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Zwischen Schein und Wahrheit

Von seiner Reise nach Nordkorea bringt Andreas Stichmann keinen Bericht, sondern Stoff für einen Roman zurück nach Deutschland: Eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte.
Eine Liebe in Pjöngjang
Foto: Rowohlt/salto.bz

Claudia Aebischer, Ostdeutsche und Präsidentin des Verbandes europäischer Bibliotheken, steigt in Pjöngjang nicht zum ersten Mal aus dem Zug. Sie kennt das Theater, das eigens für ausländische Besucher*innen aufgezogen wird. Die Zuckerglasur, die über ein Land gestrichen wird, von dem man scheinbar nur die Oberfläche sieht. Und sie kennt ihre Mitreisenden. Junge Blogger*innen und Journalist*innen aus Deutschland, die sich in argwöhnisch scheuem Flüstern über diese oder jene Anomalie unterhalten, nur um dann - zurück in Deutschland - das Gesehene mit überheblich distanzierter Ironie wiederzugeben.

Sie hat es satt, so wie sie ihre Arbeit und überhaupt das ganze Drum und Dran satt hat und eigentlich gar nichts mehr erwartet. Nicht von ihrer Arbeit und nicht vom Danach. Und schon gar nicht von dieser Reise nach Pjöngjang, wo sie im Auftrag des Verbandes eine Bibliothek eröffnen soll.

Und bei der sie dann - kaum über der Grenze - auf Sunmi trifft. Sun-mi, die Claudia Aebischer die abgeklärte Gleichgültigkeit wie ein Hemd von den Schultern streift.

Andreas Stichmann wirft in dem für Rowohlt erschienenen Roman, "Eine Liebe in Pjöngjang", seinen Blick über den Widerspruch zwischen Schein und Wahrheit in Nordkorea hinaus und erzählt in leisen Tönen und mit packender Sinnlichkeit eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Wenn Claudia Aebischer mit ihren schlanken Einmeterachtzig und den burschikosen Hosenanzügen eine große, raumeinnehmende Erscheinung ist, eine “fremdartige Riesin” wie Sunmi sie beschreibt, mit zu lauter Stimme und einer für Pjöngjang zu beweglichen Gesichtsmuskulatur, ist Sunmi, Germanistin, Übersetzerin und Agentin für die Demokratische Volksrepublik Korea, im Gegensatz zu Aebischer jünger, zierlicher, reservierter. Eine Errungenschaft des Systems.

 

 

Stichmann geht in seinen Erzählungen auf Zehenspitzen vor. Beschreibt nur, was er wirklich erfahren, erspüren, erahnen kann und wendet sich achtsam ab, wenn der Sprung von der seinen in die andere Welt zu groß erscheint - beim Thema Ehe zum Beispiel. Er schreibt einen Roman voller unbetretener Territorien, der doch nicht ins Stocken gerät. Eine Liebesgeschichte mit Zugkraft, die es erlaubt, Ironie und Distanz abzulegen und das, was erfahren werden kann, das Menschliche aus dem Trugbild zu retten.