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„Das wird noch eine Schwergeburt“

Was macht die Südtiroler Landesregierung gegen den Klimawandel? Nicht genug, sagen Fridays for Future und die Wissenschaft.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
fridays for future
Foto: Mika Baumeister

„Es macht mich wahnsinnig“, sagt Majda Brecelj am Telefon. Die 22-jährige Fridays for Future Aktivistin aus Gargazon fühlt sich von der Südtiroler Landesregierung veräppelt. Diese hat am 14. September den neuen Entwurf zum Klimaplan für Südtirol 2050 vorgestellt. Das Dokument basiert auf einen Klimaplan, der 2011 erstellt wurde, und dessen Ziele bis heute alle verfehlt wurden. Für den neuen Entwurf wurden die verfehlten Ziele größtenteils einfach übernommen, und vielfach sogar um Jahre nach hinten verschoben oder gelöscht.

„Laut dem Plan von 2011 hätte innerhalb 2025 der öffentliche Nahverkehr in den urbanen Zonen 100 Prozent klimaneutral werden müssen“, nennt Brecelj ein Beispiel. „Im neuen Klimaplan wurde das Ziel auf 2030 verlängert, und zwar spricht man jetzt nur mehr von 40 Prozent des öffentlichen Nahverkehrs.“ Auch die geplante Reduktion der CO2-Emissionen wurde nicht erreicht, der Anteil erneuerbarer Energien im Verhältnis zum Gesamtenergieverbrauch hat sich in den letzten fünf Jahren sogar reduziert.

Dies führt nicht nur unter der Friday for Future Jugend für einen Aufschrei, sondern auch unter der Südtiroler Wissenschaft.


Der Klima Club Südtirol, eine Gruppe an Südtiroler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich Anfang des Jahres formiert haben, finden in einer Analyse harte Worte für den aktuellen Klimaplan der Landesregierung. Dieser führe keine Berechnung an, welchen Einfluss die einzelnen Maßnahmen auf die Erreichung der Klimaziele hätten, noch gäbe es Vorschläge dazu, was die einzelnen Projekte kosten oder wie sie finanziert werden sollen. Es fehle ein regelmäßiges Monitoring, sowie eine Experten-Kommission, die Vorschläge zu Nachbesserungen unterbreiten könne. „Kurz gesagt, es handelt sich um einen Plan ohne jegliche Planungsinstrumente“, schließen die Unterzeichnenden des Klima Club Südtirol in dem Dokument.

Der Punkt, der am heftigsten kritisiert wird: Der Plan sieht keine Klimaneutralität bis 2050 vor,

und entspricht damit weder den Zielen des Pariser Klimaabkommens noch den aktuellen EU-Vorgaben. Stattdessen strebt der Plan eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes auf 1,5 Tonnen pro Person an. Problematisch kommt hinzu: In diesen 1,5 Tonnen sind die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft nicht berücksichtigt. Diese darf weiterhin ungehemmt das Klima aufheizen.

„Weder wir, noch die Wissenschaft ist einbezogen worden“, empört sich Aktivistin Brecelj. Sie ist ehrlich enttäuscht. Vor drei Jahren war sie gemeinsam mit zwei Kollegen von Fridays for Future vom Landeshauptmann zu einem Gespräch eingeladen worden. Dieser habe den jungen Leuten versichert, es werde ein neuer Klimaplan erarbeitet. „Wir hatten uns vom Gespräch ehrlich mehr erwartet. Zumindest sollte der Plan konform mit dem Pariser Klimaazielen sein“, schließt Brecelj.

Über die Kritik der Fridays for Future Bewegung, über Klimaschutz in Südtirol und Forderungen an die Politik wird Majda Brecelj am 27. Oktober um 20 Uhr im UFO Bruneck sprechen. Mit ihr im Gespräch: Georg Kaser, weltweit renommierter Klimaforscher und Professor an der Universität Innsbruck, der an zwei zentralen IPCC-Berichten des Weltklimarats mitgewirkt hat.

Er sieht selbst die ambitioniertesten Ziele des Pariser Abkommens, oder des Europäischen Green New Deals als nicht genug: „Das wären alles ganz tolle Ziele gewesen, wenn sie vor 10, 20 Jahren eingeführt würden worden wären. Jetzt ist es viel zu spät“, so Kaser. Damit wiederholt er das harte Urteil, das der Weltklimarat, ein globaler Zusammenschluss an Klima-Expertinnen und Experten, im erst kürzlich veröffentlichten Bericht ausspricht.

Über die Klimapolitik in Südtirol könne er noch wenig sagen, er habe die Analyse nur oberflächlich durchgeschaut. Sein Eindruck: „Es herrscht noch ein zaghaftes Verhalten. Das deutet darauf hin, dass es noch eine Schwergeburt wird.“


Sollten wir diese Schwergeburt nicht meistern, davon ist Kaser überzeugt, wird es das Ende unserer Zivilisation. „Wir müssen möglichst in den nächsten 10 Jahren auf 0 Emissionen kommen, nicht erst in Jahrzehnten. Ansonsten verselbstständigt sich der Klimawandel, und dann ist jegliche Maßnahme zu spät.“

Das ginge nur durch eine ökosoziale Marktwirtschaft, die strengen ökologisch- und sozialgerechten Prinzipien folge, sagt der Wissenschaftler. Konkret bedeutet das, jedes einzelne Gramm CO2, das ausgestoßen wird, dafür verwendet werden müsse, um möglichst schnell Emissionsneutral zu werden. „Wenn wir unsere Zivilisation retten wollen, müssen wir radikalste Maßnahmen treffen“, so Kaser.

Davon ist der Klimaplan Südtirol einen großen Schritt entfernt. Was genau sich an der Klimapolitik ändern muss, und was das für die Gesellschaft bedeutet, darüber sprechen die Aktivistin Brecelj und der Experte Kaser am 27. Oktober im UFO Bruneck.

Die gute Nachricht: die Maßnahmen des Südtiroler Klimaplans sind nicht definitiv. Sie können von jedem Bürger und jeder Bürgerin bis zum 31. Dezember hier angeschaut, bewertet und kommentiert werden. Es ist noch nicht klar, was genau mit den Bewertungen dann geschieht. Druck aufzubauen, so sieht es Kaser, ist aber eine wichtige Möglichkeit der Einflussname auf die Politik. Ein Besuch des Gesprächs in Bruneck lohnt sich also.

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Salto User
Silke Raffeiner So., 24.10.2021 - 22:50

Zum Klimaplan-Entwurf, der laut Analyse des Klima Clubs Südtirol völlig unzureichend ist, um die Klimaneutralität zu erreichen, gesellt sich ein so genannter "Bürgerbeteiligungsprozess", der banaler nicht sein könnte: zu jeder einzelnen Maßnahme darf man ein Urteil in Form von "Daumen hoch" oder "Daumen runter" abgeben. Im Ernst? Geht es noch unseriöser, noch peinlicher? Ich fühle mich komplett veräppelt! Es muss raschestmöglich ein Klima-Bürger*innenrat eingerichtet werden, damit ein echter Partizipationsprozess beginnen kann.

So., 24.10.2021 - 22:50 Permalink
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Peter Gasser So., 24.10.2021 - 23:17

Antwort auf von Silke Raffeiner

Zitat:
“Es muss raschestmöglich ein Klima-Bürger*innenrat eingerichtet werden...”:

Frage: von WEM wird WER und WIE, also durch welchen Prozess, “eingerichtet”, mit welcher Kompetenz?
Frage 2: WOHER kommt dessen Legitimation innerhalb der demokratischen Strukturen, und wie arbeitet dieser neue “Klimabürgerrat” mit dem alten gewählten Bürgerrat (Parlament und Regierung) zusammen?
Frage 3: Ist die derzeitige Demokratie also eine “unechte” Partizipation, wird alibihalber beibehalten, aber bestimmen tut eine, ja wasdenn...?

So., 24.10.2021 - 23:17 Permalink
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Karl Gudauner Mo., 25.10.2021 - 19:10

Im Sinne der Transparenz ist es angebracht, dass der überarbeitete Planentwurf auf der Homepage der Landesagentur veröffentlicht wird. Das ist eine Grundvoraussetzung für einen Beteiligungsprozess der Bürgerinnen und Bürger. Bisher ist dort nur die Fassung des Plans von 2011 zu finden.

Mo., 25.10.2021 - 19:10 Permalink
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Salto User
Silke Raffeiner Mo., 25.10.2021 - 20:59

Unter folgenden Links, Herr Gasser, können Sie sich über Zusammensetzung, Auswahlverfahren, Trägerorganisationen, Finanzierung, Schirmherrschaft, Ergebnisse u.v.m. des Bürgerrats Klima in Deutschland informieren. Ein solches Instrument der Beteiligung ist ja keine neue Erfindung, sondern wurde andernorts bereits erfolgreich angewendet, selbstverständlich innerhalb der demokratischen Strukturen.
https://buergerrat-klima.de/
https://www.dw.com/de/b%C3%BCrgerrat-klima-klimaschutz-ma%C3%9Fnahmen-d…

Mo., 25.10.2021 - 20:59 Permalink
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Peter Gasser Do., 28.10.2021 - 14:35

Antwort auf von Silke Raffeiner

Ich bleibe da kritisch:
(1)Vorgabe: "per Losverfahren und anhand demografischer Daten, wie Alter, Bildungsstand, Herkunft nach Bundesland oder Migrationshintergrund ausgewählt worden": es ist absolut unrealistisch, dass 160 im Los ausgewählte Bürger selbständig in 12 Sitzungen ein "Gutachten" erarbeiten können, das "... konkrete Empfehlungen für die zukünftige Klimapolitik der Bundesrepublik Deutschland, genauer gesagt: Empfehlungen, wie Deutschland die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreichen kann – unter Berücksichtigung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte, enthält".
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(2) Jetzt kommt es: "Bei ihren Diskussionen wurden die Teilnehmer von einem Expertengremium aus Wissenschaftlern unterstützt". Und von DW. Und wer hat die Experten ausgewählt?
Und warum dann nicht gleich den Bericht von den Experten verfassen lassen, was wohl - so darf man annehmen - ohnehin geschehen ist?
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Ein "Bürgerrat" als Kleid eines Expertenberichtes? .. wenn es nützt soll es gut sein... ich verstehe den Umweg eines Expertenberichtes über einen Bürgerrat nur, wenn man der politischen Bürgervertretung deren Lauterkeit und Nutzen abspricht.
Ich bin da nicht sehr überzeugt.

Do., 28.10.2021 - 14:35 Permalink