Gesellschaft | Salto Gespräch

“Die Meisten sind erstaunt”

Zwei Jägerinnen erzählen von ihrer Leidenschaft und darüber, wie die Gesellschaft auf sie reagiert
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Foto: Julia Tappeiner

Den Gemüsestrudel noch schnell in den Ofen geschoben für das Abendessen später, das Gewehr geschultert, und auf geht es zur Jagd. “Weidmannsheil” rufen sich die Geschwister zu, und ziehen in ihr Jagdrevier. Es hebe nun die Hand, wer sich beim Lesen dieser Zeilen zwei Brüder im grün-braunen Tarngewand und Jägerhut vorstellt. Die Farbe der Kleidung stimmt, doch handelt es sich um die zwei Jägerinnen Nora (27) und Vera (25). Die beiden Schwestern gehen seit sieben Jahren schon gemeinsam zur Jagd, und sind damit die einzigen beiden weiblichen Jägerinnen in ihrem Jagdrevier. Was das Besondere an ihrer Leidenschaft ist, über Reaktionen der Leute, und ihre Beziehung zum Wald erzählen die beiden Jäger-Schwestern im Gespräch mit Salto. Zu den lustigen Jagdgeschichten gibt es besagten Gemüsestrudel, gegen zehn Uhr abends, nach einem ausgiebigen Jagdzug durch die atemberaubende Dämmerungskulisse des Saltens.

Salto.bz: Wie kam es dazu, dass Ihr beiden Jägerinnen wurdet? Das ist doch eine recht ungewöhnliche Leidenschaft…

Vera: Ich wurde Jägerin weil meine beiden Geschwister Jäger sind. 
Nora: Das stimmt doch gar nicht, du wolltest immer schon Jägerin werden.
Vera: Ja ok, unser Vater und beide Opas waren ja auch Jäger. Und schon als Kinder sind wir immer mit ihnen mit auf die Jagd gegangen… 

Ihr habt es sozusagen mit in die Wiege gelegt bekommen. Hattet Ihr am Anfang nie Bedenken, oder Angst davor, tote Tiere zu sehen?

Nora: Nein, das machte uns eigentlich nie etwas aus, weil wir einfach damit aufgewachsen sind. Schon als kleine Kinder stritten wir uns immer, wer diesmal mit Papa auf die Jagd mit durfte. Ich erinnere mich, einmal, da war ich noch so ein kleiner Stöpsel, da wollte mein Vater einen Bock nicht schießen, weil er meinte, das sei kein Guter. Und ich bestand aber darauf und fragte, ob er ihn nicht doch schießen wolle, denn mit meinem großen Bruder hatte er schon mal einen geschossen. Mein Vater erzählt heute noch, wie ich immer wieder sagte ‘Dai Papi, schaug noamol, vielleicht isch er jo decht ned so schlecht’. Als er dann endlich einen schoss, hatte ich eigentlich gar keine Hemmungen. Mein Vater zeigte mir dann alle Organe, das Herz, die Leber und ich schaute als kleines Mädchen ganz interessiert zu.

Wie würdet Ihr sagen, wird das Jagen heute von unserer Gesellschaft wahrgenommen?

Nora: Schon eher kritisch. Ja eigentlich schon kritisch…
Vera: Vor allem von der Stadtbevölkerung, wahrscheinlich weil die Leute wenig Bezug dazu haben. Ein Bauer zum Beispiel schätzt unsere „Arbeit“ viel mehr. Sie rufen uns auch manchmal und beten um Hilfe, wenn Wild Verbissschäden verursacht, oder Füchse die Hennen vertragen. Es gibt halt auch Leute, die sind auf uns angewiesen, die leben von dem, was sie ernten.

Schon als kleine Kinder stritten wir uns immer, wer diesmal mit Papa auf die Jagd mit durfte

Braucht es Jäger nicht auch in einem gewissen Sinne, weil Wildtiere keine natürlichen Feinde mehr haben?

Nora: Genau. Früher gab es mehr große Beutegreifer wie Bär, Wolf oder Luchs, die den Wildbestand regulierten. Heute gibt es die bei uns kaum oder gar nicht mehr. Das Jagen ist also Hege und Pflege. Wenn es zu viel Wild gäbe, dann wäre der Wald auch nicht gesund, es gäbe Verbissschäden, das Wild würde krank und so weiter. Alles hängt zusammen und das muss irgendwie reguliert werden. Diese Aufgabe hat dann der Jäger übernommen.
Vera: Wobei, Jäger hat es ja immer schon gegeben. Der Mensch war ursprünglich Jäger und Sammler. Früher kooperierte er halt mit den großen Beutegreifern, die heute bei uns wegfallen.
Nora: Das Jagen wird auch streng reguliert. Es gibt eine Abschussplanung, die anhand der Abschüsse und Entwicklungen des Vorjahres erstellt wird. Das heißt in jedem Revier wird nur die Menge an Wild entnommen, die genau auf das Gebiet und die Gegebenheiten abgestimmt ist. 

 

 

Ist Jagen ein Teil der Südtiroler Kultur?

Vera: Ich glaube schon… Vielleicht auch weil wir auf dem Dorf aufgewachsen sind und es hier doch relativ weit verbreitet ist.
Nora: Kultur ist es auf jeden Fall. Es gibt ja auch eine Reihe an Brauchtümer drum herum. Dem Wild wird zum Beispiel der letzte Bissen gegeben, der Jäger steckt sich den Bruch an den Hut und der Begleiter bekommt den Begleiterbruch angesteckt. Nach einer erfolgreichen Jagd setzt man sich oft zusammen und es wird gefeiert, man erzählt sich gegenseitig Jagdgeschichten. In zehn Jahren hört man dann immer noch dieselben Geschichten *wir lachen alle* 

Oder das traditionelle ‘Weidmannsheil’ ist auch Teil der Jagdkultur. Heißt es bei euch dann nicht eher ‘WeidFRAUsHeil’?

Nora: Um ehrlich zu sein lege ich nicht so viel Wert darauf. Bei uns heißt es auch immer Jäger im Plural und nie Jäger und Jägerinnen. Wenn du damit anfangen würdest, dann würden erst die doofen Kommentare fallen.
Vera: Ich fühle mich aber auch mit angesprochen, wenn von Jägern die Rede ist. Wir sind da nicht so die Feministen. 

Das Jagen ist doch eher eine Männerdomäne. Wie werdet Ihr als Frauen in der Branche akzeptiert?

Vera: Ich habe während meiner Forschung für meine Masterarbeit zum Thema Steinwild mit mehreren Jägern geredet und was ich so mitbekommen habe, war, dass die meisten Männer erstaunt wirkten, als ich erzählte, ich sei Jägerin. Also ja, mit Erstaunen ist man schon oft konfrontiert. Aber ich glaube, das liegt nicht nur daran, dass ich eine Frau bin, sondern mehr daran, dass ich jung bin. Und ich denke, die meisten erwarten sich auch einen anderen Typ Frau wenn sie an eine Jägerin denken.
Nora: Naja, erstaunt ist zunächst eigentlich jeder, auch die, die keine Jäger sind. Bei uns im Jagdrevier sind wir die einzigen beiden weiblichen Jägerinnen. Aber ich wurde noch nie mit einem komischen Spruch konfrontiert.
Vera: Hm...nur einmal sagte einer: ”Jo ober es wellts donn olm, dass mon enk es Viech trog!”
Nora: Ja, dann haben sie aber gesehen, dass wir auch ohne Männer auf Jagd gehen und es zumindest probieren. Oder wir gehen gemeinsam und tragen es dann zu zweit.
Vera: Ja, ich kann nunmal kein 20 Kilo schweres Tier alleine tragen. Nur einmal wollte ich selbst den Rehbock tragen, und es war so schwer! Er hat vielleicht 12 Kilo gewogen, aber ich dachte, ich breche zusammen. Naja, aber am Ende wurden wir schon akzeptiert, zumindest von unseren Jagdkollegen aus dem Revier. Und sie helfen uns auch alle.

Das Jagen wird vor allem von der Stadtbevölkerung sehr kritisch gesehen. Wahrscheinlich weil die Leute wenig Bezug dazu haben.

Was sagen eure Partner dazu? Nora, dein Freund ist auch Jäger geworden, als er dich kennen lernte. Was ist mit deinem, Vera?

Vera: Den könnte ich nie mit auf Jagd nehmen, er kann kein Blut sehen. Er ist einmal mitgekommen, aber da habe ich nicht geschossen. Da würde er, glaube ich, umfallen. Ist ja auch ok, er muss es nicht mögen. Aber er ist schon stolz und freut sich sehr für mich, wenn es gut läuft.

Wie habt ihr das erste Mal, als ihr ein Tier erschossen habt, erlebt?

Nora: Ich war einfach nur beruhigt, dass ich richtig getroffen hatte. Und dass das Tier weidgerecht erlegt wurde, ohne zu leiden.
Vera: Ich war sehr stolz, weil ich da mit meinem Opa unterwegs war und gesehen habe, wie stolz er auf mich war.

Erstaunt ist zunächst Jeder. Bei uns im Jagdrevier sind wir die einzigen weiblichen Jägerinnen. Aber ich wurde noch nie mit einem komischen Spruch konfrontiert

Was gefällt euch am Jagen, was gibt euch diese Tätigkeit?

Nora: Heute warst du ja mit dabei. War das nicht ”bärig”!? 

Ja, ich möchte es aber in deinen Worten hören... die Leser waren ja leider nicht mit dabei.

Nora: Du schaltest einfach komplett ab. Du bist draußen und lauscht einfach nur den Geräuschen und schaust und sitzt da. Oft auch stundenlang am selben Ort. Das ist auf tolle Art entschleunigend.
Vera: Ich finde unsere Welt ist so schnelllebig. Wir schauen dauernd auf die Uhr und denken: ‘Wie spät ist es? Wann muss ich los? Ah schnell, um 8 geht der Film los.’ Beim Jagen aber gehst du mit der Sonne. Wenn es dunkel wird gehst du nach Hause, ansonsten nicht. Ich finde es einfach schön, nachdem ich den ganzen Tag am Computer saß und etwas für die Uni tun musste, dann am Abend einfach rausgehen zu können, in die Natur. Das beruhigt mich voll. Was auch schön ist, ist die Zeit mit unserem Vater. Mit ihm ist es immer lustig.
Nora: Wir gehen eigentlich fast nie alleine Jagen, immer mit Familie. Und das Jagen schafft halt auch Zeit zusammen. Als wir 18, 19 waren, gingen meine Freundinnen am Wochenende immer nur aus feiern. Wir sind oft nicht mit, weil wir am nächsten Morgen um 4 Uhr aufstehen wollten, um zur Jagd zu gehen. Da sagte mein Vater immer ”Was würde ein anderer Vater mit seiner Tochter in dem Alter jetzt machen? Wahrscheinlich verbringt er wohl nicht viel Zeit mit ihr”.
Vera: So schaffen wir Erinnerungen, die wir dann später miteinander teilen können. Das ist schon schön. 

 

 

Gibt es einen besonders schönen Moment beim Jagen, an den Ihr euch erinnert?

Vera: Für mich war es sicherlich das erste Mal, als ich einen Bock geschossen habe. Weil ich da mit Opa Zeit verbracht habe und er viel Wert darauf gelegt hat.
Nora: Vor ein paar Jahren hatte ich eine Gamsgeiß zu schießen, meine erste. Die Gamsbegleiter wussten eine alte Geiß, ohne Kitz, die wollten wir erlegen. Ich ging viele viele Male, aber habe die Gämse nicht ein einziges Mal gesehen. Einmal hatte ich mit meinem Vater ausgemacht, aber es regnete leicht. Ich bin dann trotzdem zu ihm nach Hause, wo er noch im Bett lag. Weil ich nun schon mal da war, und eh mit dem Hund Gassi zu gehen war, starteten wir trotz Regen. Wir waren den halben Vormittag im Wald, es war eine richtig schöne Atmosphäre, da es ständig nieselte. Genau an diesem Tag sah ich die Geiß zum ersten Mal und konnte sie auch erlegen. Im Anschluss ist ein Jägersfreund von uns mit seinem kleinen Jagdhorn gekommen und hat direkt im Wald im Regen mit dem Horn „Gams tot“ gespielt. Das war wirklich einmalig. Danach haben wir den ganzen Tag zusammen mit noch anderen Jägern gefeiert.

Unsere Welt ist so schnelllebig, wir schauen dauernd auf die Uhr. Beim Jagen aber gehst du mit der Sonne. Das beruhigt mich.

Was hingegen gefällt euch am Jagen weniger gut?

Vera: Was ich ganz schlimm finde ist, wenn ich ein Vieh anschieße, es aber nicht gleich verendet. Dann muss man noch Nachsuche machen. Da habe ich dann ein ganz schlechtes Gewissen. Aber zum Glück ist mir das bisher nur einmal passiert.
Nora: Ich mag den Neid nicht, der leider oft da ist. Jeder will immer dem besten Bock schießen, und ja nicht einem Anderen was gönnen. Teilweise parken sie das Auto sogar ganz irgendwo anders, damit ja keiner die gute Stelle errät. Ich verstehe diese Konkurrenz nicht, das ist vielleicht eine Männersache, aber ich freue mich doch, wenn jemand einen tollen Bock schießt. Da ist es mir doch völlig egal, ob das ein besserer Bock als meiner war. Ich habe mit jedem Einzelnen, den ich schieße, eine Freude. Ich kenne jede einzelne Hintergrundgeschichte zu jedem Bock, den ich geschossen habe, weiß, wer dabei war, kann eine tolle Geschichte erzählen, die Beute feiern. Und darauf kommt es doch an, nicht darauf, immer besser zu sein als andere.
Vera: Ja, leider gibt es bei uns im Jagdrevier schon sehr viel Neid… 

Meintet Ihr aber nicht auch, dass es viel Kooperation gibt? Vor allem weil das Revier so groß ist, aber vergleichsweise zu Bozen zum Beispiel viel weniger Jäger tätig sind…

Nora: Meistens sind es aber dann doch immer dieselben zehn-fünfzehn Leute, die zum Beispiel gemeinsam einen Hochsitz aufstellen. Und die andern sind dann oft die ersten, die drinnen sitzen sobald er steht. Dasselbe ist beim Kitzretten. Wenn die Wiesen zum ersten Mal im Jahr gemäht werden, sind die Rehkitze, die die Rehgeiß im Gras ablegt, noch zu klein, um gesehen zu werden. Zum Schutz machen sie sich noch extra klein, aus Instinkt heraus. Das heißt wir Jäger gehen dann vor den Mähmaschinen her und kontrollieren das hohe Gras, um das Kitz zu finden. Das ist leider sehr schwierig, aber auch wenn du nur eines rettest hast du etwas erreicht. Jedenfalls sind es immer dieselben die zum Retten kommen. Meist jene, die eh schon arbeiten, und nach der Arbeit noch vorbeikommen oder sich sogar mal frei nehmen zum Helfen. Andere, die bereits in Pension sind und eigentlich den ganzen Tag Zeit hätten, rühren keinen Finger, und gehen stattdessen einen Bock schießen. 

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gorgias So., 25.08.2019 - 08:06

Die beiden Frauen scheinen es ganz locker zu nehmen, nur die Interviewerin versucht es krampfhaft auf die feministische Frage zuzuspitzen.

Und warum kann man, wenn man ein Porträit macht die Personen nicht von vorne zeigen?

So., 25.08.2019 - 08:06 Permalink