Kultur | Biennale Gherdëina

Wie Masken Personen formen

Gestern begann sie offiziell, die 8. - oder unendlichste - Ausgabe der Biennale Gherdëina „Persones Persons“. Vorab gab es bereits eine Pressevorschau und -Konferenz.
Spathiphyllum Auris von Eduardo Navarro: Concrete, iron, wood, acrylic paint
Foto: Luca Meneghel

In vier Sprachen - deutsch, italienisch, englisch und ladinisch - dauerte letztere dann auch etwas länger. Interessant war dabei vor allem der personelle und finanzielle Maßstab des Projekts, sowie die zwei von den beiden Kuratorinnen Lucia Pietroiusti und Filipa Ramos angedachten „Gedanken Linien“ zur Auslegung des Motos: „Persones Persons“. Ein Team von 12 Personen arbeitete mit 24 Künstler:innen order -Kollektiven, das Budget belief sich auf 350000 Euro, zuzüglich 100000 Euro, die gesondert zu betrachten sind, da sie vom Italian Council, seitens des Italienischen Kulturministeriums zur Förderung von Alex Cechettis Beitrag „Sentiero“ gestellt wurden, welches nach der Biennale sechs weitere namhafte Stationen durchlaufen wird, bevor es Eingang in die permanente Sammlung des Museion findet.

Die zwei Wege, die den Künstler:innen zu Auslegung von „Persones Persons“ vorgegeben wurden sind einmal philosphischer und einmal legaler Natur, wobei die Zuschreibung von Personenrechten für Landschaften, Flüsse, Berge und weiteren wenig bis keine sichtbare Anwendung fand. Viel mehr gelingt eine emotionale Annäherung, eine Art Übung in Empathie, welche durch das Versehen mit fiktiven Persönlichkeitsmerkmalen oder auch animistischen Zügen gelingt. Für uns Menschen endet das Einfühlungsvermögen irgendwo auf dem Weg zur totalen Andersartigkeit, individuell näher oder weiter weg von unserer persönlichen Erlebniswirklichkeit. Die Etymologie gibt den Künstler:innen und Kuratorinnen in ihrem Vorgehen recht, da „persōna“ sich im Lateinischen auf die Maske eines Schauspielers, auf eine Rolle, einen Part oder Charakter bezieht, was wiederum ein Lehnwort des etruskischen Worts für Maske sein kann.

Die vor Ort entstandenen Werke verteilen sich neben St. Ulrich auch auf den Lech da Lagustel, das Langental und die Fischburg, welche zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Das macht eine Karte und Kenntnis der Öffnungszeiten unverzichtbar (am Ende des Artikels). Besser ist, man schafft es eines der Guide-Büchlein zu ergattern, die - viersprachig - gut 280 Seiten stark sind.

In St. Ulrich selbst ist neben Kunst im öffentlichen Raum die größte Konzentration an Kunstwerken im Kulturhaus Luis Trenker und im alten Hotel Ladinia. Der Kontrast zwischen beiden Orten könnte kaum größer sein: Der Trenker Saal offenbart sich auf einen Blick, ist großzügig, einladend und in seiner pastelligen Farbgebung von Giles Round neu gestaltet, der mit „Il mostro“, einem kleinen, traurigen an ein Nashorn erinnerndem Monster namens Leonardo als Tapete, Plakat oder Spielzeug im gesamten urbanen Raum interveniert. Das Hotel hingegen hat den Charme des in Vergessenheit Geratenen. Zwischen Staub und in die Jahre gekommenem Mobiliar fügen sich in Winkel und Zimmer Video-Arbeiten ein, die es einzeln zu entdecken gilt.

 

 

In der Biennale weiß man sich einen für die ausgestellten Werke fruchtbaren Kontext zu schaffen oder diesen zu finden. Während im Langental scheinbar einfache, der Wahrnehmung des Selbst und der Natur verpflichtete Interventionen zu finden sind, liegt auf der Fischburg ein Zauber: Die Kunstwerke koexistieren mit den Bewohnern und sprechen mehr die märchenhafte und magische Seite der Kunstproduktion an.

Persönliche Highlights gibt es dabei an jedem der Orte zu finden: Im Trenkersaal ist es neben den Leihgaben, welche der im vergangenen November verstorbenen Etel Adnan und Jimmie Durham erinnert, die Arbeit von Kyriaki Goni. In computergenerierten Bildern und Stimme spricht eine Hybride-Pflanze, die auch als hölzerne Ikone, von einem Grödner Kunsthandwerker bemalt wurde. In der Farbgebung des bemalten Holzmodels lässt sie an Heiligenfiguren denken, ihre Stimme hingegen ist geradewegs dem Uncanny Valley des nicht (ganz) menschlichen entstiegen und ihre Worte sind von der eindringlichen Poetik des Mensch-gemachten Klima-Untergangs geprägt.

 

 

Im Hotel Ladinia sind es die Figuren von Giles Rounds Monster, welche touristische Souvenirs und geliebtes Kinderspielzeug gleichermaßen sind und in einem Krippenartigem Arrangement am selben Ort, wie die Werkzeuge ihrer Schöpfung. Raue Bürsten und glattes Holz, Windräder oder Bäume und Tiere in einer Landschaft.

Barbara Gampers „somatic encounters / earthly matter(s). You Mountain, You River, You Tree“ ist geführte Meditation an einem eindrucksvollen und von Natur aus schönem Ort. Die minimal-invasiven Zugänge zum Audiokunstwerk sind als hölzerne QR-Codes an einem Baum befestigt und es empfiehlt sich daher, Smartphone und Kopfhörer dabei zu haben. Wäre die Arbeit nicht site-specific,  sie wäre wohl nur halb so schön.

 

 

Im Schloss ist das Sublime der Erfahrung mehr eine Sache des Kollektivs. Lina Lapelytes Stop-Motion Film von geschnitzten Holztieren, die ihren Machern entfliehen und deren Rufen von Tierstimmen-Imitatoren in die Welt gesetzt wird trägt ebenso viel bei wie Chiara Camonis stilles Totem, das von einer akribischen Kleinarbeit in seiner Gestaltung berichtet.

„Persones Persons“ ist eine Biennale geworden, die im besten Sinn des Wortes persönlich ist, auch weil die Zahl der Künstler:innen überschaubar geblieben ist und so den beiden Kuratorinnen eine engere Zusammenarbeit mit ihnen möglich war. Man sollte sich für sie Zeit nehmen, für diese Personen, die viele und doch keine Menschen sind.