Politik | 100 Tage Macron

Revolutionär und Autokrat

Sein Aufstieg war fulminant, der Sieg machte ihn zum Hoffnungsträger. Nach 100 Tagen Präsidentschaft steckt das Wunderkind Emmanuel Macron im Umfragetief.
macron_emmanuel.jpg
Foto: upi
Als Bezwinger der rechtsextremen Marine Le Pen und Retter Europas wurde Emmanuel Macron auch international gefeiert. Und selbst viele Franzosen, die ihn nicht gewählt haben, meinten „geben wir ihm eine Chance“. Der neue, so jung und erfrischend optimistisch wirkende Kritiker der etablierten Parteien, solle jetzt zeigen, was er kann. Besonders hart muss ihn deshalb die erste öffentliche Revolte getroffen haben. Sie richtet sich nämlich gegen die Rolle seiner Frau Brigitte. Dabei hatte gerade die romaneske Story von der ungebrochenen Liebe zur 24 Jahre älteren Ex-Lehrerin zum Positiv-Image beigetragen. Schon im Wahlkampf immer an seiner Seite, ist sie eine einflussreiche Ratgeberin. Jetzt sollte Brigitte mehr Mitarbeiter, ein eigenes Budget, eine offizielle Funktion erhalten. Eine von Bürgern lancierte Internet-Petition dagegen, zwang zur Klarstellung: die aktive Präsidentengattin werde keine zusätzlichen Steuergelder kosten. Bitter für das Präsidentenpaar.
„Revolution“ hatte Emmanuel Macron sein Wahlkampfpamphlet betitelt. Dieses Versprechen hat er eingehalten und zumindest die Polit-Welt ordentlich umgepflügt. Nur ein Jahr nach der Gründung seiner Bewegung „En Marche“ verfügt der 39-jährige Präsident über eine satte Parlamentsmehrheit. Drei Viertel der Abgeordneten sind neu, fünf Jahre jünger als ihre Vorgänger, allerdings größtenteils ohne politische Erfahrung. 40% sind Frauen.
 

Die politische Landschaft neu geordnet

 
Geschickt hat Macron die Krise der etablierten Parteien zu vertiefen verstanden. Ganz nach seinem Slogan „Weder links noch rechts, sondern von beiden das Beste“ ernannte er einen Konservativen der „Les Républicains“, Éduard Philippe, zu seinem Premierminister. Ebenso an „Überläufer“ von den Bürgerlichen gingen das zentrale Wirtschafts- und Finanzministerium und andere wichtige Posten. Seither sind die Konservativen im Parlament gespalten, zwischen Hardlinern und einer Fraktion, die die Regierung „konstruktiv-kritisch begleiten“ will. Hauptsächlich mit inneren Richtungskämpfen nach der Wahlniederlage Marine Le Pens ist ihre Partei beschäftigt.
Ungewollt aber nicht ungelegen kam Macron der Verlust drei wichtiger Minister der verbündeten Zentrumspartei „Modem“. Gegen sie laufen Untersuchungen wegen unsauberer Arbeitsverhältnisse ihrer Assistenten im EU-Parlament. Aber auch einer der treuesten Vertrauten Macrons musste die Regierung wegen einer Immobilienaffäre verlassen. Ein herber Schlag für den neuen Saubermann im Elysée-Palast.
 

Frankreich wieder Gehör verschaffen

 
Anerkennung erntete Macron mit seiner regen Aktivität als Staatsmann. Wladimir Putin lud er ins prunkvolle Versailles, erklärte aber in der gemeinsamen Pressekonferenz „wir haben uns alles gesagt“. Ukraine, Menschenrechte, die Rolle Moskaus in Syrien - alle Differenzen seien offen angesprochen worden.
 
Mit Donald Trump lieferte sich Macron schon beim NATO-Gipfel eine medienwirksame Handshake-Kraftprobe, hofierte ihn am Staatsfeiertag samt Melania im Luxusrestaurant im Eiffelturm und bei der Militärparade, aber nicht ohne harsche Kritik am Austritt der USA vom Pariser Klimaabkommen: „Make the planet great again“ forderte Macron in einem Video. Dass die deutsch-französische Freundschaft wieder aufblüht, zeigen die Herzlichkeit Angela Merkels sowie das Lob des gestrengen Finanzmeisters Schäuble für die gemeinsamen Anstrengungen, die Eurozone zu vertiefen.
 

Alleingang in der Libyen-Frage

 
Aber Macrons diplomatischer Aktivismus (ein Dutzend Auslandsreisen und 30 Empfänge im Elysée) hat auch seinen Hang zum Alleingang erkennen lassen. So zum Beispiel dessen überraschende Libyen-Initiative. Ohne Einbindung der EU-Partner hat Macron die Chefs der beiden wichtigsten Konfliktparteien des Krisenlandes nach Paris geladen. Der Ministerpräsident der international anerkannten Übergangsregierung Fajis al-Sarradsch und der den Osten Libyens beherrschende, von Ägypten unterstützte, Kommandeur der Nationalarmee Chalifa Haftar unterzeichneten einen Zehn-Punkte-Plan. Inhalt: sofortige Waffenruhe und baldige Parlamentswahlen. Sämtliche Libyen- und Nahost-Experten kommentierten ein mögliches Gelingen des Plans äußerst skeptisch. Trotzdem kündigte Macron gleichzeitig die Schaffung von Flüchtlings-Hotspots in Libyen – notfalls auch ohne EU - an. Dort sollten die Migranten aus Afrika untergebracht, registriert und deren Asylberechtigung geprüft werden. Allerdings musste der Präsident schon innerhalb 24 Stunden zurückrudern: derzeit erlaube die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Libyen solche Hotspots doch nicht. Errichtet werden könnten sie bestenfalls im Grenzgebiet zwischen Libyen und dem Niger. Seither hat man weder vom Zehn-Punkte-Plan noch von den Hotspots irgendetwas Konkretes erfahren. Massiv brüskiert fühlte sich hingegen die Regierung in Rom über den zwar spektakulären, aber bisher folgenlosen Vorstoß Macrons.
 

Harter Verteidiger nationaler Interessen

 
In einem langen und „freundlichen“ Telefonat mit Regierungschef Paolo Gentiloni hat Macron anschließend versucht, die Wogen zu glätten. Dabei musste er gleich in einem weiteren Konflikt beruhigen: dem Streit um die „Schiffswerft STX Saint Nazaire“ an der Atlantikmündung der Loire, eines der größten Schiffbau- unternehmen der Welt. Der italienische Rivale „Fincantieri“ sollte zu seinen 33 Prozent zusätzliche Kapitalanteile der Franzosen übernehmen, die die in Krise geratene südkoreanische „STX offshore“ abgeben musste. So war es mit dem ehemaligen französischen Präsidenten Hollande vereinbart.
 
„Nicht mit mir“, soll Emmanuel Macron erklärt haben. Um die dominante Kontrolle durch „Fincantieri“ zu verhindern, schlägt Paris jetzt eine 50-50-Anteilslösung vor. Weil die italienischen Partner nicht einwilligten, wurde die Werft im Schnellverfahren notverstaatlicht, „vorübergehend und bis zur Erreichung einer einvernehmlichen Lösung“, versicherte die französische Regierung. Begründung: es gehe nicht nur um die siebentausend Arbeitsplätze, sondern vor allem auch um die nationalen Sicherheitsinteressen. Neben lukrativen Kreuzfahrtschiffen werden in Saint Nazaire hochmoderne Kriegsschiffe gebaut.
 

Fehltritte in der Innenpolitik

 
Sechs Gesetze hat das Parlament bisher verabschiedet, darunter zwei bedeutsame. Die Maßnahmen zur Moralisierung der Politik verschärfen Regelungen, die Privilegien und Vetternwirtschaft bekämpfen sollen. Das war ein zentrales Wahlversprechen. Viel heikler ist die beschlossene Ermächtigung des Präsidenten, die von ihm als dringendes Hauptanliegen bezeichnete Reform des Arbeitsrechts per Dekret zu verfügen. Macron begründet das mit der Langwierigkeit der Gesetzesverabschiedung, mindestens zwei Jahre. Deshalb soll die Reform schon im Herbst per Dekret verfügt und nachträglich gesetzlich abgesichert werden. Sozialisten und radikale Linke wollen den Verfassungsgerichtshof anrufen. Ebenso haben Gewerkschafter schon einen heißen Herbst mit Kampfmaßnahmen angekündigt: gegen die geplante Liberalisierung der Schutzbestimmungen, des Kündigungsrechts und die Verlagerung der Verhandlungen von der Branchen- auf die Betriebsebene. Das könnte Macrons erste Feuerprobe werden.
Landesweite Empörung hat sich der sonst so smarte Präsident ohne Not eingehandelt. Als Signal des Sparwillens, sollte die Wohnbeihilfe für Studenten und Bedürftige um 5 Euro im Monat gekürzt werden. Ersparnis: 100 Millionen im Jahr. Dass Premierminister Philippe fast gleichzeitig versprach, die Steuern für Unternehmen um 4 Milliarden pro Jahr zu senken, um Investoren ins Land zu holen, sorgte für einen derartigen Proteststurm, dass die Kürzung der Beihilfe vorerst zurückgenommen werden musste.
 

Doch wieder ein republikanischer Monarch?

 
In den Umfragen ist Macron von über 60 auf ärmliche 37% Zustimmung abgestürzt. Das hat jedoch weniger mit konkreter Sachpolitik zu tun als mit seinem Polit-Stil. In Regierung und Präsidenten-Kabinett dominieren hochqualifizierte Elite-Technokraten, „Macron-Klone“ witzelte eine Zeitung. Die Zahl der Mitarbeiter der Minister wurde halbiert, ein Großteil von Ihnen sitzt gleichzeitig auch im Staff des Präsidenten zwecks „besserer Koordination“ – oder Kontrolle, ätzen Kritiker. Jedenfalls eine noch nie dagewesene Zentralisierung in einer Republik, in der der Präsident ohnehin auch die Linie der Tagespolitik vorgibt. Im Namen der Effizienz fälle Macron alle wichtigen Entscheidungen im kleinsten loyalen Kreis und kontrolliere die rapide Umsetzung, ganz nach dem Modus der Privatwirtschaft, erzählen Insider. Auch in der Kommunikation und Imagepflege wird nichts dem Zufall überlassen. So hat Macron Ministern und selbst Abgeordneten einen Verhaltenskodex inklusive Sprachregelung für den Umgang mit den Medien verpasst. Interviews hat Macron in drei Monaten lediglich zwei gewährt. Die eigenen Botschaften werden per Sprecher, Kommuniqué oder Social Media verbreitet. So etwa die aus dem Urlaub in Marseille verbreiteten Bilder von Besuchen bei Vereinen und Bürgern, die lockere Volksnähe zeigen sollen. Kritiker beanstanden, der Revolutionär Macron sei längst in die Kleider des patriarchal-autoritären De Gaulle oder des republikanischen Monarchen Francois Mitterrand geschlüpft. Alles nur um die schwerfälligen Räder der Bürokratie zu umgehen, kontern seine Verteidiger. Auf dem Weg zur Macht hat Macron erstaunliches politisches Talent bewiesen. Ob dieselbe Methode auch zum Regierungserfolg führen wird, bleibt offen.