Gesellschaft | Migranten in Südtirol

Meine bunten Bekannten

Ich bin kein Abenteurer und ich beherrsche keine Fremdsprachen, deshalb bin ich auch kaum außer Europa hinausgekommen. Mich interessieren aber schon Exotisches, verschiedene Völker, ihre Sprachen und Kulturen. Deshalb habe ich vieles darüber gelesen und Dokumentationen angeschaut.
Als vor ca. 25 Jahren die ersten außereuropäischen Einwanderer zu uns kamen, weckte das mein Interesse. Es waren anfänglich nur Männer und mit denen ist es unkomplizierter in Kontakt zu kommen. Die Tunesier beherrschten oft schon ein bisschen Italienisch. Die Pakistaner noch nicht. Sie hatten aber Kontaktpersonen, die deutsch sprachen. Ich habe einmal mit einem Barbetreiber (eigentlich ein Alternativer)gestritten, der ihnen gegen Bezahlung ein Eis verweigern wollte.
Ich war von diesen Männern fasziniert. Sie gingen zT Hand in Hand, berührten sich, wenn sie mit einander sprachen, an den Händen, Armen oder Oberschenkeln. Ich war ihnen fast neidisch, denn bei uns ist Körperlichkeit unter Männern verpönt: außer im Suff oder beim Fotografieren. Man hat ihnen wahrscheinlich auch beigebracht, dass man das bei uns nicht macht, denn nach einigen Monaten machten sie es auch nicht mehr. Ich habe Ähnliches vereinzelt schon in der Türkei gesehen und Freunde erzählten, dass dieses Verhalten am Indischen Subkontinent ganz selbstverständlich sei.
Ich habe dann sukzessive immer wieder verschiedene Zuwanderer kennen gelernt, mit einzelnen ist ein fester Kontakt und auch Freundschaft entstanden. Von diesen Menschen möchte ich erzählen. Die Namen sind geändert. Ähnlichkeiten mit anderen Personen sind zufällig.
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Foto: Leykam Verlag

Manuel

Er ist ein 23-jähriger Schwarzafrikaner aus einem kleinen Staat an der Westküste. Er ist Katholik und kam über einen Missionar nach Bozen. Er wohnt mit weiteren Afrikanern in einer Unterkunft einer Pfarrei. Er kam her, um hier eine Berufsausbildung zu machen, entsprechend macht er eine Vollzeit-Ausbildung am italienischen Berufsschulzentrum. Gegen Ende dieses Jahres – wenn es klappt – sollte er seine Ausbildung beenden und dann in sein Land zurückkehren, was aber noch nicht sicher ist.
Er hatte mich in einer Bar angebettelt. Wie ich es oft mache, habe ich ihn in ein Gespräch verwickelt. Eine Woche später lief er mir nach, nachdem er mich auf der Straße gesehen hatte. Anscheinend hatte ihn beeindruckt, dass ich Interesse an seiner Person und seinem Land gezeigt hatte und bei der Spende großzügig war. Und so entstand ein längerer Kontakt. Ich helfe ihm finanziell weiter, auch mit größeren Beträgen, als er die Aufenthaltsgenehmigung erneuern musste und ein paar Monate später alles wieder machen musste, weil ihm im Bus die Brieftasche mit allen Dokumenten gestohlen wurde. Er ist ein bisschen isoliert, schüchtern und unbeholfen, sehr dankbar und demütig. Im Winter half er mir beim Brennholz, wollte dafür aber kein Geld. Von den Behörden fühlt er sich oft schikaniert, zT. auch von seinen nordafrikanischen Mitbewohnern. Schon einige Male wollte er alles hinschmeißen und wieder in sein Land zurückkehren.

Masud

Sein Migrationsweg als Gastarbeiter führte von seinem Heimatland Bangladesch zuerst nach Saudi Arabien, Die zweite Etappe war Frankreich, die dritte Italien, und zwar Bozen. Hier kam er bei Landsleuten unter, die eine Wohnung gemietet hatten. Teilweise schliefen sie zu siebt in einem Zimmer, das war, wenn andere Landsleute, die zB in Gröden arbeiteten, gerade ihre freien Tage hatten oder nach der Saison wieder arbeitslos waren. Seine Stelle in einem Gastbetrieb in Bozen erhielt er auch über einem Landsmann.
In Bangladesch hatte er als Zweitsprache Englisch gelernt; in jedem Land kam ein bisschen von der jeweiligen Sprache dazu. Entsprechend versuchte er sich hier mit einem derartigen Sprachmischmasch aus Englisch, Arabisch, Französisch und ersten italienischen Wörtern durch den Tag zu kämpfen. Eine Verständigung war entsprechend schwierig. Er war/ist aber total unkompliziert und kontaktfreudig und so gab‘s immer eine Verständigung. Im Betrieb war er Mädchen für alles und vor allem für putzen.
Er ist zwar ein Moslem – so wie die meisten von uns getaufte Christen sind –, die Religion spielt bei ihm aber kaum eine Rolle. Entsprechend wollte er sich sexuell versuchen, Pornos anschauen (Chinesische Schauspielerinnen waren seine Favoritinnen). Geld wollte er aber keines ausgeben. In der Bar ein Cola zu trinken war für ihn Verschwendung: für dieses Geld könne er im Geschäft einen ganzen Doppelliter kaufen und dadurch sparen. Zu Hause warteten mehrere Verwandte auf sein verdientes Geld.
Er liebte es, wenn wir mit dem Auto Ausflüge machten, schneebedeckte Berge zu sehen, denn das gibt es in seiner Heimat überhaupt nicht. Gerne fuhr er auch zu Seen: Wasser ist das Element, das sie am meisten haben. Aber schon bald sollte sein unbeschwertes Leben ein Ende haben. Seine Verwandten – die Eltern waren schon tot – hatten entschieden, er solle heiraten: sie hätten eine Frau für ihn. Also fügte er sich dem Schicksal und fuhr nach Bangladesch, um diese Frau zu heiraten. Er zeigte mir Nachher ein Video. Er hatte entschieden, die Hochzeit in einem richtigen Restaurant zu feiern und mit Messer und Gabel zu essen. Es gab zwei Tafeln, an denen sich die beiden Verwandtschaften gegenüber saßen. Er mit seiner und sie, die er noch nicht kannte, bei ihrer. Die meisten Gäste kamen mit Messer und Gabel nicht zurecht sodass man entschied, sie dürften, wie in ihrem Alltag üblich, mit den Händen essen. Am Ende der Feier durfte er seine Frau bei der Gegenpartei abholen und mit nach Hause nehmen. Nun konnte er ihr das erste Mal richtig ins Gesicht schauen. Am nächsten Tag kehrte er nach Italien zurück um dann gleich den Antrag um Familienzusammenführung zu stellen. Nach einigen Monaten oder auch einem Jahr kam sie dann zu ihm nach Bozen. Er hatte inzwischen eine Wohnung gefunden, so konnte das Kennenlernen beginnen. „Donna difficile“ war sein Kommentar nach einigen Wochen. Er fühlt sich jetzt ziemlich unter Kuratel seiner Frau, die inzwischen besser Italienisch kann als er, weil  sie die bessere Grundbildung und auch Sprachkurse besucht hat – wahrscheinlich auch, weil sie nicht vom Sprachmischmasch beeinträchtigt ist. Sie haben inzwischen 2 Kinder, eines geht schon zur Schule (italienisch) und für ihn gilt immer noch: „Donna difficile.“

Branko

Eigenartig, der junge Mann, etwa 30, gut aussehend, drehte im Petrarca-Park kontinuierlich Kreise, besser Quadrate, denn er ging immer zirkulierend den Weg um eine Parkwiese herum. Den Kopf gesenkt, bedächtig schreitend, wie ein Priester beim Brevier beten.
Die Situation, der Mann machte mich neugierig. Also tat ich etwas Ungewöhnliches: ich sprach ihn an und stoppte dadurch seinen Trott. Anscheinend war er froh darüber, denn er redete mit mir sofort und in offener Form. Er sprach gut Italienisch, aber mit Akzent. Ich merkte alsbald, dass ich es mit einer intelligenten, gebildeten Person zu tun hatte. Er erzählte mir, dass er ein Serbe aus Belgrad sei. Nach dem Balkan-Krieg hat es ihn nach Italien verschlagen, wo er sich jetzt zum Teil in Bozen, zT in anderen ital. Städten aufhielt und von Sozialhilfe lebte. Wir begegneten uns dann immer wieder, meistens in der Altstadt, wo er auch viel herum streunte. Er erkannte mich aber immer gleich wieder und ging gerne mit mir etwas trinken. Mit dem Sich-besser-kennenlernen stellte sich heraus, dass er eigentlich obdachlos war und auf der Straße lebte und sich entsprechend wenig pflegte, was man weniger mit dem Auge als mit der Nase wahr nahm. Er war an vielem interessiert, hatte ein großes Wissen, man konnte über vieles reden, ja sogar philosophieren. Es gab aber dann Momente, wo ich seine Gedankengänge nicht mehr nachvollziehen konnte, in denen sich zeigte, dass er sich von Feinden verfolgt fühlte. Es wurde immer mehr klar, dass er unter einer Psychose leidet: der Krieg und die Vereinsamung im fremden Land (Serben waren damals bei uns eher geächtete) hatte er anscheinend nicht verkraftet. Er hatte aber keine Krankheitseinsicht – wie üblich. Er fühlte sich eher von Gestörten umgeben. Ich wollte ihm zu nichts drängen und ihn so nehmen, wie er war. Eine Zeitlang haben sind wir uns immer wieder begegnet und irgendeinmal nicht mehr.
Ich kann diesen in seiner Art zarten, empathischen, intelligenten Serben nicht vergessen. Übrigens, er hat mich nie um Geld gefragt, und wollte keins annehmen. Das Materielle war im nicht wichtig. Es genügte ihm, dass wir hin und wieder mit einander redeten.
Übrigens: Ich hatte ein wenig später eine Begegnung mit einem etwa gleichaltrigen Rumänen, einem Künstler. Er lebte schon seit Jahren in Rom. Er kam nach Bozen, weil er sich in Rom von der Sicuritate verfolgt fühlte, überzeugt war, dass der Rumänische Staat nach seinem Leben trachtete.

Ramy

Er ist ein 21-jähriger aus einem Maghreb-Land, der letztes Jahr parallel zur Fluchtwelle aus Libyen aus Tunesien kam. Er wollte eigentlich nach Frankreich. Die italienische Regierung hatten ihnen auch Papiere ausgestellt, die das ermöglichen sollte. Doch Frankreich nahm nur jene auf, die engere Verwandte in Frankreich hatten oder eine bestimmte Summe an Geld vorweisen konnten. Das konnte Ramy nicht. Also landete er mit anderen bei uns in Südtirol. Wir wissen, Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten. Sie werden aber vom Staat und Land untergebracht und versorgt. Ebenso wurden ihnen Sprachkurse und Berufspraktikas angeboten, sowie in Projekten engagiert. Ramy wollte nicht auf der faulen Haut liegen, sondern Geld verdienen, um wahrscheinlich doch noch den Sprung nach Frankreich zu schaffen. Er hatte eine Ausbildung zum Masseur und als solcher auch schon in einem Ferienort seines Landes gearbeitet. Er wusste, dass Europäer Massagen und Sex gegen Bezahlung mögen. Also bot er das an. Dabei war er auch recht geschickt. Bald hatte er schon seine Kunden und einen schönen Nebenverdienst. Als ich ihn aus dem Blickfeld verlor, dachte ich, jetzt wird er es schon nach Frankreich geschafft haben. Dann sah ich ihn aber in einem Fernsehbericht, als Teilnehmer eines Kurses und von Betriebspraktikas. Es musste sich also etwas geändert haben. Und tatsächlich hatte er auch sein Kontaktprofil im Internet verändert. Anscheinend hat er sein Leben wieder normalisiert und entschieden, vorerst doch hier zu bleiben.

Omaer

Omaer ist ein junger Tunesier aber schwarzer Hautfarbe. Er stammt aus einer Oasenstadt, die früher Ausgangspunkt von Karawanen war. Also waren seine Vorfahren „Karwan-Baschis“ und Kameltreiber. Sein Vater wurde dann – so würden wir heute sagen – zum LKW-Fahrer „umgeschult“. Also war er ähnlich wenig zu Hause, wie seine männlichen Vorfahren. Bei Kamelen kennt sich Omaer gut aus, er hat bevor er nach Europa kam, Touristen auf Kamelen in die Wüste begleitet. Er erzählte mir auch das Geheimnis der Paarung von Kamelen. Sie lassen sich dabei nicht zuschauen, verziehen sich dafür in die Wüste und verrichten es im Liegen, vereinigen dabei beide Hinterteile. Er brachte mir von der Wüste als Souvenir auch einmal eine Wüstenrose, eine vom Wüstensand geformte Steinrose, mit.
Er hatte in Tunesien so etwas, wie die Matura gemacht und wollte in Frankreich studieren. Doch als er erst kurz dort war, starb sein Vater. Also musste er die Hochschule verlassen und sich eine Arbeit suchen, denn er war als Ältester jetzt das Familienoberhaupt und hatte noch minderjährige Geschwister. Nachdem es ihm in Frankreich nicht gelang, kam er nach Italien, nach Südtirol. Als ich ihn kennen lernte sprach er noch wenig Italienisch. Doch er machte dann sukzessive so große Fortschritte, dass ich nur staunen musste, und das ohne Kurse – learning by speaking. Es gelang ihm, einen Job in einer Fabrik zu finden, wo er auch Südtiroler Kollegen hatte. So war es unweigerlich, dass er auch Biertrinken lernte. Er liebte besonders das Weizenbier; er vertrug auch viel davon. Da er sehr kontaktfreudig, sprachgewand und auch geschickt war, schlug ich ihm bei Arbeitslosigkeit vor, es im Gastgewerbe zu versuchen, was ihm aber nicht zusagte. Erst einige Jahre später, als wir keinen Kontakt zu einander mehr hatten, habe ich ihn dann als Kellner in einer Pizzeria gesehen, wo er aber nicht mehr ist. Lieber ging er zwischendurch wieder zurück nach Tunesien um die Situation zu erkunden, oder er probierte es in Mailand, wo er Landsleute hatte. Er kam dann aber immer wieder nach Bozen zurück. Jetzt habe ich ihn aber ganz aus dem Blickfeld verloren. Vielleicht hat ihn der „Tunesische Frühling“ wieder nach Hause gebracht.
Von ihm hatte ich auch viel über Tunesien und wie junge Leute dort leben erfahren. Es war ihm wichtig zu betonen, dass der Islam bei ihm und den meisten jungen Tunesiern in den Städten und in Ferienorten keine Rolle mehr spielen. Ebenso war es ihm wichtig glauben zu machen, dass sie ähnlich liberal leben, wie wir, und auch schon Sex vor der Ehe haben, ebenso auch Partys feiern und Alkohol trinken.

Soweit der erste Teil der Beschreibung meiner Bekannten aus den verschiedenen Ländern Europas, Afrikas und Asiens. Der zweiten Teil ist vielleicht in einer Woche zu erwarten.

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Sylvia Rier Sa., 22.06.2013 - 11:22

und sie zeigen meines Erachtens mal wieder sehr schön, wie gut wir doch daran tun, uns nicht von vorgefassten Meinungen, Klischees, Vorurteilen, Ängsten u. dgl. mehr in Fesseln legen zu lassen.

Sa., 22.06.2013 - 11:22 Permalink