Kultur | Salto Weekend

Killerargumente statt Nachdenken

Corona-Lockdowns lassen Künstler und Kulturschaffende verzweifeln. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre die Lösung. Sepp Kusstatscher informierte bei Online-Konferenz.
SeppKusstatscher
Foto: Privat

Seit der Coronakrise, die viele um ihre Existenz bangen lässt, steht das bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) verstärkt zur Debatte. Die Abgeordneten des Südtiroler Landtags diskutierten im Juni darüber; der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags musste sich im Oktober mit einem Antrag der BGE-Aktivistin Susanne Wiest auseinandersetzen. Auf EU-Ebene haben sich Initiativen unter der Leitung des Österreichers Klaus Sambor zusammengetan, um bis zum 25. September 2021 eine Million Unterstützungsbekundungen im Internet zu sammeln, damit die EU-Kommission ein Konzept zur Einführung des BGE vorlegt. Noch zeigen die Regierenden wenig Interesse, den Forderungen nach einem Einkommen nachzukommen, das bedingungslos die Existenz aller sichert. Doch unter Europas Bürgerinnen und Bürgern wächst das Bedürfnis, auch in Zeiten von Pandemie und Erwerbslosigkeit Wohnung, Nahrung und täglichen Bedarf ohne amtliche Hindernisse und Bevormundung bezahlen zu können. Sepp Kusstatscher, Theologe, Politiker und langjähriger BGE-Befürworter aus Villanders, traf sich am 18. November 2020 mit deutschen Attac-AktivistInnen zur Online-Konferenz, um ihnen die Situation in Italien und Südtirol darzustellen.

Kusstatscher erklärte seinem überwiegend bundesdeutschen Internet-Publikum, dass den Einwohnern Italiens erst seit 2019 landesweit das Reddito di Cittadinanza zusteht, das unter Mitwirkung der 5-Sterne-Bewegung zustande kam. Das in Düsseldorf erscheinende Handelsblatt reagierte damals empört, weil die römische Regierung wegen “der teueren Wahlversprechen” eine “deutlich höhere Neuverschuldung” in Kauf nehme und ein Brüsseler Defizitverfahren riskiere. 

Dabei klingt das, was Kusstatscher als “Hartz IV all`italiana” bezeichnete, für deutsche Ohren wenig frohlockend. Das Hartz-IV-Gesetz gilt als Sündenfall der deutschen Sozialdemokratie, dessen Einführung durch die rotgrüne Regierung Gerhard Schröders im Jahr 2003 die Situation für Erwerblose, die auf eine staatliche Mindestsicherung angewiesen sind, erheblich verschlechtert hat. Etwa 3,5 Millionen, etwa 5 Prozent der italienischen Einwohner, beziehen das Reddito, dass der Südtiroler als “noch komplizierter und bürokratischer” einstufte als Hartz IV und dass die Armut in Italien nur unzureichend bekämpfe. 

Kusstatscher befürchtete zunächst, dass mit der Einführung des Reddito di Cittadinanza die Idee eines italienischen BGE “gestorben” wäre; doch die existenzielle Unsicherheit in Zeiten der Pandemie erzeugt neues Interesse am Thema. Früher beschäftigte es nur eine Gruppe von Wissenschaftlern wie Luca Santini oder Sandro Gobetti, die sich seit 2008 im Basic Income Network Italia organisieren. Zwei Jahrzehnte zuvor waren sie dem belgischen Sozialforscher Philippe Van Parijs begegnet, der 1986 das Basic Income European Network gegründet hatte. Die Akademiker erhielten kaum Unterstützung von Gewerkschaften, Unternehmer-, Sozial- oder Kirchenverbänden. Die Lage änderte sich mit dem Aufstieg Beppe Grillos und seiner Movimento 5 Stelle. Seitdem steht das Reddito di Base per tutti auf der politischen Tagesordnung. Kusstatscher hält das Reddito di Cittadinanza für dringend reformbeürftig, doch die Regierung Conte II habe aufgrund der Covid-19-Krise ganz andere Probleme, als dieses Gesetzespaket wieder aufzuschnüren. 

Korrekturen fordern nicht nur BGE-Aktivisten, sondern auch Vertreter linker Parteien und Sozialverbände, die an Demonstrationen teilnehmen. Besondere mediale Aufmerksamkeit erhalten Künstler und Kulturschaffende, die “plötzlich ohne Nichts auf der Straße standen”. Kusstatscher bemängelt allerdings, dass sich der italienische BGE-Aktivismus vor allem auf Rom und Latium konzentriert. Dort engagieren sich die M5S und die Lista Civica Zingaretti. Ihre Vertreterinnen Roberta Lombardi und Marta Balfoni sorgten dafür, dass Latium offiziell zur Beteiligung an der europäischen BGE-Initiative aufruft. Linke Parteien, die Piratenpartei und die Rifondazione Comunista unterstützen sie gleichfalls. Mit der Sozialministerin Nunzia Catalfo habe es verschiedene Aussprachen gegeben, dabei werde “immer öfter auch ganz offen” das BGE gefordert. 

Zur Haltung in seiner Heimatregion stellte Kusstatscher fest: “Wenn ich in Südtirol das Anliegen BGE bei Vorträgen und Diskussionen anschneide, da wird mir kaum widersprochen. Ja, ich spüre sogar, dass die Idee eines BGE von vielen begeistert aufgenommen wird. Hernach jedoch höre ich dann trotzdem oft wieder die zwei üblichen Killerargumente: Es ist nicht finanzierbar - und: Dann arbeitet niemand mehr. Und somit wollen viele nicht gründlicher darüber nachdenken oder gar etwas unternehmen.” Der Politiker bedauert es, bislang nicht geschafft zu haben, bei Südtiroler Grünen und Sozialverbänden deutliche Mehrheiten für das BGE zu gewonnen zu haben.
In der abschließenden Teilnehmer-Diskussion war noch vom Reddito di autodeterminazione ed universale die Rede, das eine feministische Bewegung fordert, um die Selbstbestimmung der Frau zu stärken. Die weitgehende gesellschaftliche Missachtung unbezahlter Tätigkeiten im Haushalt, bei der Versorgung und Pflege von Angehörigen, die meistens von Frauen verrichtet werden, ist für die BGE-Bewegung ein bedeutendes Thema.
Auf Nachfrage erklärte Kusstatscher, dass Geflüchteten das Reddito della Cittadinanza nicht gezahlt werde, Salvini habe Fürsorgeleistungen für Gestrandete aus Afrika sogar gekürzt. Ein besonderes Problem sei der Missbrauch von Afrikanern zur “Sklavenarbeit” auf italienischen Plantagen. Sie hätten keine Rechte und würden “sehr schlecht behandelt”. Solche Missstände dürften den Zuhörern aus der deutschen Fleischindustrie bekannt gewesen sein.

Trotz der vielen politischen Hürden sieht Kusstatscher in der zweiten Corona-Krisenwelle eine Chance, “einen Anlass für immer mehr Menschen einzusehen, dass die soziale Absicherung aller Menschen garantiert werden muss, mehr als eine Unterstützung der Ärmsten und der Arbeitswilligen, weg vom Almosen hin zum Recht auf ein Leben in Würde für alle Menschen”.

Bild
Profil für Benutzer Johann Georg Bernhart
Johann Georg B… So., 22.11.2020 - 09:34

Ach Kusstatscher soll es endlich bleiben ,das Grundeinkommen ist ein Instrument, dass die Bürger zur Faulheit erzieht ,es braucht kein Grundeinkommen.
Wieso haben und brauchen wir so viele Bürger aus dem Ausland, in der Landwirtschaft, im Gastgewerbe , im Handwerk im Gesundheitswesen, einzig und alleine weil viele Personen einfach nicht arbeiten wollen. Entweder ist ihnen die Arbeit zu streng, sie finden immer eine Ausrede um nicht zu arbeiten und sie wollen diese Personen unterstützen, was denkt sich der einfache Arbeiter dabei?? welcher täglich seine Arbeit nachgeht und am Ende schlechter dasteht als eine Person welche das Grundeinkommen erhält, Herr Kusstatscher haben sie einmal soweit gedacht??
Auch Künstler sollten eine geregelte Arbeit nachgehen, Kunst sollte ein Hobby sein, also nach der lebenswichtigen Arbeit, schon früher hat man zu die Künstler gesagt such dich eine ordentliche Arbeit.
das Brot ist nicht hart, aber kein Brot ist hart, darum gehen normale Personen arbeiten.

So., 22.11.2020 - 09:34 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni So., 22.11.2020 - 11:11

Antwort auf von Johann Georg B…

oje, oje. Ist es nicht Verschwendung wertvoller Arbeitszeit solch einen Leserbrief zu schreiben? Was ist mit all den Erb_innen, welche trotz Erbschaft (und somit Grundeinkommen bzw. -vermögen) noch arbeiten gehen? Was mit all den Kindern / Jugendlichen und Senior_innen, welche ohne Arbeit ein Einkommen erhalten. Mal nachgerechnet, daß wir bei heutiger Lebenserwartung mehr Lebenszeit "erwerbslos" sind als einen Gehalt beziehen? P.S. ganz nebenbei würde natürlich auch der / die Arbeiter_in ein Grundeinkommen beziehen.

So., 22.11.2020 - 11:11 Permalink