Gesellschaft | Covid19

Impfpflicht für Vaterland

Österreich fährt sein gesellschaftliches Leben herunter und prescht mit allgemeiner Impfpflicht vor, die zunehmenden Zuspruch erfährt.
präsidentschaftskanzlei
Foto: Julian Mayr

Gelockt durch die Rabattwochen rund um den Black Friday und in Anbetracht des bevorstehenden allgemeinen Lockdowns, nutzten viele Wienerinnen und Wiener das vergangene Wochenende (19. – 21- November) nochmals für letzte Erledigungen im lokalen Handel und auf den kürzlich eröffneten Weihnachtsmärkten.  

Während Scharen von Passanten sich vorbei an den grell leuchtenden Ständen der Weihnachtsmärkte wälzten, waren am Samstag nur wenige hundert Meter entfernt 1400 Beamte im Einsatz, um schätzungsweise 40.000 Personen in Zaum zu halten, die sich anschickten gegen die Corona-Politik der österreichischen Bundesregierung zu demonstrieren.

Befürchtungen, der Aufmarsch in Wien könnte zu ähnlichen Entgleisungen wie tags zuvor in Rotterdam führen, wo es zu schweren Krawallen und Straßenkämpfen kam, bewahrheiteten sich nicht. Dennoch kam es in der bunten Melange an Teilnehmern, zu der auch Vertreter rechtsextremer Bewegungen zählten, zu gewaltsamen Zwischenfällen und insgesamt 400 Anzeigen. Nicht weniger als zwölf davon fallen unter das NS-Verbotsgesetz. Berichten zufolge kam es zu antisemitischen Entgleisungen, unter anderem im jüdisch geprägten zweiten Wiener Gemeindebezirk. 

 

„Gesellschaftlich nicht mehr leistbar“  

 

Der Groll der Verharmloser, Leugner und Skeptiker gilt den neuerlich verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Covid19-Pandemie. Einem bereits seit einer Woche aufrechten Lockdown für Ungeimpfte, folgte am Freitag die Verkündung eines allgemeinen und österreichweiten Lockdowns ab Montag 22. November, der zunächst zehn Tage gültig und im Bedarfsfall um weitere zehn Tage verlängert werden soll. 

Mit dem Lockdown werden erneut neue alte Regelungen auf den Plan gerufen: Das Verlassen der Wohnung ist nur aus bereits bekannten Gründen gestattet, etwa zur Deckung der Grundbedürfnisse, um der Erwerbsarbeit oder Ausbildung nachzugehen oder um eine wichtige Bezugsperson zu treffen. Schulen und Kindergärten bleiben weiterhin geöffnet, auf dem Arbeitsplatz gilt österreichweit die 3G- und in Wien die 2,5G-Regel. Auch Seilbahnen dürfen unter Einhaltung von 2G und FFP2-Maskenpflicht in Betrieb genommen werden.

Wie der STANDARD berichtete, sehen Verfassungsjuristen aber zunehmend ein Problem mit der verfassungsrechtlichen Konformität eines Lockdowns für jene Personen, die bereits die dritte, sogenannte Booster-Impfung erhalten haben. Diese Gruppe stelle zwar derzeit noch einen relativ geringen Anteil der Gesamtbevölkerung dar, sei aber stark im Wachsen begriffen. Sollte sich die hohe Effektivität des dritten Stiches auch in Zukunft bestätigen, dann könnten derart einschränkende Maßnahmen mangels genügender Begründung vor dem Verfassungsgerichtshof nicht standhalten. Dies dürfte aber erst für mögliche weitere Lockdowns von Relevanz sein. 

 

Zustimmung für Impfpflicht steigt

 

Für mediale Furore sorgte seit Freitag aber in erster Linie auch die für Anfang nächsten Jahres angekündigte generelle Impfpflicht, die spätestens ab 1. Februar 2022 greifen soll. „Wir können uns das gesellschaftlich nicht mehr leisten, zu warten, bis alle angesteckt sind“, begründet Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) eine vor wenigen Wochen noch partout nicht erwogene Impfpflicht. Eine repräsentative Meinungsumfrage des Gallup-Instituts aus August dieses Jahres offenbarte in der Bevölkerung zwar eine mehrheitliche Zustimmung für eine berufsspezifische, allerdings nicht für eine allgemeine Impfpflicht (29%). Dennoch zeigt der Trend der Zustimmung nach oben, wie kürzlich veröffentlichte Paneldaten der Universität Wien zeigten. Demnach befürwortet mit Ende Oktober 40 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung eine allgemeine Impfpflicht.  

 

Während es in manchen Ländern wie Italien bereits eine berufsgruppenspezifische Corona-Impfpflicht gibt, wäre Österreich derzeit das erste Land in Europa mit einer allgemeinen Impfpflicht. Im Hinblick auf die konkrete rechtliche Umsetzung der angekündigten Impfpflicht sind allerdings noch offene Fragen zu klären, wie etwa, ob diese Verpflichtung auch für Minderjährige gelten wird, welche Bevölkerungsgruppen möglicherweise eine Ausnahme darstellen oder wie das Strafmaß aussehen wird.

Prominente Unterstützung für eine generelle Impfpflicht gab es unter anderem vom Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, dem Bundespräsidenten a.D., Heinz Fischer oder der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und Liberalen Irmgard Griss. Griss meinte in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ zwar, die Regierung hätte schon früher alles daransetzen sollen, die Impfquote zu erhöhen. Man müsse die „Notwendigkeit nun aber akzeptieren“, fordert die frühere Nationalratsabgeordnete der NEOS, auch mit enttäuschtem Blick auf ihre eigene Partei, die einer Impfpflicht bisher eher ablehnend gegenüberstand.

Stark abgeneigt und somit in den allgemeinen Tenor der No-Vax- und Corona-Protestbewegung einstimmend zeigt sich die FPÖ von der Ankündigung. „Österreich ist mit heutigem Tag eine Diktatur!“, vermeldete Parteiobmann Herbert Kickl via Pressemeldung und forderte verstärkte frühzeitige medikamentöse Behandlung als probateres Mittel in der Pandemiebewältigung. Die Impfung sei, entgegen der gängigen Behauptungen, „kein Gamechanger“, so Kickl, der kürzlich heftig in der Kritik stand, da er das Entwurmungsmittel „Ivermectin“ zur Behandlung einer Covid-19-Erkrankung empfohlen hatte.