Politik | Zweckoptimismus

Schönrechnerei beim Klimaschutz

Südtirol kann bis 2030 Klimaneutralität erreichen, verkündete LH Kompatscher in seiner Haushaltsrede. Blickt man 10 Jahre zurück, ist das recht unbegründeter Optimismus.
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Eisbär
Foto: Pixabay

Der erste echte Klimaschutzplan des Landes, erstellt von hochkarätigen Wissenschaftlern, stammt aus 2011: das strategische Dokument „Energie Südtirol 2050“ bringt nicht nur eine Vision zur Energiewende bis 2050, sondern setzt auch konkrete Ziele und Maßnahmen für die nächsten 40 Jahre. Dabei wird für 2011 von einem Emissionsstand von 5,3 t/pro Kopf ausgegangen. Schon 2016 verkündete der damalige LR Theiner, dass nur mehr 4,4 t CO2-Äquivalente pro Südtiroler emittiert würden. Damit seien die angepeilten 4 t/Kopf für 2020 erreichbar.

Die landeseigene Klimahausagentur stellt das Bild etwas nüchterner dar. Sie errechnete für 2018 7,37 t/Kopf, also etwas mehr als der gesamtitalienische Durchschnitt von 7 t/Kopf. Der Grund: im Klimaplan wird der „graue“ Energieverbrauch einfach ausgeklammert. Man tut so, als importiere Südtirol keine Konsum- und Investitionsgüter, die anderswo mit hohen Emissionen hergestellt und ins Land gekarrt werden. Dieser Bereich stellt in Wahrheit aber den größten Teil der Emissionen dar, erläuterte Andreas Riedl, DfNUS-Geschäftsführer bei der Abschlussveranstaltung der POLITiS-Gespräche „Wachstum neu denken“ am 15.12.2020, „wenn man eine regionale Situation mit nationalen Daten von großen Flächenstaaten vergleicht, vergleicht man Äpfel mit Birnbäumen. Schließt man die grauen Emissionen ein, liegt Südtirol über dem gesamtitalienischen Durchschnitt.“

Wie ist der Stand der Dinge heute? Am 14.12.2019 verkündete LH Kompatscher, Südtirol solle ein „Vorzeige-Klimaland“ werden. Zu diesem Zweck hätte 2020 der Klimaplan „Südtirol Energie 2050“ überarbeitet werden sollen, was nicht gelungen ist. Dennoch gab sich Kompatscher in seiner Haushaltsrede vom 11.12.2020 mehr als optimistisch: „Die wichtigsten Ziele des europäischen Grünen Deals stimmen mit den Zielen, die wir uns in Südtirol gesetzt haben, bestens überein. Es geht darum, die Biodiversität zu schützen, die Kreislaufwirtschaft zu stärken sowie bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der EU auf null zu bringen. Südtirol kann dieses Ziel wahrscheinlich schon rund 20 Jahre früher schaffen. Davon bin ich fest überzeugt.“

Ist das realistisch? Woher bezieht Kompatscher diesen Optimismus? Die Fakten sprechen dagegen. Schon im September 2020 hatten die GRÜNEN in einer Landtagsanfrage nach dem Stand der Zielerreichung beim Klimaschutz gefragt. 42 Maßnahmen längs 6 Achsen seien erfolgt, hieß es, nicht alle wirklich relevant für den Klimaschutz. Entscheidend ist aber die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Gegenüber 2011, so LR Vettorato in seiner Antwort, kann man insgesamt von der Einsparung von 0,5 t CO2-Äquivalenten pro Kopf der Bevölkerung ausgehen. Mit anderen Worten: in 9 Jahren hat man nicht mehr als eine halbe Tonne an Emissionssenkung erreicht. Nun will Südtirol in den kommenden 10 Jahren mehr als 6 Tonnen Senkung erreichen, um klimaneutral zu werden? Wohl nur ein frommer Wunsch.

Die nur langsame Elektrifizierung des Verkehrs, die geringe Rate bei der Gebäudesanierung, die fehlende Reduzierung des Transitverkehrs, der allein ein Drittel der verkehrsbedingten CO2-Emissionen Südtirols ausmacht, das ständige Wachstum des Verbrauchs an Elektroenergie, der Flächenverbrauch: das frisst die Emissionsreduzierung durch mehr Energieeffizienz wieder auf. Man nicht kann auf der einen Seite mobilitätsintensives (Tourismus), emissionsintensives (Landwirtschaft) und flächenverbrauchendes (Raumordnung) Wachstum fördern wie bisher, und auf der anderen Seite in 10 Jahren klimaneutral werden wollen. Auch viel Nachhaltigkeitsrhetorik schafft das nicht.

Und damit zur Klimaplanung selbst: wie angekündigt muss die Klimastrategie 2050 überarbeitet und angepasst werden. Ihre Zwischenziele für 2020 sind weit verfehlt worden. Doch kein Problem, ein Klimaplan ist geduldiges Papier: ein Fachplan des Landes ohne rechtliche Verbindlichkeit, der nicht mal öffentlich näher diskutiert wird. Erreicht man die Ziele, passt’s. Erreicht man sie nicht, schreibt man den Plan halt um und passt die Ziele der Realität an. Sie binden ohnehin niemanden. Der Planansatz selbst sei überholt, unterstrich Andreas Riedl in seinem Referat, top down von den Ämtern vorgegeben, 30 Tage Zeit für Stellungnahmen, doch in der Substanz ohne Beteiligung von Bürgern, Verbänden, Öffentlichkeit. Ohne verbindliche Ziele, kontinuierliches Monitoring und verpflichtende Evaluation durch unabhängige Forschungsinstitute sei das ähnlich wie anderen Landesplänen, die nach Bedarf laufend abgeändert werden. Typische Südtiroler Planungskultur: die Politik will sich alle Türen offen halten. Es gibt keine Klima-Verträglichkeitsprüfung, keinen Umweltanwalt, der Einspruch erheben könnte, wenn Maßnahmen des Landes den Emissionszielen zuwiderlaufen. Wie z.B. wenn das Land ins 972-Millionen-Maßnahmenpaket, das durch den Corona Recovery Fund finanziert wird, einfügt: z.B. die Errichtung von Speicherbecken für die künstliche Beschneiung der Skipisten.

 

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Klemens Riegler So., 20.12.2020 - 10:53

Solange ein "Ziel" im Jahr 2050 (also Hauptsache weit weg) angepeilt wird, wird es kaum zeitnahe Lösungen und Anstrengungen geben. Man kann schließlich alles auf die nächste Legislatur (vielleicht andere Politiker / Partei) verschieben, die das dann auch nicht in Angriff nimmt. Weil eben vielleicht grad ein Umstand Umsetzungen nicht lässt. Einmal ist es eine Überschwemmung, dann ein Erdbeben, dann ein Virus ... und danach geht's nicht weil die Anstrengungen zur wirtschaftlichen "Behebung" der Schäden es schon wieder nicht zulassen. ... und dann sind wir eh schon 2050 ... ohne dass viel passiert wäre.
Ich freue mich wenn ich Unrecht habe! bzw. ich habe Hoffnung, weil immer mehr Menschen den ökonomischen und umweltpolitischen Wandel wünschen und aktiv dafür eintreten.

So., 20.12.2020 - 10:53 Permalink
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m s So., 20.12.2020 - 21:13

Wie wahr, wie wahr! Südtirol ist sicher kein Vorzeigemodell in Sachen Klimaschutz. Das meiste ist unverbindliche aber hochtrabende heiße Luft und Marketing (z.B. will man in Sachen Radmobilität in ein paar Jahren mit Kopenhagen gleichziehen,- wow da kann man nur staunen bzw den Kopf schütteln!). Investitionen fließen tatsächlich aber großteils in Straßenbauprojekte und wenn die führende Partei nicht mal imstande ist auf so einen widersinnigen Flughafen zu verzichten, dann sagt das alles...

So., 20.12.2020 - 21:13 Permalink
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Herta Abram Mo., 21.12.2020 - 09:12

Klimaplan, Umweltschutz, Gleichberechtigung, usw. scheint bei bestimmten Personen, politischen VertreterInnen, einen kreativen Reflex auszulösen! Nämlich: Diese (unbequemen) Vorgaben listig umgehen zu wollen!
Ich befürchte, dass - bei Einstellungen, wie sie im Artikel beschrieben sind - auch noch so detaillierte Gesetzesvorgaben, kaum ein verändertes, zukunftsfähiges Verhalten bewirken können.
Wenn der Sinn dahinter nicht verstanden wird oder verstanden werden will!
Haltung und Verantwortungsgefühl kann man bei niemanden erzwingen, aber wenn wir – für unsere Kinder - in eine sichere Zukunft navigieren wollen, dürfen wir kurzsichtige, rein auf Macherhalt einer kleinen Gruppe ausgerichtete Tricksereien und Kalkül nicht mehr durchgehen lassen!

Mo., 21.12.2020 - 09:12 Permalink
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Sepp.Bacher Mo., 21.12.2020 - 11:23

Es ist inzwischen ziemlich verbreitet, bei den Zielen auch die Nachhaltigkeit zu nennen. Ich vermute, dass jeder etwas anderes damit meint bzw. sich gar nicht wirklich damit auseinandersetz; wichtig ist, man nennt das auch; es ist in!
Noch mehr wird dieses Ziel auch von Südtiroler Politikern genannt, speziell von Kompatscher; eben auch bei beschriebener Haushaltsrede. Wie er sich das vorstellt und wie er es umsetzen möchte, sagt er nicht. Er hat in seiner Stabsstelle einen eigenen Mitarbeiter, der sich mit diesem Thema befass, den LH berät und auch ein Konzept ausgearbeitet hat, das schon vor einem Monat hätte vorgestellt werden. Bisher hat man aber nichts mehr davon gehört.
Diese ganze Angelegenheit lässt mich an den italienischen Sager erinnern: Tra il dire ed il fare c´e` dimezzo il mare.

Mo., 21.12.2020 - 11:23 Permalink
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Christian I Di., 22.12.2020 - 13:48

Antwort auf von Sepp.Bacher

Den Eindruck habe ich leider auch. Und man sieht es auch in der TV-Werbung: Das Stichwort "Nachhaltigkeit" ist "in" geworden, auch für (bzw. gerade für) Güter die mit Nachhaltigkeit wohl gar nichts zu tun haben...
Ich sehe es schwarz wenn nicht schnellsten ein Umdenken stattfindet.

Di., 22.12.2020 - 13:48 Permalink
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Karl Gudauner Mo., 21.12.2020 - 17:55

Nachhaltigkeit ist nie eine einfache Aufgabe. Jeder Tag ist gut, um zu beginnen. Zwei Sätze aus dem Klimaplan Südtirol 2050, der 2011 vorgestellt worden ist. O-Ton von Landeshauptmann Luis Durnwalder im Vorwort: „Es wird uns letztlich gut tun, wenn wir die notwendige Energiewende jetzt und heute einleiten.“ Bei der Überprüfung der Umsetzungsfortschritte ist 2016 festgestellt worden, dass Südtirol auf Kurs ist. Vielleicht hat das zu einer gewissen Selbstzufriedenheit beigetragen, die mit dem Ziel schlecht vereinbar ist, eine Vorreiterrolle als KlimaLand Südtirol anzustreben. Um Exzellenz zu erreichen, muss Südtirol danach trachten, nicht nur besser als andere zu sein, sondern die eigenen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Die laut LR Giuliano Vettorato derzeit laufende Überprüfung des Status quo sollte ersichtlich machen, wie in den einzelnen Bereichen die Zwischenbilanz aussieht: Was ist umgesetzt worden. Welchen Beitrag leisten die Maßnahmen für die Erreichung der Klimaziele? Wo ist das Potenzial nicht genutzt worden? Welche sind die Gründe hierfür? Was wäre bei Orientierung an den SDGs möglich und leistbar? Wo ist strategisch nun der Hebel anzusetzen? Damit soll jenseits einer defensiven Auflistung der ohne Zweifel gemachten Fortschritte für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar werden, wo Handlungsbedarf besteht, was sich die Landesregierung vornimmt und wo die Bevölkerung selbst aktiv dazu beitragen kann, Nachhaltigkeit als Leitmotiv der Entwicklung zu etablieren.

Mo., 21.12.2020 - 17:55 Permalink
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Thomas Benedikter Di., 22.12.2020 - 10:19

Mit dem Gummiwort "Nachhaltigkeit" wird inzwischen alles und sein Gegenteil bezeichnet. Der Begriff ist in einer seriösen Debatte um Wachstum und Klimaschutz nicht mehr verwendbar.
Nur wenn man einen Teil der Emissionen ausblendet, lieber Karl, war Südtirol 2016 auf Kurs gemäß Strategie "Südtirol Energie 2050". Auch 2020 ist das so. Bei den klimaschädlichen Emissionen liegen wir ungefähr im gesamtitalienischen Durchschnitt, obwohl wir den Bonus des hohen Anteils an erneuerbarer Energie haben. Die neue Klimaschutzstrategie müsste klar angeben, was mit welchen Maßnahmen in welcher Zeit erreichbar ist. Denn darin liegt die Crux der Südtiroler Planungskultur: man macht einen schön klingenden Plan, völlig unverbindlich. Wenn er dann nicht erreicht wird, waren die widrigen Umstände schuld, aber nie und nimmer die Politik und falsch gesetzte Weichenstellungen.

Di., 22.12.2020 - 10:19 Permalink
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Profil für Benutzer Herta Abram
Herta Abram Di., 22.12.2020 - 11:50

Außerdem heute – 22.12. - 17 Uhr vor dem Landhaus nachhaltige Kerze für den Klimaschutz aufstellen.

Initiative Plagg /Scienists for future: 17:00 Uhr, Silvius Magnago Platz, be there!
Nachhaltig produzierte Kerze* mitbringen, hinstellen, weitergehen.

Wir halten ein: Coronaregeln.
Wir fordern ein: Übereinkommen von Paris einhalten. Dringend. Und keine faulen Ausreden mehr.

#FightEveryCrisis #fightfor1point5
#KeinGradWeiter
#scientistsforfuture
#FridaysForFuture
#FaceTheClimateEmergency
#AdventAdventdieErdebrennt

*Wer keine nachhaltig produzierte Kerze hat, kriegt eine von uns.

Wir haben Kerzen und Liebe für alle.

Di., 22.12.2020 - 11:50 Permalink