Gesellschaft | Schule

Brauchen wir mehr Mut zur Sprache?

Viele Eltern fordern sie, Senator Francesco Parlermo will sie pushen. Und was sagen Oberschüler und Expertinnen zum Thema Mehrsprachigkeit an Südtirols Schulen?
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Foto: playing.games.com

Ich gehe auf das Bozner Sprachenlyzeum. Bei uns gab es schon oft Projekte, wo Mehrsprachigkeit in der Schule getestet wurde, zum Beispiel hatten wir Recht und Wirtschaft auf Italienisch und Naturkunde auf Englisch. Ich habe das immer als interessante Erfahrung empfunden. Das einzige Problem war, dass die Lehrpersonen oft nicht im Stande waren ein angemessenes Level der Sprache zu benutzen. Dadurch wurde es manchmal schwierig zu folgen, entweder, weil die Lehrpersonen die Sprache nicht gut beherrschten oder das Thema zu detailliert behandelten, sodass es schwierig wurde dem Stoff zu folgen. An sich finde ich die Idee der Mehrsprachigkeit interessant und insbesondere in Schulen wie dem Sprachenlyzeum sollte sie mehr vorangetrieben werden. Ich selbst schätze meine Sprachkenntnisse als recht gut ein, allerdings könnten sie bei der Menge an Sprachunterricht sogar besser sein. Durch gezielten mehrsprachigen Unterricht, der wirklich bereits in der Grundschule beginnt, könnte man sicher die allgemeinen Sprachkenntnisse, als auch den Umgang mit Sprache verbessern.

Matteo Aldi

 

 

Die Frage nach einer mehrsprachigen Schule wird zur Zeit wieder einmal diskutiert und wieder innerhalb eines Schemas, das sehr rigide nach einer ein- oder zweisprachigen Schule fragt. Dabei wird die eine Schulform vorschnell als ‚gut und fortschrittlich’ darstellt, die andere (nur eine andere?) als ‚rückständig und reformbedürftig’. Diese Schwarz-Weiss-Argumentation aufzulösen ist zur Zeit wohl das Schwierigste, zeugt aber andererseits von tief verwurzelten Missverständnissen und wenig gegenseitigem Respekt vor Bedürfnissen anderer, v.a. anderer Minderheiten.

Die Diskussion läuft zudem wieder unglücklich entlang der Sprachgruppen: Italienischsprachige Eltern sind eher für eine mehrsprachige Schule, deutschsprachige tendenziell eher dagegen, so wird es diskutiert. Und was von den einen nicht verstanden wird – bei allem guten Willen und guten Vorsätzen – ist, dass Sprachminderheiten in der Regel ein besonderes Verhältnis zur eigenen Sprache haben.

Man sollte mit Bedacht, kulturellem Fingerspitzengefühl und lokal angepassten Lösungen antworten: Was beispielsweise in Malls funktioniert oder nötig ist, bewährt sich in Bozen oder Leifers nicht. In der Goethe-Schule in Bozen haben wir in einem wissenschaftlichen Begleitprojekt unter anderem die sprachliche Integration von Kindern mit nicht-deutscher Familiensprache drei Jahre lang verfolgt. Die Befürchtung, die Deutschkenntnisse der Klassen würden darunter leiden, traf nicht ein. Auf die Integration der Sprachen kommt es an, die auf einer wertschätzenden Haltung der Lehrpersonen gründet. Man weiß schon länger: Diversität tut gut, regt das Sprachbewusstsein erst recht an, bei allen Kindern.

Wie ein Schulsystem sein soll, hat damit zu tun, wie eine Gesellschaft sich die Zukunft vorstellt, welche Perspektiven man für die zukünftigen Bürger und Bürgerinnen anstrebt. Dies hängt sehr wenig von Forschungen zu Sprachen ab: Es gibt nichts, was dagegen spricht, mehr Sprachen zu können. Es schadet nicht, im Gegenteil, es befördert viele Aspekte des Lebens. Und noch etwas gilt es zu bedenken: Es gibt eine Schulautonomie. Innerhalb dieser Schulautonomie kann sich jede Schule ein Sprachprofil (oder ein anderes Profil) geben, mit dem sie für die Bevölkerung attraktiv sein kann. Die Minderheiten (man vergesse dabei auch die ladinischsprachige nicht) sollen aber je selbstbestimmt und nicht fremdbestimmt dazu bereit sein.

Es wird wohl auch weiterhin schwierig sein, für einen sehr frühen Beginn von zwei- oder dreisprachigen Schulen einen Konsens zu finden, doch eine Öffnung in dieser Richtung in den höheren Klassen – zuletzt wie an der hiesigen Universität – das ist auch ein Modell, über das man nachdenken könnte.

Prof. Dr. Rita Franceschini, Freie Universität Bozen

 

 

Meiner Ansicht nach wäre die Einführung einer Mehrsprachigkeit in Schulen eine große Chance, um die Sprachkenntnisse der jungen Südtiroler Bevölkerung zu maximieren und auszubauen. Jedoch sollte meiner Meinung nach darauf geachtet werden, welche Fächer in einer anderen Unterrichtssprache abgehalten werden. So ergäbe es z.B. mehr Sinn Rechtskunde in italienischer Sprache zu unterrichten, da sich das Elernte auf das italienische Recht bezieht und die dazugehörige Rechtsgrundlage ebenfalls auf Italienisch formuliert ist. Auch andere Lernfächer, wie Geschichte, Kunst oder Geografie könnten teilweise in italienischer Sprache unterrichtet werden, um die Sprachkompetenz weiter auszubauen. Dabei, finde ich dennoch, dass Hauptfächer mit komplexeren Themen in der Muttersprache abgehalten werden sollten, um so einer Überforderung entgegenzuwirken.

Ich persönlich besuche die Wirtschaftsfachoberschule mit der Fachrichtung Tourismus in Brixen. Da ich jetzt die 5. Klasse besuche, ist die Chance, durch einen mehrsprachigen Unterricht, meine Sprachkenntnisse zu verbessern, leider nicht mehr vorhanden. Meine Sprachkenntnisse würde ich zum jetzigen Zeitpunkt als genügend, aber ausbaufähig, bezeichnen. Deshalb würde ich die Einführung des mehrsprachigen Unterrichts befürworten, da durch diesen wichtige Grundbegriffe in Englisch sowie Italienisch erlernt werden könnten, die durch einen einsprachigen Unterricht so nicht erlernt hätten werden können.

Carolin Angerer

 

Das Konzept, dass man Schülerinnen und Schüler mit zwei unterschiedlichen Erstsprachen gemeinsam unterrichtet, ist keine neue Erfindung. In der Fachliteratur spricht man diesbezüglich von der „Two-way immersion“ („Zwei-Weg-Immersion“). Es ist Teil der unterschiedlichen Modelle, die unter dem Dachkonzept der Immersion bekannt sind. Wesentlich ist aus meiner Sicht bei all diesen Modellen, dass die Lehrpersonen sehr gut vorbereitet sind, also auch eine entsprechende Aus- und Fortbildung absolviert haben, und das Schulsystem imstande ist, solche Angebote zu organisieren, überlegt vorzubereiten und wissenschaftlich zu begleiten. Handlungsbedarf im Hinblick auf die Verbesserung der Zweitsprachkompetenzen gibt es sicher. Einerseits hat unsere erste KOLIPSI-Studie (Schuljahr 2007/08) gezeigt, dass es für einen doch beträchtlichen Teil der Oberschülerinnen und -schüler kurz vor der Matura aufgrund ihrer Zweitsprachkompetenzen nur schwer möglich ist, aktiv am Alltagsleben in der Zweitsprache teilzunehmen. Die Ergebnisse der neuen KOLIPSI-Studie werden im Mai der Öffentlichkeit vorgestellt und zeigen, ob und was sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Was in der gesamten Diskussion meiner Meinung nach aber nicht vergessen werden darf, ist die Vorbildfunktion des Elternhauses. Es wäre falsch, alles von der Schule bzw. der Bildungspolitik zu erwarten. Die KOLIPSI-Studie hat u. a. auch gezeigt, dass die Eltern eine wesentliche Rolle bei der Herausbildung der Einstellungen zur Zweitsprachgemeinschaft und der Motivation zum Sprachenlernen spielen.

Gleichzeitig haben wir in unseren Schulen auch jede Menge anderer Erstsprachen jenseits von Deutsch und Italienisch. Unsere Schule ist also de facto mehrsprachig. Ziel muss es sein, allen Kindern dieselben Chancen zu bieten, erfolgreich die Schule abzuschließen. In diesem Zusammenhang geht es darum, Mehrsprachigkeit als Bildungsziel weiter umfassend zu fördern, Mehrsprachigkeitskompetenz durch eine Mehrsprachigkeitsdidaktik bzw. integrierte Didaktik wertzuschätzen und auszubauen, bei der zum Beispiel die vorhandenen mehrsprachigen Repertoires der Schülerinnen und Schüler stärker berücksichtigt werden und bereits erworbene Sprachlernstrategien auf neue Sprachen ausgedehnt werden.

Was die häufig angesprochenen Ängste vor dem Verlust des Deutschen als Erstsprache betrifft, so geben unsere Forschungsergebnisse keinen Anlass zur Besorgnis. Unsere Vergleichsstudie zur Schreibkompetenz von Oberschülerinnen und -schülern aus Südtirol  mit solchen aus Tirol und Thüringen hat gezeigt, dass die Kompetenzen der Südtiroler im Mittelfeld liegen; bei der Rechtschreibung hatten sie sogar die besten Ergebnisse, in einigen Bereichen waren sie etwas schwächer.

Andrea Abel, Leiterin des Instituts für Fachkommunikation und Mehrsprachigkeit an der Eurac

 

Ich finde es gut, wenn Mehrsprachigkeit in Schulen gefördert wird. Denn der klassische Sprachenunterricht ist ja normalerweise recht trocken: Man lernt Vokabeln auswendig, versucht sich die Grammatik einzuprägen, aber das effektive Sprechen lernt man dabei nicht. Letztes Jahr hatte ich in der Wirtschaftsfachoberschule eine Stunde Rechtswissenschaften auf Italienisch. Dadurch habe ich gelernt über andere Dinge zu sprechen, als über klassische Literatur, die man eh nur auswendig lernt, um sie bei den Prüfungen wiederzugeben. Ich kann mir vorstellen, dass der Unterricht in einer Fremdsprache nur am Anfang schwierig ist. Denn wenn man ein Jahr in einer italienischen Schule verbringt, merkt man auch mit der Zeit, wie sehr es einem hilft. Mir persönlich fällt kein Grund ein, warum der Unterricht in einer anderen Sprache ein Fehler sein soll.

Theresa Stampfer, 2. Klasse, Sozialwissenschaftliches Gymnasium Bozen

 

Ich finde Mehrsprachigkeit in der Schule wichtig und gut. Allerdings befürchte ich, dass es in bestimmten Fächern Schwierigkeiten geben könnte. Ein Beispiel wäre Naturkunde: Hier wird viel mit Fachbegriffen hantiert, die dann auswendig zu lernen, könnte ziemlich anspruchsvoll sein. Wichtig ist außerdem, dass die Unterrichtssprache die Muttersprache der jeweiligen Lehrperson ist, sonst kann es zu Problemen bei der Aussprache der Fachbegriffe geben. Da muss ich allerdings klar sagen, dass es auch in den Sprachenfächern, wie z.B. Englisch und Russisch, wichtig wäre, Muttersprachler als Lehrpersonen zu haben. Denn ich schätze meine Schule dank der Sprachen, die ich lerne, als gut ein und dennoch fällt es mir oft schwer, mich in anderen Ländern ohne Probleme auszudrücken. 

Hannah Lobis, 4. Klasse, Sprachenlyzeum Meran