Kultur | Salto Return

#220517

In Salto Return geht es nicht um das Nehmen, sondern um das Geben, das Schenken und das Beschenktwerden. Und es geht um eine Fälschung.
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Foto: Foto: Salto.bz

Schenk.
Zeit für Wald- und Bergluft: Vergangene Woche bezog ich Quartier im ländlichen Raum, im Kunstort Hotel Amazonas in Wangen/Ritten. Beim morgendlichen Frühstücks-Buffet belauschte ich ein Paar am Nachbartisch, welches sich das Thema Schenk-Ökonomie vorgenommen hatte.
Er schenkte ihr ein Lächeln, sie ihm Aufmerksamkeit. Ein Geschenk, dieser Tag, dachte ich am Nebentisch, nippte am Caffè corretto und hörte wie beide ihr Gespräch fortsetzten. Er: „Die Schenkökonomie ersetzt die Marktwirtschaft vollkommen, Liebste, denn jeder Mensch entscheidet frei von finanzieller Not und frei von finanziellem Interesse, welchen Beitrag er für andere leisten möchte. Sie: „In der Theorie und in der Praxis.“
Und dann passierte es. Der Mann stand auf, näherte sich meinem Frühstückstisch und schenkte mir ein Kunstwerk (16cm  x 9cm), ein Werk von Rudolf Stingel. Allerdings eine astreine Fälschung.

Der Original-Stingel „Untitled (After Sam)“, wurde doch vergangene Woche um 9,2 Millionen Dollar versteigert, dachte ich furchterschrocken. Was könnte mir nun diese Fälschung bringen? Mehr, oder weniger?
Im Kunst-Schock bestellte ich noch einen Caffè corretto, den ich aber wegen plötzlicher Verwirrtheit mit einem Caffè sospeso verwechselte, a fondo austrank und nicht bezahlte – so wie ich es bei anerkannten Schenk-Ökonomen in Neapel gelernt hatte.
Ich verabschiedete mich dankend, klemmte den falschen Stingel unter den Arm und machte mich mit dem Geschenk aus dem Hotel, in die nächste Schenke.

Schock!
Geschockt las ich letztens zur bedenklichen Anzahl an Selbstmorden in Südtirol. Ich will mich dem Thema annehmen, recherchiere in alten Lokalzeitungen, schicke das Wort Selbstmord durch die Suchmaschine und lese einige der über 3000 Einträge. Ich will in Erfahrung bringen wie sensibel sich Journalisten in den beiden vorhergehenden Jahrhunderten mit dem heiklen Thema beschäftigt haben:
Sonnabend, den 3. November 1838: „Die Engländer haben eine neue Gattung Selbstmord erfunden! So wie es sonst in London Sitte war, sich in die Themse zu stürzen, sind jetzt schon mehrere Dampfstürzungen in England vorgekommen. Die unglücklichen Erfinder haben nämlich zwischen Liverpool und Manchester das Herannahen des ganzen Zuges abgewartet und sich dann, mit dem Kopf voran, der dampfenden Lokomotive entgegenstürzt. Zu einer solchen Gattung Selbstmord gehört wirklich nur der kalte Todesmuth des Engländers. Das 19. Jahrhundert ist in der Tat das Jahrhundert der Erfindungen.“
Ich finde viel Erschreckendes, liebevolle Nachbesprechungen, alarmierende Statistiken, nie aber eine wirklich passende Handhabe, wie mit diesem Thema journalistisch angemessen umgegangen werden soll – ohne Sensationslust und ohne auferlegte Schweigepflicht.
Ob mir da jemand weiterhelfen kann, dachte ich nach vielen Stunden Lektüre? Vielleicht täte mir eine Fortbildung gut, ein kompetenter Vortrag? Mit folgendem Titel:

Come un giornalista deve trattare i casi di suicidio.

Vielleicht das Ganze im Rahmen der obligaten Journalistenweiterbildung?

Chic?
Neuerdings lese ich leider andere Notizen in Sachen Journalistenweiterbildung. Hierzulande soll es bei solchen, laut einem jüngsten Vorfall. mitunter hart hergehen. Wo die einen mündlich austeilen, die anderen handfest einstecken. Das finde ich weniger chic.
Im Sinne der Schenk-Ökonomie finde ich es weitaus schicker, wenn Journalisten Mehrsprachigkeit in der Weiterbildung, als Geschenk begreifen und verstärkt essentielle Weiterbildungsthemen in den Vordergrund stellen.
Denn es geht beim Journalismus doch vor allem um die Kunst, Unbeschreibliches in passende Worte zu kleiden. Ohne Übertreibung, ohne Zensur. Themen finden sich: en masse.