Politik | Europäische Union

„Brüssel ist näher als man denkt“

Die Direktorin der Abteilung Europa Martha Gärber Dalle Ave erzählt, wo in Südtiroler Alltagsprojekten überall die EU dahintersteckt.
Team Abteilung Europa
Foto: Abteilung Europa

salto.bz: Die Europäische Union nimmt in den Augen vieler Menschen selten konkrete Gestalt an. Nun sitzt das Südtiroler Gesicht der EU vor mir: die Direktorin der Abteilung Europa der Autonomen Provinz Bozen. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Martha Gärber dalle Ave: Wir sind, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Themen anbelangt, eine der jüngsten Abteilungen der Landesverwaltung, entstanden in den 90er Jahren. Unsere Aufgabe ist es, die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Autonomen Provinz Bozen zu gestalten. Wir verwalten europäische Gelder, sogenannte Strukturfondsmittel, die die Europäische Kommission den Territorien zur Verfügung stellt. Teil der Abteilung Europa ist auch das Europe Direct Informationszentrum, dort informieren wir über die Arbeit der EU, und machen vor allem Aufklärungs- und Informationsarbeit z.B. an Schulen.

 

 

Die meisten Leute nehmen die EU als fernes Bürokratiemonster wahr, das mit der lokalen Realität nichts zu tun hat. Wo wirken sich Entscheidungen in Brüssel doch auf Bozen aus?

Brüssel ist uns stets näher als man denkt, denn es wirkt sich auf jeden Einzelnen im Alltag aus. Junge Menschen können die EU begreifen, wenn sie an die Roaming-Gebühren denken, die in Europa nun weggefallen sind. Vor einigen Jahren konnte sich niemand vorstellen, überall im EU-Ausland ohne zusätzliche Kosten telefonieren zu können. Auch im Bereich Datenschutz, das gerade großes Thema ist, wirkt die EU schützend. Das freizügige Reisen und Arbeiten ist ebenfalls eine Errungenschaft der EU. Die Direktorin einer Oberschule in Bozen erzählte mir einmal, als sie in Innsbruck studierte, musste sie noch ein Visum vorweisen, damit sie den Brennerpass passieren durfte. Für uns ist das heute unvorstellbar. Dasselbe gilt für den Binnenmarkt, der es uns heute erlaubt, überall in der EU europäische Produkte zu bekommen.

Brüssel ist uns stets näher als man denkt, denn es wirkt sich auf jeden Einzelnen im Alltag aus

Wie wirkt die EU auf lokaler Ebene auf die einzelnen Regionen ein?

Der älteste und größte Bereich, den die EU fördert, ist die Landwirtschaft, die zwar nicht in unserer Abteilung verwaltet wird, aber von dessen Budget auch Südtirol profitiert. Danach kommt der Europäische Sozialfonds. Ein weiterer Schwerpunkt ist der territoriale Zusammenhalt, die sogenannte „Kohäsionspolitik“ der EU. Damit will die EU die einzelnen Regionen so fördern, dass sie sich in ihrem Entwicklungsniveau angleichen. Der Grundgedanke: Keiner kann wohlhabend sein, wenn der Nachbar arm ist.

Zu den Geldern, die für diese regionale Entwicklung eingesetzt werden, gehören in Südtirol drei Förderprogramme. Eines davon ist der Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, kurz: EFRE. Worum geht es da?

EFRE fördert Investitionen in strategische Infrastrukturen. Die Mittel werden je nach Region in verschiedenen Bereichen investiert, in Südtirol haben wir im laufenden Programm vier thematische Achsen: zum einen Forschung und Innovation, wo Südtirol im internationalen Vergleich weniger gut dasteht. Das liegt daran, dass viele Forschungseinrichtungen und die UNI selbst bei uns relativ jung sind und daher die öffentlichen Ausgaben in Forschung und Entwicklung eher gering ausgefallen sind. Eine zweite Achse betrifft die Digitalisierung, von der man sich große Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung verspricht. Die dritte Achse ist eine nachhaltige Umwelt, sowohl im Bauwesen (mit Energieeinsparungsmaßnahmen an öffentlichen Gebäuden) als auch in der Mobilität. Das letzte Thema betrifft den sicheren Lebensraum, eine Achse, deren strategische Wichtigkeit man aufgrund der starken Unwetter der letzten Monate gut einschätzen kann.

Für das EFRE Programm hat die EU zwischen 2014 und 2020 dem Land rund 145 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wo spiegeln sich diese Summen im Alltag von Herrn und Frau Südtiroler wider?

Was die Forschung und Entwicklung angeht, haben wir zum Beispiel viele Labors des NOI Techparks, der Eurac und Uni Bozen durch EFRE-Gelder finanziert. Eine weitere Förderschiene betrifft die Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und heimischen Unternehmen. Dazu gehörte z.B. das Projekt RuC²OLA – Regionale Co-creation Community für Lebensmittel Innovation. Im Digitalen Umfeld haben wir Breitband verlegt, um Gewerbegebiete in der Peripherie anzubinden. Das Portal „myCIVIS“ wurde ebenso mit EFRE Geldern finanziert; es erlaubt, digital und über einen einzigen Zugang mit der öffentlichen Verwaltung in Kontakt zu treten. Zum Thema Nachhaltigkeit förderte EFRE die Energieeffizienz öffentlicher Gebäude, besonders Schulen und Kindergärten in der Peripherie wurden energetisch saniert. Auch die neuen Mobilitätszentren in Brixen und Bruneck werden durch EFRE Gelder realisiert. Was den sicheren Lebensraum betrifft, werden das Flussraummanagement und die Hochwasserschutzbauten entlang des Eisacks seit rund 20 Jahren auch durch EFRE Gelder unterstützt.

 

Nun ist es oft so, dass Politiker alles Lob sich selbst zusprechen, wenn hingegen etwas nicht so gut klappt, dann zeigen sie gerne den Finger in Richtung EU.

Wir versuchen in unseren Pressemitteilungen  die Mittelherkunft immer korrekt zu kommunizieren und auch bei den Infrastrukturprojekten oder anderen EU-kofinanzierten Projekten sind stets Informationstafeln angebracht, die über die Herkunft der Mittel aufklären. Das scheibt Brüssel auch so vor und ist gut so. In der aktuellen Programmperiode von EFRE und ESF stammen 50 Prozent der Gelder für die Projekte aus Brüssel, 35 Prozent sind nationale Gelder und 15 Prozent der Gelder stemmt das Land Südtirol. Nur leider geht der Anteil der EU-Fonds oft in der Kommunikation unter, vielleicht auch weil die Menschen mit Begriffen wie „EFRE“ nicht viel anzufangen wissen.

Warum schafft es die EU nicht, ein besseres Bild von sich zu kommunizieren?

Ich glaube das Imageproblem hat die Union in allen Regionen und ganz besonders zurzeit. Bei uns ist der positive Einfluss der EU noch schwerer zu kommunizieren, weil ja unser Landeshaushalt bereits sehr üppig ist, und daneben das Geld aus Brüssel weniger “auffällt”. In anderen Regionen, z.B. in Spanien oder anderen italienischen Regionen, wo der Großteil der Investitionsmittel aus Brüssel stammt, ist das EU-Geld vielleicht deshalb sichtbarer.

Das Imageproblem hat die Union in allen Regionen. Bei uns ist der positive Einfluss der EU noch schwerer zu kommunizieren, weil unser Landeshaushalt bereits sehr üppig ist, und daneben das Geld aus Brüssel weniger “auffällt”.

Ein weiteres Förderprogramm, das die Europaabteilung verwaltet ist der Europäische Sozialfonds (ESF) . Inwiefern unterscheidet es sich von EFRE?

Dieses Programm investiert in den Menschen, statt in Infrastruktur. Bei dem Fonds geht es darum, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu erhöhen, denn nur durch gut ausgebildete Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt integrieren, kann sich Europa weiterentwickeln. Dazu machen wir verschiedene Projekte z.B. mit ex-Häftlingen, Migranten oder mit sonstigen Personengruppen, um sie an der Gesellschaft durch Arbeit und spezifischer Ausbildung gleichwertig teilhaben zu lassen. Die Organisation „Independent L.“ in Meran zum Beispiel bildet mithilfe der ESF-Gelder beeinträchtige Personen vor allem in der digitalen Welt aus, um ihnen zu ermöglichen, Arbeit zu finden und so ein unabhängiges Leben zu führen.

Das dritte Programm, Interreg, wird für gemeinsame Projekte zwischen italienischen und österreichischen Grenzregionen eingesetzt. Worum geht es in diesem Programm?

Europas Binnengrenzen stellen bis heute spürbare nationale Grenzen dar, trotz der Freizügigkeit, trotz Schengen. Zudem liegen Gebiete in unmittelbarer Nähe zur Grenze in ihrem Entwicklungsstand oftmals weiter zurück. Um diese politischen Barrieren abzubauen und in der Entwicklung aufzuholen, hat die EU vor 30 Jahren Interreg ins Leben gerufen, das interregionale Projekte zwischen  den europäischen Grenzregionen fördert. Das war für Südtirol eine Riesenchance, denn fast zeitgleich mit dem ersten Interreg-Programm fiel auch der Schlagbaum an der Brennergrenze. Die ersten Interreg-Programme boten einen ersten institutionellen Rahmen zur strukturierten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit seit der Trennung Tirols in einem europäischen Kontext.

Interreg besteht heuer also seit 30 Jahren. Was hat Interreg in diesen letzten 30 Jahren für Südtirol gemacht?

Über die Interreg-Programme konnten wir über die Jahre viele gemeinsame Projekte realisieren, die unsere nachbarschaftlichen Beziehungen sowohl mit den Partnerregionen in Österreich (Tirol, Salzburg und Kärnten) und Italien (Vento und Friaul-Julisch-Venetien), als auch dem Trentino gestärkt haben. Außerdem konnten wir Hindernisse überwinden, die Binnengrenzen oft darstellen. Seit der aktuellen Periode ist die Zusammenarbeit mit der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino dazugekommen. Ein schönes Beispiel für diese Zusammenarbeit sind der Euregio Family Pass oder das grenzüberschreitende Lawinenwarnsystem. Als weitere Beispiele erinnere ich mich an den interregionalen Ausbau vieler Wanderwege oder das gemeinsame Forschungsprojekt Re-Cereal, welches den Anbau und die Verwendung von glutenfreien und alten Getreidesorten untersucht und dafür europaweit ausgezeichnet wurde.

 

 

Wer entscheidet nun, wie und wo das Geld der EU eingesetzt wird?

Wir müssen der EU vor jeder Programmperiode eine Investitionsstrategie vorlegen, die kohärent ist mit den Investitionsbedürfnissen der Region, mit ihren Stärken und Schwächen. Innerhalb der strategischen Ziele und thematischen Achsen definieren wir bestimmte Stärken, in die wir investieren möchten. So ist Südtirol z.B. sehr stark in Alpinen Technologien, im Sektor Automotive und im Lebensmittelsektor. Das heißt, mit den Europäischen Geldern können wir nicht alles machen, sondern müssen es in den Feldern, die wir im Rahmen der EU-Vorgaben definiert haben, einsetzen, unabhängig davon wo kurzfristig akute Bedürfnisse entstehen könnten (z.B. zurzeit in der Sanität).

Die Kritik der Bürokratie ist gerechtfertigt. Die Vorgaben der EU sind sehr eng ausgelegt und stets ehrgeizig, aber so sind nun mal die Spielregeln

Das klingt nach sehr viel Bürokratie. Also ist die Kritik des „Bürokratiemonsters“ doch gerechtfertigt?

Ja, die Kritik ist sicher ein Stück weit gerechtfertigt. Ich muss auch zugeben: Die Vorgaben der EU sind sehr eng ausgelegt und stets ehrgeizig. Das ist eine große Herausforderung, in der kurzen Zeit mit den bürokratischen Anforderungen und den Vorgaben der verschiedenen Kontrollebenen eine Strategie zu entwickeln und umzusetzen. Aber das sind nun mal die Spielregeln und, obwohl es kein einfaches Geld ist, ist es doch ein strategisch sehr wichtiges Geld. Ich muss auch sagen, dass viele unserer Südtiroler Unternehmen im Vergleich zu anderen sehr, sehr fit sind, wenn es um bürokratische Ansuchen geht! Auch viele andere Förderwerber, wie Fachabteilungen oder Forschungseinrichtungen, haben gut gelernt mit den EU-Vorgaben umzugehen. Die EU-Fonds haben außerdem einen sehr großen Mehrwert gegenüber den Landesgeldern: EU-Gelder sind auf einen längeren Zeitraum ausgelegt und man kann damit für mehrere Jahre planen. Mit dem Landeshaushalt hingegen können die Förderwerber meist nur eher kurzfristig planen. Dadurch werden EU-Projekte wirklich strategische und langfristige Projekte und sind dadurch umso wichtiger.

Die aktuelle Programmperiode des EFRE läuft dieses Jahr aus, ab 2021 gibt es neue Fördermittel, und somit ein neues Programm für die kommenden sieben Jahre. Wird dieses anders aussehen?

Die Strategie wird im Großen und Ganzen dieselbe bleiben, weil sie sich bewährt hat. Wir werden aber versuchen, die Interventionsstrategie noch spitzer auszurichten. Es gibt zwar noch keinen konkreten Finanzplan, denn der Rat und das Parlament der EU müssen sich erst noch auf die genaue Aufteilung der Summen einigen.  Zwei Schwerpunkte werden sicherlich der Green New Deal und die Digitalisierung sein. Da wir bereits in den letzten Jahren viel in Nachhaltigkeit und Digitalisierung investiert haben, passt Südtirol perfekt in die neuen Vorstellungen der EU und wir können in dieser Richtung gut weiterfahren.

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Karl Trojer Fr., 09.10.2020 - 09:30

Ein Dankeschön, dem Team dieser wertvollen südtiroler EU-Einrichtung !
Ich wünschte mir, dass künftig alle Maßnahmen hinsichtlich ihrer Gewichtigkeit prioritär auf einen raschen und effizienten Klima-und Recourcen-Schutz ausgerichtet werden. Dies, zumal ohne gesunde Erde (Temperaturanstieg unter 1,5°C, Abfallminimierung und -Wiederverwertung) eine lebenswerte Zukunft nicht möglich ist.

Fr., 09.10.2020 - 09:30 Permalink