Gesellschaft | Kommunikation

Die Wahrheit hängt vom Nutzen ab

Krisenzeiten bieten einen Nährboden für Desinformation. Alen Velagic, Kommunikations- und Politikwissenschaftler und Mitarbeiter bei Saferinternet.at im Interview.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Foto von Joshua Miranda von Pexels

Krisenzeiten bieten einen guten Nährboden für verschiedene Formen von Desinformation und Manipulation. Sie sind dann legitime Mittel der politischen Kommunikation, wenn die Wahrheit von ihrer Nützlichkeit abhängt. Unser Interviewpartner Alen Velagic studierte Kommunikations- und Politikwissenschaften an der Uni Wien und ist zurzeit Projektmanager, Mediencoach und freier Mitarbeiter bei Saferinternet.at. Ende Oktober hielt er den Vortrag „Verschwörungsideologien und -mythen im Zeitalter der Online-Propaganda“ im Jugendhaus Kassianeum in Brixen. Eingefädelt wurde das Ganze von den Jugendarbeiter*innen der Younginfobox und des Jugendzentrum Kass. Aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie waren die Plätze begrenzt und der Vortrag schnell ausgebucht. Die Mitarbeiter*innen organisierten kurzerhand einen Livestream, der auf der Facebook-Seite des Jugendzentrum Kass abrufbar ist. Das Interview wurde im Rahmen dieser Veranstaltung geführt.

Die Situation rund um die COVID-19 Pandemie hat die Anzahl der Verschwörungstheoretiker scheinbar sprunghaft anwachsen lassen. Woran könnte das liegen? Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Drastische Veränderungen im Alltag von Menschen tragen dazu bei, dass Antworten gesucht werden, um sich all diese Vorgänge begreifbarer machen zu können. Wir Menschen greifen auf unsere Vorerfahrungen zurück, um unsere Umwelt zu beschreiben, unsere Entscheidungen zu treffen und unsere Handlungen zu legitimieren. Eine Antwort auf die Frage, woher der Glaube an Verschwörungsmythen komme, kann kurz sowie lang ausfallen. Die Gründe sind verschieden. Allgemein lässt sich ein Wider-stand gegen einen Zwang erkennen, wie bspw. Mund-Nasen-Schutz in Zeiten einer Pandemie. Hinzu kommt die Situation, in der dieser Widerstand aufgebaut wird. Beispielsweise können alte Konflikte mit neuen Themen wie den Anit-Covid-19-Maßnahmen wiederentfachen. Natürlich gibt es auch jene, deren Existenzen durch diese Maßnahmen gefährdet sind. Exemplarisch sei der Freizeitbereich, die Gastronomie, allgemein der Tourismus genannt. Aber auch in diesen Bereichen braucht es keine Pauschalisierung, denn es gibt jene, die die Maßnahmen akzeptieren und umsetzen, genauso wie jene, die diese ablehnen.

 

Sind Verschwörungsmythen erst durch das Internet richtig groß geworden, oder hat es sie schon immer, in dieser oder einer ähnlichen Form gegeben?

Das Internet und dort anzutreffende Foren sind bloß andere bzw. neue Arenen, in denen der Meinungsaustausch organisiert wird. Verschwörungsmythen gibt es wahrscheinlich so lange wie es Menschen gibt. Solche Mythen dienen der Feindbildkonstruktion und finden sich in den antiken Kulturen genauso wie in den Gesellschaften des Mittelalters wieder. Hier sei der Widerstand gegen kirchliche Machtstrukturen und Abgaben als ein Grund genannt.
Gleichzeitig gibt es auch echte Verschwörungen, die klar von den Mythen unterschieden gehören. Eine der bekanntesten Verschwörungen soll mit den Worten „Et tu, Brutus?“ oder „Auch du, Brutus?“ geendet haben. Gemeint ist die Ermordung von Gaius Julius Caesar, der einer bestimmten Gruppe von Senatoren zu mächtig geworden war. Etwas spektakulärer sind die Entmachtung und die Verfolgungen des Templerordens. Wir wissen inzw. über den Reichtum des Ordens, deren Einfluss in Europa sowie den Nahen Osten und deren Rolle als Geldgeber und Gläubiger Bescheid. Die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ist eine etwas jüngere Verschwörung. Eine nicht so weit zurückliegende Verschwörung ist die rund um US-Präsident Richard Nixon bekannte Watergate-Affäre.
Die heute anzutreffenden Verschwörungsmythen haben es zu früheren Ausbreitungen leichter, da der Zugang zu Informationen mittels Internet erleichtert worden ist. Die Menschen finden durch div. Foren und Social-Media-Dienste gewiss leichter zueinander.

In deiner Publikation „Die Wahrheit hängt vom Nutzen ab“ sprichst du davon, dass es durch eine schwach ausgeprägte Medienkompetenz einfacher ist, jemanden zu beeinflussen und eine Meinung vorzugeben. Durch welche Maßnahmen könnte man deiner Meinung nach, die Medienkompetenz von Erwachsenen erhöhen, ohne dass diese erneut hinter die Schulbank müssen?

Eigentlich sollte es Informationskompetenz heißen. Medienkompetenz ist es letztlich geworden, da die Herausgeber*innen auf die Verwendung im deutschsprachigen Raum bestanden. Informationskompetenz ist die angloamerikanische Version und meint den selbstbestimmten, souveränen, verantwortlichen und zielgerichteten Umgang mit Informationen. Medienkompetenz ist dagegen die Mediennutzung, also das Verständnis sowie die Fähigkeit, Inhalte zu gestalten und zu veröffentlichen.
Auf die Frage, wie Medienkompetenz angeeignet werden kann, gibt es meiner Ansicht nach zwei nennenswerte Antworten: 1) Sich so lange mit den Geräten spielen, bis alle Funktionen durchgespielt sind. 2) Die Bedienungsanleitung durchlesen. Letztlich sind es Erfahrungen, die gemacht werden müssen, um mit Medien umgehen zu können.
Wenn es um die Informationskompetenz geht, ist die Antwort ähnlich: Auch hier geht es um Erfahrungen, die gemacht werden müssen. Informationen, Nachrichten haben unterschiedliche Ziele. Letztlich gilt es, sich stets die Frage nach dem cui bono zu stellen – wem nützt es? Damit ist schon ein wichtiger Schritt gelungen, nämlich sich die Zeit zu nehmen, verschiedene Aspekte zu betrachten und eine Entscheidung zu treffen. Wohl am gefährlichsten wird die Situation, wenn voreilig Entscheidungen getroffen und Handlungen durchgeführt werden. Oft gibt es kein Zurück mehr oder es ist sehr schwierig, denn der Weg zur Abwärtsspirale ist nicht weit weg.
Wir müssen stets bedenken, dass es einen drastischen Medienwandel in den letzten knapp drei Jahrzehnten gegeben hat. Die sogenannten Gatekeeper der klassischen Medien haben nicht mehr die Position der Hüter einer Gesellschaft inne wie einst. Zu diesen haben sich sehr viele andere gesellt. Und ohne früh im Bildungsbereich anzusetzen, wird es sehr schwer, angelernte Denkmuster zu ändern.

Wie kann man Verschwörungsmythen/Verschwörungstheorien am einfachsten erkennen? Gibt es hilfreiche Tools?

Ich komme stets zurück zum Nutzen, dem cui bono. Wird ein*e Drathzieher*in genannt? Gibt es einen Zweifel an öffentlichen Erklärungen und wer sind die Bösen und wer die Guten? Gibt es eine oder mehrere Quellen, die die Aussagen bestätigen? Sind die Aussagen schlüssig oder gibt es Widersprüche? Zu guter Letzt sich stets fragen, was wird eigentlich von mir selbst erwartet, was soll ich aufgeben, welches Opfer soll ich bringen?
Wem diese Überlegungen mühsam erscheinen, kann sich auch an bestimmte Onlineangebote wenden: Die Europäische Kommission bietet bspw. dazu eine Fünf-Schritte-Anleitung, die geübt oder auswendig gelernt werden kann (lach). Im Deutschsprachigen Raum gibt es u. a. den Verein Mimikama mit der dazugehörigen Webseite, die regelmäßig zu Internetbetrug berichtet. Die in Wien ansässige Watchlist Internet, die ebenfalls eine gleichnamige App bereitstellt, veröffentlicht regelmäßig Wahrungen zu On-line-Betrug. Solche Angebote sind bspw. in den ersten Wochen und Monaten des Lockdowns besonders wichtig gewesen, um über Fake News wie Heilmittel gegen Covid-19 zu informieren. Doch wer sich stets auf fremde Erklärungen verlässt, lagert eigenes Denken aus und wird gleichzeitig abhängig von Anderen.

Welche Auswirkungen haben die Ansichten von Anhängern verschiedener Verschwörungsmythen auf ihr eigenes Leben, als auch auf jenes der Menschen in ihrer Umgebung?

Solange Verschwörungserzählende unter sich sind, erfahren sie Bestätigung und haben jene Rollen inne, wie es sie anderen Gruppen auch gibt. Indem es zum Kontakt mit Außenstehenden kommt, verändert sich die Situation. Daraus kann sich durchaus ein ernstzunehmender Konflikt entwickeln. Je nach Beziehung zu den Menschen in ihrer Umgebung kann es passieren, dass sie bspw. als Ausgesetzte oder Ausgestoßene abgestempelt werden und aller Freundschaft Bande bricht. Solche Positionen öffentlich zu vertreten, kann sogar zu berechtigten Kündigungen führen.
Es hängt auch davon ab, welche Verschwörungsmythen erzählt werden. Handelt es sich um Anti-Covid-19-Maßnahmen, gegen die es einen Widerstand gibt, dann können die Folgen ein schlimmes Ende nehmen. Welche langfristigen Folgen Covid-19 tatsächlich auf den Körper der Infizierten und Genesenen haben wird, wird und gehört noch ausführlich erforscht.
Wenn es um die Gegner*innen von Impfungen geht, lässt sich ebenfalls erahnen, welche Folgen es haben kann, Schutzimpfungen abzulehnen.
Ob solche Positionen gesund sind? Nein!

Hast du Tipps, wie man mit Verschwörungstheoretikern am besten umgehen sollte bzw. mit welchen Argumenten man am ehesten punkten kann?

Ich empfehle hier einen einfacheren Zugang: Sich stets bewusst machen, dass nicht jeder Mensch auf-geklärt werden muss. In diesem Sinn muss auch nicht jeder Mensch „gerettet“ werden. Wer sich den-noch auf Verschwörungserzählende einlassen möchte, das Argumentations-Dreieck ist ein guter Zu-gang, um die Motive zu benennen sowie Fakten und Appell zu formulieren. Mit der Fünf-Satz-Regel lässt sich der Argumentationsverlauf strukturieren. Hinzu kommt, dass es auch entsprechendes Wissen zum jeweiligen Thema benötigt. Ohne sich vorab zu informieren, wird es sehr schwer. Es handelt sich hier um Methoden, die allerdings für verschiedene Alltagssituationen genutzt werden können. Dabei ist es ebenfalls wichtig, sich stets eine Exit-Strategie zu überlegen, also was tun, wenn die Situation eskaliert. Es gibt natürlich auch Menschen, die den Eindruck haben, sie werden mit ihrer Meinung an die Wand gestellt und es gibt keinen anderen Ausweg, als mit Gewalt zu antworten.