit vor 1938 angeknüpft, ich sage: nahtlos.
 
Simon Moser, der eine Mitbegründer von Rotholz und Alpbach, bleibt bis 1978 Wissenschaftlicher Leiter der Hochschulwochen, Otto Molden, der andere, bis 1992 Präsident derselben. 
Alpbach hat die Wurzeln ganz klar im österreichischen Ständestaat und ist, sagen wir, dann später, freilich erst längere Zeit nach 1945, nach und nach quasi „veredelt“ worden. 
 


Branding Vergangenheit

 

Die Identität von Alpbach, auch wenn man das heute vielleicht Branding nennt, speist sich immer noch aus der Vergangenheit. Alpbach ist in dem, was bei den Leuten ankommt, zutiefst restaurativ und verbreitet - wenn auch über alle modernen Medienkanäle - den Mief der Dreißigerjahre, der damals dominierenden Staatskultur. Man braucht von den knallbunten Bildern, die hinausgehen und tausendfach reproduziert werden, nur die bunten Farben abzuziehen.
 
Es hat sich nicht gar so viel verändert. 
Die Gesellschaft ist reicher geworden, das Klima also toleranter. Aber die Wurzeln von Alpbach reichen immer noch tief hinab. 
Nicht zufällig ist es bis heute fest in konservativer Hand, in jener der Nachfolger der sogenannten Christlich-Sozialen der 30er Jahre: zuletzt, von 2000 bis 2012, war ein ehemaliger ÖVP-Obmann Präsident des Forums Alpbach, heute ist es ein ehemaliger ÖVP-Landwirtschaftsminister. 
Ich sage nicht, dass die heutige Großveranstaltung die direkte Fortsetzung der ständestaatlichen Hochschulwochen ist, aber man sollte auch nicht so tun, als habe im Jahre 1945 eine Jungferngeburt stattgefunden. 
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Martin B. Mo., 20.08.2018 - 19:50

Ich schätze ja die Aktivität des Herrn Wilhelm in der Causa TIWAG und letzthin Festspiele Erl, ja bewundere seinen Kampf als David gegen Goliath. Die Diabolisierung des Forums Alpbach als "Austro-klerikalfaschistisch" kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nach dieser Logik müssten nicht nur alle öffentlich-rechtlichen Institutionen/Personen aus der Nazizeit, sondern auch jene aus der Zeit des Austro-Ständestaates ausradiert bzw. geächtet werden. Ich glaube eine etwas diversifizierende Gewichtung würde der Bewertung und Einschätzung guttun und auch die Aufzeigung der etwas "geschönten" Forumsgeschichte mehr Relevanz geben. In besagter Zeit war z.B. im künstlerischen Bereich nicht jeder ein ideologischer und unterstützender Nazi, nur weil er um das Karriereende zu vermeiden, das Parteikärtchen hatte und die Gunst unmöglicher Nazi-Gönner nicht heldenhaft ausschlug. Es wäre hypothetisch interessant zu spekulieren wieviele Prozent konkret in Bildung, Kultur und Kunst lieber Beruf und Karriere aufgeben, als sich die Parteimitgliedschaft von NPD bzw. Casapound und deren Gönnung für Karrieresprünge holen zu müssen. Vielleicht sollte man auch die etwas weniger abeschreckende und mitregierende FPÖ und Lega zum Vergleich heranziehen. Welcher Lehrer, Musiker und Künstler getraut sich dies offen und abschätzend anzudenken, also ohne polemische Polarisierung an der Realität vorbei? Ist dies hypothetisch überhaupt möglich, also im Vergleich zur Zeit und Situation damals?

Mo., 20.08.2018 - 19:50 Permalink