Gesellschaft | Erziehung, Bildung

Schleichende Tröpfcheninfektion

Mit vorurteilsbewusster Bildung können Kinder in der Schule bezüglich gesellschaftlicher Vielfalt sensibilisiert werden.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Regenbogenfamilien - vorurteilsbewusste Bildung
Foto: CC0

„Das hat dem Apfel hier wehgetan,“ sagt eine Schülerin und legt die Hand auf ihr Herz. Die Schülerin hat auf die Frage ihrer Lehrerin geantwortet, wie sich der Apfel fühlt, nachdem er von ihr und Klassenkameraden beschimpft wurde.

 

Apfel beschimpfen/Apfel loben ist ein Spiel, welches die Grundschullehrerin und Diplomstudentin Alexandra Pichler im Rahmen ihres Unterrichts einsetzt, um ihre Schülerinnen und Schüler für gesellschaftliche Vielfalt zu sensibilisieren. Das Spiel ist ein Beispiel für den pädagogischen Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung.

 

Die vorurteilsbewusste Bildung liefert das Werkzeug, um in Bildung und Erziehung bewusst gegen Vorurteile und Diskriminierung zu arbeiten. Der Kerngedanke dahinter ist, „dass jeder ein Querdenken zulassen darf. Sobald dies geschieht, haben wir eine Vielfalt in der Gesellschaft, die wir brauchen“, betont Alexandra Pichler. Die Grundschullehrerin weiß aus eigener Erfahrung, dass Kinder von sich aus verschiedene, manchmal kontroverse Themen mit in den Unterricht bringen. Als Lehrerin sieht Pichler ihre Aufgabe dann darin, diese Themen aufzugreifen und ihren Schülern und Schülerinnen Informationen zur Verfügung zu stellen. Ob es um Behinderungen, Religionen, Lebensweisen, Einstellungen oder andere Themen geht, spielt für die Herangehensweise keine Rolle. „Für Schulkinder, besonders in der Unterstufe, muss ich ein schwieriges Thema gut verpacken. So gut, dass es ein Bonbon für das Kind ist und der Inhalt dann einen Wow-Effekt herstellt“, erklärt Pichler.

 

Zu lernen, sich in andere hinein zu versetzen und Vielfalt zu tolerieren kann ein zentraler Aspekt der vorurteilsbewussten Bildung sein. Nach dem ein Apfel beschimpft, und einer gelobt wurde, fragte Pichler, ob die Äpfel denn gleich seien, woraufhin ihr die Kinder bestätigten, die Äpfel sähen ganz gleich aus. Als Pichler einen der Äpfel aufschnitt, traten die Unterschiede zu Tage: Der Apfel, der beschimpft wurde, war mit Jod präpariert, sodass er innen braun war. Als Pichler den braun angelaufenen Apfel ihrer Klasse zeigte, hob ein Mädchen die Hand und sagte, genauso fühle man sich, wenn man beschimpft wird. „Die Kinder brauchen zu Begriffen Bilder. Zum einen, um sich diese anzueignen. Zum anderen hilft es ihnen Inhalte im Gedächtnis zu speichern und diese längerfristig zu behalten,“ begründet Pichler die Idee hinter dem Spiel.

 

Indem Lehrpersonen Themen, welche die Kinder in den Mittelpunkt stellen, aufgreifen, kommt der gleiche Inhalt immer und immer wieder in anderer Form und sickert langfristig durch. Als etwa in Pichlers Klasse das Thema Sehbeeinträchtigung aufkam, ging die Lehrerin spontan darauf ein, erzählt sie: „Wenn ihr [die Schülerinnen und Schüler, Anm. d. Autorin] die Augen schließt und einfach redet, können wir annehmen, dass wir alle gleich sind. Klar gibt es Stimmlagen und -höhen die unterschiedlich sind, aber dennoch können wir uns physisch nicht sehen, sodass wir annehmen können, das wir alle gleich und doch anders sind. Einer ist größer, der andere kleiner, aber dennoch sind wir alle Menschen. Nach diesem Input sehe ich am Gesichtsausdruck der Kinder, wie es in deren Köpfen rattert. In diesem Moment war für mich klar, dass die Mädchen und Jungen noch nicht so weit die Thematik hinterfragt hatten.“ In kleinen Dosen Schritt für Schritt, aber langfristig und regelmäßig verabreicht, kann mit vorurteilsbewusster Bildung in der Schule der größte Effekt erzielt werden. Dies stellte Alexandra Pichler in ihrer Diplomarbeit fest, in der sie den Einfluss vorurteilsbewusster Bildung auf die Vorstellungen ihrer Schülerinnen und Schüler bezüglich Regenbogenfamilien beispielhaft untersuchte.

 

Im Rahmen ihres Forschungsprojekts zur vorurteilsbewussten Bildung am Beispiel von Regenbogenfamilien stieß Pichler nicht seitens der Eltern und Lehrer, sondern bei der breiten Bevölkerung auf Widerstände, trotz der Legalisierung eingetragener Lebenspartnerschaften für Homosexuelle im vergangenen Jahr: „Mit meinem Forschungsprojekt habe ich ein Fachgebiet betreten, auf dem man mancherorts in Südtirol wirklich auf Granit beißen kann. Nach meiner Erfahrung ist die Südtiroler Bevölkerung noch nicht offen genug dafür.

Das Päckchen, welches Kinder bezüglich ihrer Toleranz von Vielfalt und Offenheit aus dem Elternhaus mit in den Unterricht bringen, kann die vorurteilsbewusste Bildung in der Schule nicht aufheben. Schülerinnen und Schülern ihr Recht auf vorurteilsfreie Informationen im Unterricht zu gewähren kann allerdings dazu beitragen, dass kindliche Gespür für andere Menschen und deren Vielfalt zu erhalten und letztendlich zu ihrer Entwicklung zu respekt- und verantwortungsvollen Jugendlichen beitragen.