Gesellschaft | Religionsunterricht

Südtiroler Sonderrolle

Die Antwort der drei Bildungslandesräte auf eine grüne Landtagsanfrage lässt einen Blick auf ein System zu, das von Staat und Kirche auf Südtirol zugeschnitten wurde.
Religion
Foto: upi
In Südtirol ist Laizismus immer noch ein Fremdwort. Auch für die Landesregierung.
Das geht mehr als klar, aus der Antwort auf eine Landtagsanfrage der drei grünen Abgeordneten Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba zum Religionsunterricht in Südtirol hervor.
Denn in Südtirol gibt es in Sachen Religionsunterricht völlig andere Bestimmungen als im restlichen Staatsgebiet. Die Grünen wollten unter anderem wissen, ob die Aussicht besteht, „dass die Anmeldemodalitäten der Vorgehensweise auf dem restlichen Staatsgebiet angepasst werden?“.
Bildungslandesrat Philipp Achammer antwortete auch im Namen seiner beiden Ressortkollegen Christina Tommasini und Florian Mussner unmissverständlich:
 
Da die Modalitäten für den Verzicht auf den Religionsunterricht in den Durchführungsbestimmung zum Autonomiestatut vom 4. Dezember 1981, Nr. 761, Art. 24.2 festgelegt sind, ist eine Abänderung nur schwerlich möglich. Auch besteht von Seiten der Landesregierung keine Absicht, eine solche Änderung vorzunehmen.
 

Die Lateranverträge

 
In der Achammer-Antwort wird die normative und rechtliche Grundlage der Südtiroler Ausnahmebestimmungen nachgezeichnet.
Der Religionsunterricht in Italien ist durch die Lateranverträge vom 11. Februar 1929 geregelt und durch das Rahmenkonkordat vom 18. Februar 1984 an die heutige Situation angepasst worden. Das Rahmenkonkordat befasst sich im Art. 9.2 mit dem Religionsunterricht.
Dort heißt es:
 
"Die Republik Italien wird in Anerkennung des Wertes der religiösen Kultur und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Grundsätze des Katholizismus zum historischen Erbe des italienischen Volkes gehören, weiterhin im Rahmen der Zielsetzungen der Schule den katholischen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen jedweder Art und Stufe, die nicht Hochschulcharakter haben, sicherstellen.
 

In Respektierung der Gewissensfreiheit und der Erziehungsverantwortung der Eltern ist jedem das Recht zugesichert, zu entscheiden, ob er von dem genannten Unterricht Gebrauch machen will oder nicht. Bei der Einschreibung werden die Schüler oder ihre Eltern auf Verlangen der Schulbehörde von diesem Recht Gebrauch machen, ohne dass ihre Entscheidung Anlass zu irgendeiner Art von Diskriminierung geben darf.“

Für die Autonome Provinz Bozen gelten allerdings völlig andere Sonderbestimmungen. So heißt es im Zusatzprotokoll, das integrierender Bestandteil des Konkordates ist:

 
„Die Bestimmungen dieses Artikels berühren nicht die in Grenzregionen geltende Regelung, in denen das Unterrichtsfach durch Sonderbestimmungen geordnet ist“.
 

Die Sonderbestimmungen

 
Diese Sonderregelungen sind in den Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut (D. P. R. vom 04.12.1981, Nr.761, Art. 24.2) geregelt, wo es heißt:
 
„In der Provinz Bozen melden die Eltern oder Erziehungsberechtigten das Kind vom Religionsunterricht bei der Einschreibung ab. Tun sie es nicht, so erhält das Kind den Religionsunterricht“
 
In einem Rundschreiben des Südtiroler Schulamtsleiters vom 4. Februar 1991 wird diese Regelung noch einmal verschärft:
 
„... dass ein Schüler nur dann vom Religionsunterricht befreit ist, wenn bei der Einschreibung ausdrücklich auf den Besuch des Religionsunterrichts verzichtet worden ist. Ein Verzicht im Laufe des Schuljahres ist nur in schwerwiegenden Fällen möglich, beispielsweise bei Übertritt zu einer anderen Religionsgemeinschaft“.
 
Südtirol ist demnach nicht Italien. Jedenfalls nicht in Sachen Religionsunterricht.
 

Landestradition & Einvernehmen

 
Die Frage ist, warum gelten allein für Südtirol diese Ausnahmebestimmungen?
Begründet wird diese Sonderrolle in der Durchführungsbestimmungen Nr.89 vom 10. Februar 1983. Dort steht im Artikel 35:
 
„In der Provinz Bozen gehört der Religionsunterricht nach althergebrachter Landestradition zu dem unter Wahrung der Zuständigkeiten der Provinz erstellten Erziehungsplan der Schule und wird sowohl in der Grundschule als auch in der Sekundarschule von eigenen Lehrern erteilt, die Priester oder Ordensgeistliche oder vom Diözesanbischof als geeignet anerkannte Laien sind und von der zuständigen Schulbehörde im Einvernehmen mit dem Diözesanbischof ernannt werden. Der Unterricht nach dem vorstehenden Absatz wird – unter Vorbehalt des Verzichtes, den der Betroffene in Ausübung seiner Gewissensfreiheit erklärt – für die in der Schulordnung vorgesehene Stundenzahl und jedenfalls für nicht weniger als eine Stunde wöchentlich erteilt; in der Pflichtschule können bis zu zwei Stunden wöchentlich festgesetzt werden.“
 
Am 2. Oktober 2015 unterzeichneten Bischof Ivo Muser und Landeshauptmann Arno Kompatscher ein Einvernahmeprotokoll (Intesa), dass alle wesentlichen Aspekte der religiösen Bildung an den Kindergärten und des katholischen Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen und an den Berufs- und Fachschulen des Landes regeln soll.
Die Landesrahmenrichtlinien der italienischsprachigen Schulen der Unter- und Oberstufe sehen vor, dass der Religionsunterricht durch einen kulturellen Ansatz und nicht als Katechismus angeboten wird.
„Auch wenn es sich um Unterricht der katholischen Religion handelt, ist die Vertiefung der Inhalte und der Geschichte anderer Religionen vorgesehen“, schreibt Philipp Achammer in seiner Antwort.


Die „missio“

 
Ein Religionslehrer braucht in Südtirol nicht nur die staatliche Lehrbefähigung, sondern auch die sogenannte „missio“ der Kirche. Hans Heiss, Brigitte Foppa und Riccardo Dello Sbarba wollten in ihrer Anfrage wissen. „Ist die "missio" in dieser Form, mit der Verpflichtung zu moralischer Lebensführung im katholischen Sinne, nicht diskriminierend und sollte sie nicht abgeändert werden?“
Auch hier ist die Antwort Achammers kategorisch:
 
"Italien hat sich für den konfessionellen Religionsunterricht als wesentlicher Bestandteil der Allgemeinbildung entschieden. Dies hat zur Folge, dass "unser" Religionsunterricht eine res mixta - Angelegenheit ist. Das bedeutet, dass der schulische Religionsunterricht vom Staat ermöglicht und von der Kirche inhaltlich und personell verantwortet wird. Ausdruck dieser gemeinsamen Verantwortung von Staat und Kirche für den Religionsunterricht ist die Kirchliche Beauftragung zur Erteilung des Religionsunterrichts, auch "Missio Canonica" genannt, die den Religionslehrpersonen durch den Ordinarius der Diözese Bozen- Brixen erteilt wird. Die "Missio Canonica" ist daher dem eigenständigen Rechtsbereich der Kirche zuzurechnen und kann folglich auch nicht abgeändert werden.“
 

Keine Angaben

 
Die grünen Landtagsabgeordenten wollten aber auch wissen, wie viele Bewerberinnen und Bewerbe für den Religionsunterricht in den vergangenen fünf Jahren von der Amtkirche abgelehnt wurden.
Hier geht aus der Achammer-Antwort klar hervor, dass das Land keine Informationen dazu hat:
 
„Die Erteilung der Kirchlichen Beauftragung obliegt dem Amt für Schule und Katechese, den Bildungsdirektionen liegen hierzu keine Daten vor. Es gibt jedoch nur sehr wenige Fälle, in denen Bewerberinnen und Bewerbern die Missio canonica verweigert wurde. Entzogen wurde die Kirchliche Beauftragung in den letzten fünf Jahren keiner Lehrperson. Alle Fälle werden im Vorfeld der Entscheidung in der Personalkommission für Religionslehrpersonen besprochen, der neben dem Generalvikar, dem Leiter des Amtes für Schule und Katechese und den Religionsinspektoren gewählte Religionslehrpersonen aller Schulstufen und Schularten angehören.“
 

Die Abmeldungen

 
Aus der Antwort der drei Landesräte geht auch hervor, wie hoch die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht in den Südtiroler Grund- und Mittelschulen ist.
Im Zeitraum von 20 Jahren ist die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die an den deutschsprachigen Schulen des Landes auf den katholischen Religionsunterricht verzichten, um etwa 3% gestiegen.
An den deutschsprachigen Schulen haben sich rund 5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht befreien lassen, an den italienischsprachigen Schulen beträgt die Quote rund 13%.
In den italienischsprachigen Schulen beträgt der Anstieg in diesem Zeitraum ca. 8%. Dies bedeutet, dass an den deutschsprachigen Schulen ca. 5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler auf den Religionsunterricht verzichten, an den italienischsprachigen Schulen beträgt die Quote rund 13%. Auch in den ladinischen Schulen ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf den katholischen Religionsunterricht verzichten, leicht angestiegen und hat im heurigen Schuljahr ca. 2% erreicht.

Fehlende Alternativen

 
Das Land muss für Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden ein alternatives Unterrichtsprogramm anbieten. Laut Philipp Achammer gibt es hier noch Einiges zu tun:
 
„Da die religiös-ethische Dimension ein wichtiger Schlüssel der Welterschließung darstellt, muss es Ziel der Bildungspolitik sein, ein echtes Ersatzangebot für jene Schülerinnen und Schüler zu entwickeln, die nicht auf den konfessionellen Religionsunterricht zurückgreifen.“
 
Denn derzeit gibt es nur an einigen wenigen Südtiroler Grund- und Mittelschulen echte Ersatzangebote, wie Lebenskunde oder einen Ethikunterricht. Deshalb werden die abgemeldeten Schüler, meistens während der Religionsstunden entweder in Parallelklassen „geparkt“ oder wenn es sich um Schüler mit Migrationshintergrund handelt in allgemeine Unterstützungs- und Förderstunden geschickt. Ist die Religionsstunden am Beginn bzw. am Ende eines Unterrichtstages angesetzt, kommen die Schülerinnen und Schüler später zum Unterricht bzw. verlassen sie nach der vorletzten Unterrichtsstunde die Schule.
Philipp Achammer verhehlt nicht, dass es hier noch einiges zu tun gibt:
 
„Ungeachtet dieser Initiativen ist die derzeitige Lösung für jene Schülerinnen und Schüler, die nicht am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen, unbefriedigend. Da die religiös-ethische Dimension ein wichtiger Schlüssel der Welterschließung darstellt, muss es Ziel der Bildungspolitik sein, ein echtes Ersatzangebot für jene Schülerinnen und Schüler zu entwickeln, die nicht auf den konfessionellen Religionsunterricht zurückgreifen. Die Zuständigkeit hierfür liegt allerdings beim Unterrichtsministerium.“
 
Wenn man will, ist Südtirol eben doch Italien.
 

 

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gorgias Mo., 26.03.2018 - 07:38

Ja das waren sehr viele Informationen,. Ob diese endlich zu dem allzulange überfälligen Befreiungsschlag gegenüber der Klerikalisierung Südtirols beitragen sei dahingestellt.
Der Südtiroler ist aus der Tiefe seiner Seele ein serviler Bauerntscheggl. Da rührt sich nicht viel.

Mo., 26.03.2018 - 07:38 Permalink
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kurt duschek Mo., 26.03.2018 - 12:08

Lieber Harald, wie Recht Du hast! Ich bin natürlich aus tiefstem Herzen meiner Seele selbst ein serviler Bauerntscheggl! Wollte mich nicht ausschließen aus diesem erlauchten Kreis.

Mo., 26.03.2018 - 12:08 Permalink
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Harald Knoflach Mi., 28.03.2018 - 00:32

Antwort auf von kurt duschek

@kurt duschek
zum einen denke ich, dass solche pauschalurteile ungefähr so entbehrlich sind wie "asylwerber sind kriminell" oder "afrikaner sind im tiefsten herzen ihrer seele servile kolonialdeppen". und zum anderen finde ich es infam, jenen berufstand, der uns ernährt und der garant dafür ist, dass wir noch halbwegs anständige lebensmittel auf den tisch bekommen, mittels schimpfwort zu verunglimpfen.

Mi., 28.03.2018 - 00:32 Permalink
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△rtim post Mo., 26.03.2018 - 21:39

Dass Bauern in Tirol besonders servil gewesen seien, stimmt historisch zumindest so nicht. Die meisten waren ja stets frei und der Landesherr musste, anders als heute, wenn er Geld von ihnen wollte, schon besondere "Überzeugungsarbeit" zum Tiroler Landtag leisten.
Wer Menschen, Tiroler-innen, die in Schlichtheit und Einfachheit ihren Glauben leben, als "servile Bauerntscheggl" zu beleidigen meint, bekundet bestenfalls seine selbstverwirklichte Negativität.
Aus historischen Erfahrungsberichten wissen wir, dass Verfolgte... zumeist einfachen und schlichten Mitmenschen ihr Leben verdanken haben und gerade diese Widerstand gegen Hitler und andere Verbrecher geleistet haben.

Mo., 26.03.2018 - 21:39 Permalink