Gesellschaft | Mystische Orte

St. Hippolyt in Naraun

Gibt es einen Ort im Burggrafenamt, der im Laufe der Geschichte unvergleichlich viel gesehen hat, so ist das St. Hippolyt in Naraun.
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Foto: ©Martin Ruepp

 

Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 10

 

Dieser hohe, felsige Hügel, auf den eine kleine Kirche gesetzt wurde, sah Völker kommen und gehen, Zeiten des Friedens und bittere Zeiten des Kampfes. So erhebend der Ausblick auf diesem erhöhten Platz auch ist und so sehr man hier das ergreifende Gefühl der Weite genießen kann, so sehr lassen sich Leid und Schmerz nachempfinden.

Dennoch ist St. Hippolyt ein bemerkenswerter Kraftort, außergewöhnlich durch seine Intensität wie seine Ambivalenz, und blickt man von oben auf die Welt, umschmeichelt von Wind und bestärkt von Sonne, kann man fühlen, was es bedeutet, ganz Mensch zu sein.

Nicht umsonst ist dieser Hügel bekannt und beliebt, und an sonnigen Tagen und generell an Feiertagen muss man sich auf viel Gesellschaft einstellen. Von Süden her führt ein breiter Weg durch die überraschend vielfältige Felsen- und Naturlandschaft hinauf zum Kirchenhügel. Viele kleine Plätze mit wunderbarer und vielgestaltiger Ausstrahlung, bemerkenswerten Felsen und wärmeliebender Flora lassen sich auf St. Hippolyt entdecken. Kurz vor dem letzten Aufstieg zum Kirchlein kommt man an einer ebenen Landschaft mit sanft gerundeten Porphyrfelsen, alten Eichen und Kastanien vorbei, die in ihrem Ensemble wie auch in ihrem Flair ein bisschen an Castelfeder erinnern. Hier verbergen sich immer wieder kleine Oasen abseits des vielfrequentierten Weges und neben freundlichen Wiesenflächen laden charismatische Gletscherschliffe zum Verweilen ein.

Am Gipfelplateau angekommen und speziell ganz am Rand zum Etschtal hin versteht man, weshalb dieser Ort als Königsloge bezeichnet wird: Hier öffnet sich plötzlich ein weites Blickfeld auf die umliegende Landschaft, die sich wie eine Landkarte vor einem ausbreitet. Ganze zwanzig Ortschaften und dazu vierzig Schlösser und Ruinen lassen sich von hier aus erblicken.

Den höchsten Punkt des Hügels krönt das schlichte Kirchlein St. Hippolyt mit aufgesetztem Fassadenturm. Wie bei vielen anderen Kirchen auch, ist sie wahrscheinlich nur die letzte in einer langen Reihe von Kirchenbauten. Sie wurde dem hl. Hippolyt geweiht, möglicherweise der Hinweis auf eine militärische Vergangenheit dieses Ortes.

Auch wenn sich bei St. Hippolyt – so deutlich wie selten an Kraftorten – gleichzeitig zwei divergierende Grundenergien zeigen, ist dies dennoch ein äußerst anziehender und reizvoller Ort und zweifellos ein uraltes Heiligtum. Darauf weisen insbesondere die vielen außergewöhnlichen Steine hin: angefangen bei dem rätselhaften mittig entzweigebrochenen Kalksteinblock in der Nähe der Kirche bis hin zur Fruchtbarkeitsrutsche und den vielen Schalensteinen.

Zahlreiche archäologische Funde aus den verschiedensten Epochen erzählen von einer Begehung und Besiedelung des Hügels schon seit der Jungsteinzeit. Zum Fundus gehören Feuersteingeräte, geschliffene Steinbeile aus der Jungsteinzeit und Tongefäße, ein Glasarmreifen, eine Certosafibel sowie eine Hakenkreuzfibel aus der Bronzezeit. Während der ausgehenden Bronzezeit scheint die Siedlung einen gewissen Wohlstand erreicht zu haben, sie hatte mit Sicherheit eine bedeutende Stellung. Die Überreste ehemaliger rätischer Häuser auf der Etschtalseite unterhalb des Steilabfalls und ein Brandopferplatz auf der Gipfelfläche belegen auch ihre große Bedeutung während der Eisenzeit. Darüber hinaus war St. Hippolyt der nördlichste Stützpunkt der Provinz Venetien und als solcher von den Römern bewohnt.

Einige verschmolzene Fundstücke legen nahe, dass es hier – im Ringen um die Macht – auch zu Brandschatzungen gekommen ist. Schließlich weist auch die zerstörte Festung Tesana in diese leidvolle Richtung und zeigt Bilder von Verwüstung in gleich mehreren Epochen an.

Dass all diese traumatischen Ereignisse noch an diesem Ort hängen und dass er sich aber dennoch als Kraftort behaupten kann, zeugt von seiner unbändigen Energie und machen St. Hippolyt zu einer besuchenswerten Stätte, welche selbst eine leidvolle Vergangenheit nicht zerstören konnte.