Wirtschaft | Ping Pong

Kastelruther Kampfgeist

Im Tauziehen um eine neue Bahnverbindung auf die Seiser Alm handelt sich das Land eine Niederlage vor Gericht ein – samt eines harten Vorwurfs der Verwaltungsrichter.
Marinzenlift
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

Man könnte der Marinzen GmbH gut und gerne das Adjektiv “unbeugsam” zuschreiben. Seit über eineinhalb Jahrzehnten kämpft die Liftgesellschaft aus Kastelruth für eine Anbindung an die Seiser Alm. Trotz immer neuer Rückschläge auf Landesebene gibt man den Traum nicht auf – und hat nun einen wichtigen Erfolg zu verbuchen.

 

“Nicht loyal und unparteiisch”

 

Die Passage im Urteil hat einen moralisierenden Unterton: “Nach Ansicht dieses Gerichts entspricht eine derartige Vorgehensweise nicht einer loyalen und unparteiischen Ausübung der öffentlichen Verwaltungsbefugnisse.” Es ist ein harter Vorwurf, den das Richterkollegium um Präsidentin Edith Engl in ihrem Urteil vom 8. Jänner 2019 gegen das Land festhalten: Die öffentliche Hand habe sich gegenüber des privaten Antragstellers Marinzen GmbH nicht nur nicht loyal verhalten. Sondern mit dem Beschluss, den das Verwaltungsgericht nun aufgehoben hat, auch noch ein früheres Urteil umgangen.

Die Rede ist vom Beschluss der Landesregierung Nr. 1079 vom 16. Oktober 2018. Kurz vor den Landtagswahlen erteilt die Landesregierung, dem Vorhaben, die beiden Skigebiete Marinzen und Seiser Alm über eine neue Bahnanlage zusammenzuschließen, eine Absage. Es ist nicht das erste Mal, dass die Landesregierung Nein zu den Plänen der Marinzen GmbH sagt. Doch immer wieder hatte die Liftgesellschaft rekurriert.

 

Bereits Ende November 2017 hebt das Verwaltungsgericht einen Beschluss der Landesregierung wegen Verfahrensmängeln auf. Unter anderem, weil Georg Simeoni im Umweltbeirat über das entsprechende Gutachten mit abgestimmt hatte. Simeoni hätte sich enthalten müssen, da er als AVS-Präsident gemeinsam mit dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz eine Eingabe gegen die Machbarkeitsstudie der Marinzen GmbH gemacht hatte, so die Richter in ihrer Urteilsbegründung. Simeoni hat seine Funktion im Umweltbeirat inzwischen niedergelegt.

 

Boykott in Bozen?

 

Der Beschluss der Landesregierung wird im November 2017 annulliert, der Ball geht zurück ans Land. “Der Landesregierung wurde zur Auflage gemacht, das Projekt neu zu behandeln”, erklärt Herbert Hennicke. Seit Herbst 2017 ist der 52-jährige gebürtige Aachener Präsident der Marinzen GmbH und legt “größten Wert auf Transparenz”. In diesem Sinne veröffentlicht er regelmäßig Stellungnahmen in der Kastelruther Gemeindezeitung, um die Bevölkerung auf dem Laufenden zu halten. Nach der Urteilsverkündung Ende 2017 habe es Gespräche mit dem Landeshauptmann und den zuständigen Landesräten gegeben, berichtet Hennicke, “in denen versucht wurde, eine akzeptable Lösung für beide Seiten zu finden”. Erfolglos, wie auch mehrere Treffen mit Arno Kompatscher im Sommer 2018, so Hennicke. Wie so mancher im Dorf hegt er den Verdacht, dass die Landesregierung eine Anbindung auf die Seiser Alm “boykottieren” will.

 

Kastelruther Traum

 

Zwei Mal hat der Gemeinderat von Kastelruth bereits Ja zu einer Liftanbindung zwischen dem Hauptort und dem Puflatsch auf der Seiser Alm gesagt. Vor allem die Kastelruther Wirtschafts- und Tourismustreibenden, von denen zahlreiche an der Marinzen GmbH beteiligt sind, wünschen sich eine Direktverbindung auf die Seiser Alm. Obwohl nur einige Kilometer entfernt bereits zwei Umlaufbahnen stehen, die direkt auf die größte Hochalm Europas führen: eine in Seis am Schlern, das zur Gemeinde Kastelruth gehört, und eine in St. Ulrich in Gröden. Weshalb die Kastelruther eine eigene Bahn brauchen, liegt für Herbert Hennicke auf der Hand: “Die Gästezahlen und die Verkehrssituation im Schlerngebiet haben sich seit Eröffnung der Umlaufbahn von Seis im Jahre 2003 erheblich verändert und lassen eine direkte Anbindung von Kastelruth auf die Seiser Alm mittels Umlaufbahn vor allem aus verkehrstechnischer Sicht als sinnvoll erscheinen.”

 

Der Eintragung einer Trasse für eine Bahn von Marinzen zum Puflatsch “dürfte also eigentlich nichts im Wege stehen”, so Hennicke. “Umso unverständlicher ist das Verhalten der Landesregierung zu diesem Thema. Obwohl im ganzen Land neue Bahnen gebaut werden, überall von Feinstaub, grüner Energie und Elektromobilität gesprochen wird, wird hier massiv gebremst.”

 

Seiser Expansion

 

Im Nachbardorf Seis hat man seit jeher wenig Verständnis für die Kastelruther Pläne. Selbst die Seiser SVP-Vertreter im Gemeinderat von Kastelruth, wo mit Andreas Colli ein SVP-Bügermeister regiert, üben Kritik. Am Deutlichsten spricht sich allerdings die Betreibergesellschaft der Umlaufbahn Seis-Seiser Alm gegen eine weitere Bahn aus. “Eine zusätzliche Zubringerbahn auf die Seiser Alm hat keine wirtschaftliche Überlebenschance” und würde zudem “den wirtschaftlichen Fortbestand unserer Gesellschaft aufs Spiel setzen” sowie zu Preissteigerungen bei der Umlaufbahn in Seis führen, mahnt Helmut Sartori, Präsident der Seis-Seiser Alm Bahn AG an. Seine Gesellschaft hat bereits mehrmals angeboten, in das – derzeit stillgelegte – Kastelruther Skigebiet Marinzen zu investieren. Allerdings nur “sofern von den Entscheidungsträgern der Marinzen GmbH auf eine Direktanbindung auf die Seiser Alm verzichtet wird”, sagt Sartori im Dezember 2018.

Dass die Seiser auf Kastelruth schielen – 2015 hat die Seis-Seiser Alm AG das Posthotel “Lamm” im Herzen von Kastelruth aus einer Konkursmasse gekauft, vollständig renoviert und im Sommer 2018 neu eröffnet –, wird dort nicht goutiert. “Die Marinzen GmbH wird weiter kämpfen”, verspricht Herbert Hennicke aus der Gemeindezeitung.

 

Keine Talabfahrt ist kein neues Projekt

Den Kastelruther Kampfgeist bestätigt nun das Bozner Verwaltungsgericht. Inzwischen hat die Marinzen GmbH auf eine ursprünglich eingeplante Talabfahrt von Puflatsch nach Kastelruth verzichtet. Auch im zweiten Anlauf lehnen die Landesämter und in Folge die Landesregierung sämtliche Varianten ab. Das Vorhaben ohne Talabfahrt sei eine “unzulässige wesentliche Abänderung” und daher sei neuer Antrag vorzulegen, befindet die Landesregierung am 16. Oktober 2018.

Nein, der Verzicht auf die Piste stellt kein neues Projekt dar, sondern sei “ein natürlicher Bestandteil” der Machbarkeitsstudie, befinden die Verwaltungsrichter am 8. Jänner 2019. Sie bestätigen damit das erste Urteil vom November 2017 – und rügen das Land. Dieses hätte bereits nach dem ersten Urteil (das vom Land nicht angefochten wurde und in Rechtskraft erwachsen ist) die Variante ohne Talabfahrt bewerten müssen. Dieses Urteil sei aber umgangen worden, kommen die Verwaltungsrichter zum Schluss. Mit ihrem jüngsten Schiedsspruch fordern sie innerhalb von 60 Tagen ein Gutachten des Umweltbeirates über die Umweltverträchglichkeit sowie eine “endgültige und verfahrensabschließende” Entscheidung der Landesregierung ein. Darüber hinaus wird das Land zur Zahlung von 3.500 Euro als Kostenersatz an die Marinzen GmbH verurteilt.

 

Kompatscher unverfolgbar

Im Urteil äußern sich die Verwaltungsrichter zu einem weiteren, äußerst brisanten Detail. Bei Beschluss Nr. 1079, mit dem die Landesregierung am 16. Oktober 2018 das Vorhaben der Marinzen GmbH für unzulässig erklärte und eine Neuauflage verlangte, hat Arno Kompatscher mitgestimmt. Der Landeshauptmann war zwischen 2004 und 2013 Präsident des Verwaltungsrates der Seis-Seiser Alm Umlaufbahn AG und gleichzeitig der Geschäftsführer der Konkurrenzgesellschaft der Marinzen GmbH. Deshalb hat sich Kompatscher bei einer früheren Abstimmung der Landesregierung über die Bahnverbindung im Oktober 2016 der Stimme enthalten. Aus rechtlicher Sicht sei das nicht notwendig gewesen, aber er habe “eine Mit-Einflussnahme vermeiden” wollen, erklärt Kompatscher damals. Im Oktober 2018 stimmt er mit.

Auch zwei Jahre später hätte sich “der Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher (…) wie beim vorherigen Landesregierungsbeschluss (…) vom 4. Oktober 2016, Nr. 1060 von der Abstimmung enthalten müssen”, beanstandete die Marinzen GmbH vor dem Verwaltungsgericht. Diesen Einwand aber tut das Richterkollegium als “unverfolgbar” ab.

Bleibt abzuwarten, wie sich das Land nun verhält – und wie lange die Kampfeslust der Kastelruther andauert.