Gesellschaft | Zeitgeschichte

Der sterbende Legionär

Mythen der Diktaturen: Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus – ein spannendes und überraschendes Kapitel von intensiv verschränkter Kultur- und Politikgeschichte.
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„Mythen der Diktaturen: Kunst in Faschismus und Nationalsozialismus“ – Die Ausstellung auf Schloss Tirol will nach den besonderen Interferenzen, Überschneidungen und Kontrasten von und zwischen ästhetischer und gesellschaftspolitischer Sphäre fragen. Das Erkenntnisinteresse ist dabei nicht so sehr darauf gerichtet, welches etwaige „Fehlverhalten“ den Akteuren und Akteurinnen der vorwiegend bildenden Kunst nachzuweisen wäre. Es geht der Ausstellung vielmehr darum, auf aufgeklärte Weise die besondere Prägekraft von Kunstproduktion des Tirol-Trentiner Raumes in den Blick zu nehmen und ihr mythomotorisches, also kollektiv handlungsleitendes Potential am Beispiel der autoritären und totalitären Zeitumstände des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. 
Es ist kaum zu leugnen, dass Kunst auch im regionalen Rahmen ganz wesentlich zum Aufstieg und zur Selbstdarstellung von Diktaturen beigetragen hat. Sie war geradezu ihr ästhetisches Pendant und Beiwerk. Viele der regionalen Künstler und Künstlerinnen – ob Hubert Lanzinger, Othmar Winkler, Fortunato Depero, Tullia Socin, Orazio Gaigher, Eraldo Fozzer, Ugo Claus, Max Weiler, Eduard Thöny, Ignaz Gabloner oder Hans Piffrader – haben sich dem zum Teil höchst widersprüchlichen Kunstkanon der beiden faschistischen Regimes angepasst oder angedient, großteils von ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Ausgangspositionen her, vielfach aus ideologischer Nähe oder opportunistischem Kalkül. 
Nur höchst selten haben sie sich, sofern sie dazu Gelegenheit bekamen, zu ihren Haltungen vor 1945 geäußert – höchst selten wurden sie aber überhaupt hierzu befragt. Viele verstummten nach dem Krieg oder amnestierten sich selbst, manche revolutionierten ihre Kunst, manche änderten ihre Sujets nur äußerlich oder stellten sich gar als Opfer dar. 
Es gab auch jene Wenigen, die den faschistisch-nationalsozialistischen Verlockungen aktiv widerstanden hatten und diese Haltung mit Vertreibung, Exil, Totschweigen und Verfolgung bezahlen mussten. Johannes Troyer, Christian Hess, Hilde Goldschmidt oder etwa Werner Scholz stehen für diese Handlungsoptionen. Manche vertauschten ihr braunes oder schwarzes Engagement mit einem roten in der prekären Nachkriegsordnung. Allen gemeinsam war die Erfahrung, wie „politisch“ Kunst sein kann, selbst wenn sich die Akteure selbst als „unpolitisch“ ausgeben wollten, oder viel eher noch gerade in diesem Fall. 
 

Trugbilder des Heroischen

 
Es waren die in Südtirol und dem Trentino seit 1922 etablierte faschistische Diktatur, in Nord- und Osttirol der austrofaschistische Ständestaat ab 1934 und insbesondere der Führerstaat ab 1938, die von der Künstlerschaft eine Art „Bekenntnis“ einforderten. Neutral konnte man sich kaum zu den überwältigenden Zeitläufen, ihrem Drohpotential, aber ebenso auch ihren Erfolgsversprechungen und Aufstiegschancen verhalten. 
Walter Benjamin hat diese Konfliktsituation in seinem berühmten Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von 1936 auf pointierte Weise zugespitzt. Seine Diagnose zum Begegnungsfeld von Kunst und Politik lautet bekanntlich, der europäische Faschismus habe historisch am erfolgreichsten die „Ästhetisierung der Politik“ betrieben. Er meinte damit auch das breite Mitwirken von Intellektuellen, Malern, Bildhauern, Filmschaffenden, Architekten, Schriftstellern und Journalisten an einem gesamtgesellschaftlichen Ordnungsentwurf, den jeglicher Faschismus in legitimatorischer Absicht auf den Weg bringt. 
 
 
Dieses die Totalität der menschlichen Gesellschaft umfassende, zutiefst aggressiv getönte und immer wieder erratische Vorhaben zielte auf nichts weniger als die Schaffung einer neuen Gesellschaft und eines neuen Menschen ab. Neue Zeitrechnungen wurden entworfen, neue Großreichsbildungen ins Auge gefasst, allenthalben gerüstet und militärisch ausgegriffen. 
Hierbei kam der ästhetischen Produktion, den Trugbildern des Heroischen und Bellizistischen, den Archetypen von Sieg, ewiger Dauer und endzeitlichem Glanz, eine zentrale identitätsstiftende Rolle zu. Faschismen sind ohne den Marschstiefel nicht denkbar, aber ebenso wenig ohne den „organischen“, dem gouvernementalen Zugriff sich ausliefernden bzw. ausgelieferten Künstler. Mit Orwell ist uns zugleich dessen Habitus als krasse Dystopie, als Überhebung und Blendung bewusst. Es ist gerade auch Ziel dieser Ausstellung, das verquer und – wenn man so will – fehlgeleitet Utopische der Kunst der Diktaturen deutlich aufblitzen zu lassen. 
Nur höchst selten haben sie sich, sofern sie dazu Gelegenheit bekamen, zu ihren Haltungen vor 1945 geäußert – höchst selten wurden sie aber überhaupt hierzu befragt. Viele verstummten nach dem Krieg oder amnestierten sich selbst.
Nur so lässt sich auch ansatzweise verstehen, welche emotional aufgeladenen Anteile die autoritäre und totalitäre Ästhetik durchwehten, und das Emphatische ihrer Erzeugnisse begreifen. Am Ende solcher Einblicke steht dann nicht das Verdikt, dem eigentlich ein musealer Bann folgen müsste, sondern die freie Sicht auf den Graubereich von Kunst und Gesellschaft. Und es betrifft „finstere Zeiten“, in denen „ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“, um Bertolt Brechts dänisches Exilgedicht von 1939 „An die Nachgeborenen“ zu bemühen. 
 

Die Ausstellung

 
Die Ausstellung stellt sich dem Thema der Mythen der Diktaturen auf zwölf Gliederungsebenen. Die entsprechenden Themenkreise lauten „‚Der sterbende Legionär‘ ‒ Totale Kunst“ (Saal 1), „Mythos Führer“ (Saal 1), „Mythos Dynamik“ (Saal 1), „Mythos Helden I“ (Saal 1), „Mythos Mutter“ (Saal 1), „Mythos Helden II“ (Saal 1), „Mythos Scholle“ (Saal 1), „Mythos Option“ (Saal 1), „Mythos Triumph“ (Saal 2), „Mythos Heimat“ (Saal 2), „Mythos ‚entartet‘“ (Saal 3) und „Mythos Krieg“ (Saal 3).
Der Einstieg in das Gesamtthema ist der Tagespresse und vor allem der Fotografie überlassen, hergestellt von der Propagandaabteilung der faschistischen Regierung am 12. November 1938. Sie dokumentiert den Empfang der „Künstler und Professionisten aus dem Oberetsch und dem Trentino“ durch Benito Mussolini anlässlich einer Ausstellungseröffnung in Rom. 
Die Aufnahme zeigt die um den italienischen Duce, den Minister für Volkskultur Dino Alfieri und den Präfekten der Provinz Bozen Giuseppe Mastromattei gescharte Künstlerschaft, wie sie die vom Grödner Künstler Raimund Mureda geschaffene Skulptur „Der sterbende Legionär“ in Augenschein nimmt. Die Plastik überhöht propagandistisch den Kriegseinsatz des faschistischen Italiens im Spanischen Bürgerkrieg und in Ostafrika, unter Rückgriff auf das antikisierende Motiv des römischen Kriegers. Selten ist die Nähe von uniformierter Macht und strammstehender Kunst so eindrucksvoll ins Bild gesetzt worden. 
 
 
Die Aufnahme hat darum zeitlose Bedeutung für das Beziehungsverhältnis von Intellektuellen und Diktatur. Am selben Tag zeigte das Kino „Centrale“ in Bozen Luis Trenkers Film „La grande conquista (Der Berg ruft!)“, der das Matterhorndrama von 1864 heroisch verdichtete. Die Zeitungen berichten auch, zwischen nüchterner Kenntnisnahme und unterschwelliger Zustimmung, über die antisemitischen Ausschreitungen im nationalsozialistischen Deutschland in Folge der Reichspogromnacht. In Italien wurde zum selben Zeitpunkt die Radikalisierung der „Judenfrage“ durch Erlassung der diskriminatorischen Rassengesetzgebung auf die Spitze getrieben. 
 

Etschländer Künstler

 
Vor diesem Hintergrund wurden auf der Ausstellung in der neuen „Galleria d’Arte di Roma“, mitten im Regierungsviertel der Via Sicilia zwischen Villa Borghese und dem Bahnhof Termini gelegen, 150 Werke von Südtiroler und Trentiner Kunst- und Kulturschaffenden, unter ihnen Franz J. Lenhart, Luis Trenker, Hans Piffrader, Alcide Ticò, Ignaz Gabloner und Tulia Socin, gezeigt. 
Es handelte sich um eine Auswahl aus den ursprünglich 500 Arbeiten, die noch im August 1938 auf der faschistischen Kunstbiennale an der Technischen Oberschule Cesare Battisti in Bozen ausgestellt worden waren. Ein zeitgenössischer Wochenschaubericht des römischen Istituto Luce, einer faschistisch-propagandistischen Filmanstalt, dokumentiert die hochgestimmte Ausstellungseröffnung zu Rom. 
Die systemkonforme regionale Künstlerschaft war geschlossen im faschistischen Künstlersyndikat organisiert, Piffrader etwa war dieser bereits 1932 beigetreten. 
Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung besuchte die Abordnung – laut Medienberichten waren es nicht weniger als 800 Teilnehmer – die „Zweite Revolutionsausstellung“ im Palazzo delle Esposizioni, einem neoklassizistischen Bau in der Via Nazionale von Pio Piacentini. Das Kollektiv auf Zeit wohnte sodann militärischen Paraden an der Piazza Venezia bei, auf denen Milizen verabschiedet wurden, die an den afrikanischen Kriegsschauplatz entsandt wurden. Ettore Tolomei nahm diese „totalitaria partecipazione degli artisti atesini“, die geschlossene Teilnahme – sinnigerweise aber auch totalitäre Teilhabe – der „Etschländer Künstler“, befriedigt zur Kenntnis.
Krönender Abschluss war der Empfang im Palazzo Venezia durch den Duce, der hierbei seinen baldigen Besuch in Bozen ankündigte. Hans Piffrader überreichte dem italienischen Führer eine verkleinerte Replik seiner bereits in Bozen prämierten Darstellung des besiegten äthiopischen Löwen. Die „Oberetscher“ und Trentiner Vertretung brach in Duce-Rufe aus, die Zeitungen sprachen von einer „epopea fascista“, einer faschistischen Epopöe, und betonten die „hohe spirituelle“ Bedeutung des Regierungsbekenntnisses der Künstlerschaft, die mit ihrer Systemnähe die imperialen Ansprüche des Regimes ästhetisch überhöhten. 
Als Ersatz für die zugleich mit Füßen getretenen Werte von Emanzipation und Menschenrecht wurde hier ein staatlicher Kunstdespotismus vorgeführt, der die scheinbare Versöhnung von außerparlamentarischer, charismatischer Führerpersönlichkeit und einem willigen Kunstapparat als „Element totaler Herrschaft“ (Hannah Arendt) und als dystopische „Diktatur des Schönen“ emphatisch zelebrierte.
 
 

Systemnähe

 
Mit der Holzplastik „Der sterbende Legionär“ traf der Grödner Bildhauer Raimund Mureda (Bera Raimund) punktgenau den Geschmack der Jury der Bozner Syndikatsausstellung von 1938. Die Arbeit entsprach der Wettbewerbsvorgabe, „den Geist und die Ereignisse der Zeit Mussolinis“ darzustellen, offenbar so gut, dass sich Mureda damit den 1. Preis sicherte, noch vor Hans Piffrader und Ignaz Gabloner. Ihr wurde daher an der römischen Ausstellung im November 1938 ein Ehrenplatz eingeräumt, und auch hier errang die Skulptur den 1. Preis. Dieser wurde Mureda vom Vorsitzenden der Jury Alessandro Pavolini verliehen, wenig später Minister für Volkskultur und in der Faschistischen Sozialrepublik von Salò Sekretär der Faschistischen Partei – der Leichnam des von den Partisanen hingerichteten Funktionärs wurde am 29. April 1945 neben jenem Mussolinis am Mailänder Piazzale Loreto kopfüber öffentlich aufgeknüpft. 
 

Im Motiv von Muredas Legionär verschmolzen drei Bedeutungsebenen, da es die altrömische Militärterminologie mit der präfaschistischen Besetzung Fiume-Rijekas 1919 durch die Freischärler Gabriele DʼAnnunzios – die sog. „Legionari di Ronchi“ – und den ab 1936 in Ostafrika operierenden faschistischen Milizen verknüpfte. Auf der Fotografie der um Benito Mussolini (mit dem Ausstellungskatalog in seinen Händen) gescharten Südtiroler und Trentiner Künstlerschaft sind unter anderem, alle rigoros schwarz gekleidet, Ignaz Gabloner, Hans Piffrader, Franz Lenhart und Mili Schmalzl (mit Hut) zu erkennen; im offiziellen Filmbericht des „Istituto Luce“ vollführt überdies Lenhart den römischen Gruß. Die Momentaufnahme (samt entsprechender triumphaler Schlagzeile in den „Dolomiten“ vom 14. November 1938) steht wie kaum ein anderes Bild für die Systemnähe und den Konformismus zahlreicher regionaler Künstler und Künstlerinnen. In der Nachkriegszeit unterrichtete Mureda Bildhauerei an der Kunstschule von St. Ulrich in Gröden, wo ihm sogar ein Platz gewidmet wurde. 
 

Der Bannerträger

 
Hubert Lanzinger studierte an der Wiener Akademie und war nach dem Ersten Weltkrieg in Bozen, Berlin und München künstlerisch tätig. In seinem Münchner Atelier malte er in mehreren Porträtsitzungen 1933/34 den zum Reichskanzler und Diktator aufgerückten Adolf Hitler und stellte ihn – in der Renaissancetradition Albrecht Dürers, Hans Burgkmairs und Albrecht Altdorfers – als geharnischten Reiter auf schwarzem Pferd dar, der mit der Linken die Zügel und in der Rechten eine wehende Hakenkreuzfahne hält. 
Der unbeugsame und eiserne Blick des „Führers“, der im Übrigen nicht reiten konnte, ist in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Das undatierte und unbezeichnete Bild wurde rasch als „Der Bannerträger“ oder „Schirmherr der deutschen Kunst“ bezeichnet. Es kam 1935 als Geschenk an Hitler und hing in der Münchner Parteizentrale, dem „Braunen Haus“. 1937 wurde das Gemälde in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ gezeigt, wo es von der deutschen Parteijugend bewundernd in Augenschein genommen werden konnte, und seit demselben Jahr auch als Postkarte vertrieben. Eine Replik, als Mosaik von der „Tiroler Glasmalerei- und Mosaikanstalt“ ausgeführt, schmückte ab dem Sommer 1938, dem Jahr des österreichischen „Anschlusses“, bis 1945 die Aula Magna der Innsbrucker Universität. 
 
 
Lanzinger war seit Mitte der 1930er-Jahre Mitglied der NSDAP und schuf zahlreiche weitere den Nationalsozialismus verherrlichende Werke. Unter anderem porträtierte er den Tiroler Gauleiter Franz Hofer und den Innsbrucker Universitätsrektor Harold Steinacker in Parteiuniform. Lanzingers Schaffen wurde von der NS-Kulturpolitik mehrfach gewürdigt und mit Auszeichnungen bedacht. Nach dem Sturz des NS-Regimes lebte er in Dreikirchen bei Klausen. Sein von der US-Armee beschlagnahmtes Hitlerbild wurde nach Washington DC (Center of Military History) überführt und zeigt noch heute die absichtsvolle Zerstörung von Hitlers Gesicht durch einen Bajonettstich.