Politik | Nach dem Referendum

Regierung mit begrenztem Auftrag

Die innere und internationale Lage verlangt (eigentlich) nach einer politisch stabilen Regierung. Doch Gentiloni kann nur Krisenmanagement betreiben. Bis zu Neuwahlen.
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Gentiloni
Foto: upi

Das Referendum ist vorbei, das „Nein“ hat haushoch gesiegt. Renzi trat als Ministerpräsident zurück, Staatspräsident Mattarella hat im Eiltempo – nach einem Konsultationsmarathon mit den 21 (!) im Parlament vertretenen Parteien und Gruppen – den bisherigen Außenminister Gentiloni mit der neuen Regierungsbildung beauftragt. Die Regierung hat in der Abgeordnetenkammer (dank der Mehrheitsprämie) mit breiter Mehrheit und in dem (dank des Nein-Siegs beim Referendum) weiter bestehenden Senat knapp die Vertrauensabstimmungen überstanden. Der erwartete Börsenabsturz hielt sich (bisher) in Grenzen, die Prosecco-Gläser der sich zuprostenden Nein-Sieger, von ganz rechts bis ganz links, sind geleert.

Alles in Butter also? Eben nicht. Sowohl die immensen wirtschaftlichen und sozialen Probleme Italiens als auch die sich dramatisch zuspitzenden internationalen Konflikte verlangen eine politisch stabile und handlungsfähige Regierung. Und eigentlich auch ein verantwortungsvolles Zusammenspiel aller demokratischen Kräfte bei entscheidenden Fragen wie der Bewältigung der Migrationsbewegungen, der Abwehr des Rassismus und der Bekämpfung sozialer Exklusion. Und bei der Stärkung der demokratischen Institutionen, die unter den Beschuss eines zunehmend aggressiven Rechtspopulismus geraten sind.

Krisenmanagement bis zu Neuwahlen

Und was gibt es stattdessen? Eine politisch schwache Übergangsregierung, die im Wesentlichen eine Kopie der vorherigen ist. Ohne Renzi, aber mit zwei seiner engsten Vertrauten in der ansonsten fast unveränderten Regierungsmannschaft: Renzis „Stratege“ und Strippenzieher Lotti wurde Sportminister, und die frühere Reformministerin Boschi, deren Namen die gescheiterte Verfassungsreform trägt, leitet nun das Ministerpräsidentenamt. Obwohl sie während der Wahlkampagne angekündigt hatte, sich bei einem Sieg des „Nein“ aus der Politik zurückzuziehen.

Gentiloni selbst, der neue Regierungschef, ist ein erfahrener und integrer Mann, dem – im Gegensatz zu seinem quirligen Vorgänger – mediale Dauerpräsenz und hemmungslose Personalisierung fremd sind. Er zieht eine sachorientierte Politik vor. Doch er weiß natürlich, dass sein politischer Auftrag begrenzt ist: Neben der „Führung laufender Geschäfte“ und der Erfüllung internationaler Verpflichtungen geht es in erster Linie um die Erledigung einiger vordringlicher Aufgaben, u. a. um den Wiederaufbau in den Erdbebengebieten, Maßnahmen zur Rettung der krisengeschüttelten Großbank „Monte dei Paschi di Siena“ und nicht zuletzt um die Flüchtlingskrise. Und vor allem um die Verabschiedung eines neuen verfassungskonformen Wahlgesetzes, das für beide Kammern gilt (was derzeit nicht der Fall ist). Auf dessen Grundlage dann so schnell wie möglich Neuwahlen stattfinden können.

Das Bündnis der Verantwortungslosen

Schnelle Neuwahlen wollen auch die Oppositionsparteien. Die Grillini gingen zunächst so weit, zu erklären, ihretwegen könne sogar Renzi weitermachen, Hauptsache rasche Wahlen. Dass es nun aber doch eine Übergangsregierung gibt (geben muss), trifft auf den Widerstand des gesamten Bündnisses der Verantwortungslosen (die selbst nicht bereit sind, in dieser Übergangsregierung mitzuwirken). Nur eine Fotokopie der Renzi-Regierung sei das! Eine Schande sei das! Schon wieder eine Regierung, die nicht vom Volk gewählt wurde! Dass in Italien laut Verfassung die Regierung noch nie „vom Volk“ gewählt wurde, sondern immer - auf Vorschlag des Staatspräsidenten - vom Parlament, ist egal. Hauptsache Stimmung machen. An den Vertrauensabstimmungen nahmen Lega, Grillini und Teile von Forza Italia gar nicht erst teil.

Doch was bitte hätte der Staatspräsident anderes machen sollen, als eine „Zweckregierung“ zu beauftragen, um möglichst bald den Weg für ein neues Wahlgesetz zu ebnen, das erstens für beide Kammern gilt und zweitens verfassungsrechtlich einwandfrei ist (im Januar überprüft das Verfassungsgericht das derzeit geltende „Italicum“)? „Egal mit welchem Gesetz gewählt wird!“ schreit Salvini. Und die Grillini, die das Italicum (mit absurd hoher Mehrheitsprämie für die stärkste Partei) einst als „schifezza“ (Schweinerei) bezeichneten, sind auf einmal seine leidenschaftlichsten Anhänger. Aus dem einfachen Grund, dass sie nach aktueller Lage der Dinge diejenigen wären, die mit dieser „schifezza“ die Wahl wahrscheinlich gewinnen und von der Mehrheitsprämie profitieren würden.

Renzis Rückkehr auf die politische Bühne

Als ob das nicht schon genug wäre, machen dem neuen Ministerpräsidenten auch noch die Fehden innerhalb der eigenen Partei das Leben schwer. Die linke Minderheit der PD-Fraktion sprach Gentiloni zwar „aus Verantwortungsgefühl“ das Vertrauen aus, aber kündigte gleichzeitig an, bei den künftigen Abstimmungen nur von Mal zu Mal zu entscheiden, wie sie sich verhält. Und Renzi – immer noch der Generalsekretär der PD – ist dabei, nach kurzem Abtauchen in die toskanische Heimat wieder voll auf die politische Bühne zurückzukehren.

Am vergangenen Sonntag eröffnete er eine nationale PD-Vertreterversammlung, als Auftakt zur Vorbereitung des nächsten Kongresses und der Vorwahl des künftigen Spitzenkandidaten. In seiner Eröffnungsrede oszillierte Renzi zwischen dem Lob der Wundertaten seiner Regierung und der Anerkennung „schwerer Fehler“, die für die Niederlage beim Referendum verantwortlich seien. Im Süden sowie bei den jungen Generationen habe man „krachend verloren“, räumte er ein. Das ist schon mal was. Aber welche Fehler (vor allem von ihm) nun begangen wurden, sagte er nicht konkret. Immerhin hob er die Notwendigkeit hervor, bei der Vorbereitung des Kongresses stärker der Pluralität von Positionen innerhalb der PD Raum zu geben und die „Basis“ einzubeziehen. Und erklärte überraschend, sich beim Wahlgesetz verstärkt an dem von 1993 bis 2005 geltenden „Mattarellum“ orientieren zu wollen (das damals von dem heutigen Staatspräsidenten vorgeschlagen wurde und auf dem Mehrheitswahlsystem basiert). Der Sprecher der Minderheit, Speranza, begrüßte diese „Wende“ als Schritt in die richtige Richtung (wobei allerdings einige vermuten, es handele sich eher um einen taktischen Zug Renzis, um die anderen Parteien beim Thema Wahlgesetz aus der Reserve zu locken). An der Abstimmung über Renzis Bericht mochte sich die Fraktionsminderheit dennoch nicht beteiligen. Sie verließ den Saal.

Gentilonis „kleiner Unterschied“

Turbulente Zeiten also für Ministerpräsident Gentiloni, der im Parlament auf die geschlossene Unterstützung seiner Partei angewiesen ist. Denn im Senat ist die Mehrheit äußerst knapp, vor allem nachdem sich Gentiloni dazu entschied, die Gruppe um Verdini – des früheren Beraters Berlusconis, der sich durch besondere Korruptheit hervortat und später zum Unterstützer Renzis mutierte – mit keinem Ministerposten zu „belohnen“, wie es die Gruppe gefordert hatte. Gentiloni sandte damit ein politisches Signal an die Linke in der eigenen Partei. Wenn auch sonst (fast) alles der Vorgängerregierung gleicht: Diese politische Entscheidung markiert doch einen kleinen, aber wichtigen Unterschied.