Politik | Parlament

Die Anwesenheitsliste

Wie oft sitzen Südtirols Parlamentarier wirklich in der Abgeordnetenkammer und im Senat? Ein Blick auf die elektronischen Abstimmungen der Südtiroler Volksvertreter.
senato_23_aprile.jpg
Foto: w
Das erste Semester ist längst vorbei. Es sind fast drei Jahre vergangen seit den letzten Parlamentswahlen. Und es dürfte Zeit sein eine Art Zwischenbilanz zu ziehen.
Wie die Schülerinnen und Schülern kann man auch den Politikern eine Art Zeugnis ausstellen. Weil aber die politische Arbeit inhaltlich schwer zu vergleichen und zu bewerten ist, geht es hier ausschließlich um die Anwesenheit der Südtiroler Parlamentarier.
Am besten und am fairsten lässt sich die Anwesenheit an den elektronischen Abstimmungen in der Kammer und im Senat feststellen. Jetzt werden einige sagen: Man kann auch im Parlament sitzen und sich bewusst nicht an allen Abstimmungen beteiligen. Was natürlich stimmt.
 
 
Wenn man aber weiß, dass die Auszahlung der Tagesgelder, der sogenannten diaria, ausschließlich von der Teilnahme an den elektronischen Abstimmungen abhängt, dann wird klar, dass kaum ein Politiker im Parlament sitzt und bewusst nicht mitabstimmt. Es geht hier ums Geld. Gerade deshalb zeichnet diese Methode relativ realistisch die Anwesenheit der Politiker im Parlament nach.
 

Die Plattform

 
Vor rund zehn Jahren gründeten Privatpersonen den Verein „Openpolis“. Inzwischen zu einer gemeinnützigen Stiftung geworden, sammelt Openpolis Daten aus dem öffentlichen Raum und bereitet sie transparent und wissenschaftlich auf. Der Sinn der Operation ist jene Transparenz zu schaffen, die Institutionen sehr oft schmerzlich vermissen lassen.
 
 
Von Anfang an war die parlamentarische Arbeit einer der Schwerpunkt von Openpolis. Weil dieser Bereich besonders viel Aufmerksam erhält, hat man inzwischen dafür auch eine eigene Plattform eingerichtet. Openparlamento sammelt die verschiedensten Statistiken aus den beiden Kammern des Parlaments. Zudem wird jährlich auch ein Ranking zur Produktivität der Parlamentarier erstellt. Derzeit liegt die Auswertung der elektronischen Abstimmungen vor. Dabei unterscheidet man zwischen drei Kategorien: Bei den Abstimmungen anwesend, abwesend oder in missione. In missione ist eine Art entschuldigte Abwesenheit. Das heißt man ist im institutionellen Auftrag unterwegs. Das gilt etwa für Staatssekretäre wie den Trentiner M5s-Abgeordneten Riccardo Fraccaro genauso, wie für den SVP-Abgeordneten Manfred Schullian oder die Italia Viva-Abgeordnete Maria Elena Boschi.
 
 
Schullian ist Fraktionssprecher der gemischten Fraktion (gruppo misto) und Boschi Fraktionssprecherin von Italia Viva in der Kammer. Weil es keinerlei Kontrolle über diese Art der entschuldigten Abwesenheit gibt, wird diese Möglichkeit traditionell sehr oft dazu missbraucht, anderen privaten oder beruflichen Angelegenheiten nachzugehen.
 

Klassenprimus Maturi

 
Dass die Anwesenheit und das Abstimmungsverhalten der Südtiroler Kammerabgeordneten alles andere als berauschend sind, macht ein Vergleich schnell deutlich.
In der Abgeordnetenkammer hat es seit Beginn der Legislatur bis zum 20. Jänner 2021 genau 7.492 Abstimmungen gegeben. Im Durchschnitt sind die Abgeordneten in der Kammer bei 73,42 Prozent dieser Abstimmungen anwesend und bei 16,36 Prozent der Abstimmungen abwesend.
 
Nur zwei der sieben Südtiroler Abgeordneten schaffen es diese Durchschnittswerte zu erreichen bzw. zu übertreffen. Filippo Maturi ist dabei eindeutig der Klassenprimus. Der Bozner Lega-Abgeordnete war bei 89,11Prozent der Abstimmungen anwesend. Das heißt Maturi hat bei 6.676 Abstimmungen mitgestimmt.
Über den Durchschnitt liegt nur noch Renate Gebhard. Die SVP-Abgeordnete war bei 74,32 Prozent der Abstimmungen dabei. Weil Gebhard auch Sprecherin der SVP-Gruppe in der Kammer ist, konnte sie zudem bei 18,45 Prozent der Abstimmungen als „in missione“ entschuldigt fehlen.
 
Aber alle anderen Südtiroler Abgeordneten liegen weit unter dem Durchschnitt ihrer italienischen Kollegen. So war der Vinschger SVP-Abgeordnete Albrecht Plangger nur bei knapp zwei Drittel (64,80%) der Abstimmungen dabei.
 
 
Michaela Biancofiore gar nur bei 39,80 Prozent. Das heißt die Bozner Forza Italia-Abgeordnet war bei 57,01 der Abstimmungen erst gar nicht im Parlament.
 

Die Missionäre

 
Noch schlechter stehen nur drei Südtiroler bzw. Trentiner Parlamentarier dar. Der Trentiner M5S-Abgeordnete Riccardo Fraccaro hat überhaupt nur bei 379 Abstimmungen (5,06%) mitgestimmt. Bei 92,94 Prozent der Abstimmungen war Fraccaro „in missione“. Das ist auch verständlich. Der M5S-Politiker gehört(e) als Staatssekretär im Minsterratspräsidium zur Regierung Conte und war damit – wie alle Regierungsmitglieder – im Parlament für seine Regierungsarbeit entschuldigt.
 
 
Aber auch Maria Elena Boschi war nur bei 39,80 Prozent der Abstimmungen dabei. Während 3.271 Abstimmungen (43,66 %) war die in Südtirol gewählte Italia Viva-Abgeordnete als Fraktionssprecherin institutionell unterwegs.
Noch deutlich mehr in seinem Job als Fraktionssprecher ist aber anscheinend Manfred Schullian unterwegs. Schullian ist Vorsitzender der gemischten Fraktion in der Abgeordnetenkammer, zu der inzwischen 76 Abgeordnete gehören. Der Kalterer SVP-Abgeordnete war so nur bei knapp mehr als einem Drittel der Abstimmungen (34,45%) dabei.  Bei über der Hälfte (55,25%) der Abstimmungen war Schullian „in missione“.
 

Fleißiger Steger

 
Im Senat hingegen schneiden die Südtiroler Vertreter weit besser ab. Im Senat hat es bis zum 17. Februar 2021 insgesamt 6.297 Abstimmungen gegeben. Durchschnittlich nahmen die Senatoren bei 83,72 Prozent der Abstimmungen teil.
Alle drei SVP-Senatoren liegen deutlich über diesem Durchschnitt. Dieter Steger hat nur 117 dieser Abstimmungen ausgelassen. Der Bozner Senator war bei 96,14% aller Sitzungen anwesend und stimmte mit ab. Er gehört damit ins oberste Spitzenfeld der Anwesenheitsliste im Senat.
 
Aber auch Julia Unterberger und Meinhard Durnwalders Abstimmungsmoral können sich mehr als nur sehen lassen.
 
Die Meraner Senatorin stimmte bei 94,49 % der Abstimmungen mit und der Pfalzner Senator bei 90,82 %.
 
Nur Gianclaudio Bressa fällt in diesem Ranking deutlich ab. Der in Welschnofen wohnhafte PD-Senator war nur bei zwei Dritteln (66%) der Abstimmungen anwesend. Auch er war aber bei 26,89 Prozent der Abstimmungen als „in missione“ entschuldigt. Bressa ist Präsident einer Senatskommission.
 
Auch das macht deutlich wie großzügig man im Parlament das Reglement auslegt.