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Bergbewohner

Die Ernährung der Menschen in den Alpen beschäftigt Gianni Bodini in der Arunda 31. Er durchstreift die Alpentäler und zieht Vergleiche, in Bildern und Gedanken.
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Sucht man nach den zehn höchstgelegenen Getreidehöfen der Alpen, findet man neun davon in Tirol. Acht liegen in den Ötztaler Alpen, jenem mächtigen Gebirgsstock, der vom Vinschgau, dem Inntal und dem Passeiertal begrenzt wird. Um mit diesem Gebiet vertraut zu werden, gehen wir von der Benediktinerabtei Marienberg aus, die im Oberen Vinschgau am Berghang von Burgeis liegt. Noch vor wenigen Jahren wurden die Sprösslinge der vornehmen Vinschgauer Familien bei den Benediktinern zur Schule geschickt. Wenn der Abt oder ein Ordensbruder starb, rief das Sterbeglöcklein die Gläubigen zum Kloster hinauf und alle Versammelten bekamen wie in alten Zeiten einen Napf mit Salz, dem einstmals seltenen und kostbaren Gewürz, geschenkt. Das Salz bekamen die Benediktiner von der Saline aus Hall in Tirol, und zwar auf Grund einer sehr frühen Vereinbarung. Außerdem gewährte ihnen der Besitz der besten Landgüter ein sorgloses Leben.

Weniger gut ging es den Kapuzinern in ihrem Kloster in Mals. Sie lebten zum großen Teil von Almosen, von denen sie sich mehr schlecht als recht ernähren konnten. Aber auch sie hatten eine Glocke, das sogenannte Hungerglöckl, und das erklang, wenn die Mönche drei Tage lang kein Essen bekommen hatten. Daraufhin brachte man, wer immer konnte, Nahrungsmittel an die Klosterpforte.

Auch Kartäuser hatten sich in Südtirol niedergelassen; 1326 wurde das Kloster Allerengelsberg im Schnalstal gegründet. Auseinandersetzungen mit den Talbewohnern gab es auch hier, zumal die Kartäuser zwei Drittel der Bauernhöfe besaßen und übertriebene Abgaben an Lebensmitteln forderten. Sie besaßen außerdem noch die besten Fischereirechte.

In Tirol gab es neben den Ordensbesitzungen auch sehr zahlreiche Adelsgüter und wohlhabende Bauern, die schon im 13. Jahrhundert über mehr Rechte verfügten. „Frei zu werden wie die Bauern Tirols“ war ein Wunsch und eine Redensart der Bauern aus den benachbarten Gebieten. Es ist sicher kein Zufall, dass bei manchen in Tirol beliebten Kartenspielen der Bauer den König sticht.

Im Vinschgau gibt es eine in den Ostalpen einzigartige Klimazone, den sogenannten Sonnenberg, auf dessen Hängen Getreide, Obst und Wein gedeihen. Was immer fehlte, war Wasser. Diesem Mangel wurde durch ein weitverzweigtes Netz von Bewässerungskanälen, den sogenannten „Waalen“, abgeholfen. Das kostbare Nass wurde über viele Kilometer von Gletschern, Bergseen und aus Bächen zugeleitet. Die Verteilung des Wassers unterlag einer äußerst strengen Regelung, wie übrigens auch im Wallis und im Aostatal, für die der „Waaler“ als Verantwortlicher für die Instandhaltung der Waale und die gerechte Verteilung des Wassers zu sorgen hatte. Diese Männer standen im hohen Ansehen und übten oft auch das Amt eines Laienrichters aus.

Man darf nicht vergessen, dass der Vinschgau als Kornkammer Tirols gegolten hat. Roggen reifte bis fast 2000 m Höhe. Im Bozner Unterland wurde er gleichwertig mit Wein eingetauscht, also ein Kilo für einen Liter. Auch im Schnalstal gibt es „Körndlbauern“ und zwar noch auf 1954 m Meereshöhe. Der Finailhof kann wohl als der am höchsten gelegene Getreidehof im ganzen Alpenbogen angesehen werden.

In Tirol wurde die Kartoffel verhältnismäßig früh heimisch, während sie in anderen Gegenden eher abgelehnt wurde. In der Meraner Gegend wird sie 1745 erwähnt.

Die Verbesserung der Volksernährung sowie der hygienischen Verhältnisse hatte zu einer bedeutenden Bevölkerungszunahme geführt. In Sankt Martin, einem Weiler oberhalb Latsch, lebten auf 18 Höfen nicht weniger als 400 Personen. Die sicherlich übermäßige Belastung einer an der Überlebensgrenze auf 1700 m Meereshöhe gelegenen Siedlung konnte nur durch kluge Erbhofpolitik bewältigt werden, die 1795 in einem Edikt der Kaiserin Maria Theresia mit der Anordnung des „Geschlossenen Hofes“ gesetzlich geregelt wurde. Dieses Gesetz untersagte die Aufteilung gewisser besonders gearteter bäuerlicher Anwesen und sah eine Erbregelung vor, die den gesamten Besitz auf den Erstgeborenen übertrug. Die Geschwister wurden „ausgezahlt“ oder als Arbeitskräfte auf dem Hof behalten. In schwierigen Zeiten bedeutete ein Dach über dem Kopf und die Kost nicht wenig.

Eine andere, für die Ernährung wichtige Erwerbsquelle ist die Schafzucht. Höhepunkt ist die jährliche Schafwanderung. Aus dem Vinschgau überschreiten die Schafe die Grenze nach Österreich, wobei Tausende von Tieren in einem Gewaltmarsch von drei Tagen in beinahe 3000 m Höhe über Eis und Schnee getrieben werden, um die Weidegründe in der Gegend von Vent im Ötztal zu erreichen, die seit altersher den Schalstaler Bauern gehören. Nach 700 Jahren gemeinsamer Geschichte wurde Tirol politisch getrennt, aber die Wurzeln der bäuerlichen Kultur gehen so tief, dass die neuen Grenzen in vielerlei Hinsicht keine Bedeutung haben.

Die wichtigsten Nebentäler des Inntales, das Kauner-, Pitz- und Ötztal, sind ebenfalls bis weit hinauf, wenn auch nicht so dicht, besiedelt. Starke Niederschläge, besonders im Winter und verhältnismäßig wenig Sonneneinstrahlung beschränken die Vegetationszeit auch in günstigen Jahren auf ganze vier Monate. Oft kann die Gerste durch einen Schlechtwettereinbruch nicht mehr ausreifen und die Kartoffeln gefrieren in der Erde. In diesen Täler und im Oberinntal gibt es weniger „Geschlossene Höfe“; dadurch entstanden durch Erbteilung kleinbäuerliche Betriebe, von deren Ertrag eine Familie nicht leben konnte; die Armut bewog nicht wenige Talbewohner, nach Amerika auszuwandern. Einige Bauern waren buchstäblich zu arm, um sich Schafe kaufen zu können und so haben sie ihre Weidegründe gegen Korn an die Bauern aus dem Schnalstal verpachtet. In diesen Tälern hatte das Schwein bei der Ernährung seit jeher eine Sonderstellung eingenommen. Der Speck ist für Tirol wie ein Nationalgericht. Ausgesuchte Teile des Fleisches werden mit Salz, Pfeffer und Wacholderbeeren gewürzt, nach einiger Zeit in einer besonderen Küche geräuchert und so für lange Zeit haltbar gemacht.

Andere Spezialitäten sind zum Beispiel die Krapfen, die mit zerriebenen Mohnsamen gefüllt werden. Nicht zu vergessen sind die Knödel aus Weißbrotresten, Speckwürfeln, Eiern, Milch und würzigem Grünzeug, die einfach im Wasserdampf gekocht werden. Aber wir können die Ausführungen über Tirol nicht abschließen, ohne das Sauerkraut erwähnt zu haben, das auch in anderen Gegenden bekannt ist, in Tirol aber besonders häufig auf den Tisch kommt. Die Krautköpfe werden mit einem besonderen Hobel in feine Streifen geschnitten, mit Salz und Wacholderbeeren gewürzt und in Holzbottichen gepresst. Nach ungefähr einem Monat ist es „reif“ und bleibt über den Winter eine gute Beilage zum bäuerlichen Essen. Es ist bekannt, dass die Entdeckung Amerikas nur dank der Vorräte an diesem vitaminreichen Gemüse möglich war.

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Martin B. So., 22.03.2015 - 18:19

Danke. Sehr schöner Beitrag. Hoffentlich besinnen wir uns wieder der reichhaltigen Versorgung aus den Talschaften, anstatt die Lebensmittel vorwiegend aus der Industrie zu erwerben, welche der Rendite wegen Verarbeitung und Produktion frei verteilt über Länder und Kontinente bevorzugt.

So., 22.03.2015 - 18:19 Permalink
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Sebastian Felderer So., 22.03.2015 - 19:02

Antwort auf von Martin B.

Danke Martin, aber meine Leistung liegt ja nur in der Auswahl. Ich sehe das auch so und praktiziere es nach Möglichkeit. Es war bis vor fünzig Jahren meine Welt und ich habe immer das Bedürfnis verspürt, diese Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Eigener Garten, möglichst viele Lebensmittel direkt vom Bauern und nur Früchte der Saison auf den Tisch, für den Winter Säfte, Marmeladen und Eingewecktes und zwischendurch selbstgebackenens Brot.

So., 22.03.2015 - 19:02 Permalink