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Angriff auf die RAI

Die Freunde im Edelweiss haben sich auf RAI Südtirol eingeschossen. Mit Klagen und Eingaben soll kritischer Journalismus im öffentlichen Rundfunk mundtot gemacht werden
Widmann, RAI
Foto: Fotomontage Ismaele Pianciola
Die Rechtsanwaltskammer Bozen hat ihren Sitz am Südtiroler Landesgericht. Diesen Mittwoch wird dort eine Mediationsverhandlung über die Bühne gehen, in der es um weit mehr geht als um eine angekündigte Zivilklage. Es fällt auch eine Vorentscheidung, ob es einer Gruppe innerhalb und außerhalb der SVP gelingen wird, die Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachhaltig einzuschüchtern. Das klare Ziel: kritische und unbequeme Berichterstattung auf RAI Südtirol in Zukunft zu verhindern und den öffentlich-rechtlichen Südtiroler Rundfunk handzahm zu machen.
Denn in Zimmer 344 im dritten Stock des Justizgebäudes wird an diesem Tag eine Zivilklage von Thomas Widmann gegen RAI-Chefredakteurin Heidy Kessler behandelt. Seit einigen Jahren ist vor der Einreichung einer Klage beim Landesgericht eine Mediation gesetzlich vorgeschrieben.
Laut Informationen von Salto.bz verlangt der ehemalige Landesrat und amtierende SVP-Landtagsabgeordnete von der RAI-Chefredakteurin 250.000 Euro an Schadenersatz wegen „schwerwiegender übler Nachrede“. Gegenstand ist die Berichterstattung von RAI Südtirol über die sogenannte "Freunde-im-Edelweiss"-Affäre. In der von der Kanzlei Brandstätter ausgearbeiteten Klageschrift wird dabei die „markante Einseitigkeit in Berichterstattung und Kommentaren“ angekreidet.
 

Der Anlass

 
Hauptgegenstand der zugestellten Klageschrift ist ein Kommentar von Heidy Kessler, der am 29. März 2022 sowohl gesendet wurde als auch auf der Nachrichtenseite von RAI Südtirol erschienen ist. Unter dem Titel „SAD-Affäre: Chaos im Sinne der Vertuschung oder Vertuschung durch Chaos“ kommentiert die RAI-Chefredakteurin die gemeinsame Pressekonferenz von SVP-Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher vom Vortag, auf der die Rücktritte von Thomas Widmann, Christoph Perathoner und Karl Zeller eingefordert wurden.
 
 
 
Unter anderem schreibt Kessler:
 
„Die einzig saubere Lösung wäre es wohl, den SAD-Skandal aufzuarbeiten und aufzuklären und danach oder zumindest getrennt davon die Tätigkeiten von Karl Zeller. So liegt die Lesart nahe, dass SVP-Vizeobmann Zeller gehen muss, weil Landesrat Widmann gehen muss, dem Landeshauptmann Kompatscher gestern das Vertrauen entzog. Muss der Athesia-Freund Widmann gehen, so muss es auch der zum Athesia-Feind mutierte Zeller. Die Vermischung verschiedener Vorgänge und Vorwürfe dient dabei hauptsächlich der Verschleierung. Der Verschleierung, dass Thomas Widmann und Christoph Perathoner gehen müssen, weil sich die beiden Mandatare mit zweifelhaften Akteuren darüber austauschten, wie man den Landeshauptmann absetzen und einem Privatunternehmen Gewinne zuschanzen kann.“ 
 
Der Anlass für die Viertel-Millionen-Klage ist vor allem dem letzte Satz. Laut dem Widmann-Anwalt sei der Ton „abschätzig“ und sein Mandant werde in die Nähe einer Straftat gerückt. Dabei sei dieser Satz nur einer in einer „Serie von grenzüberschreitenden Unterstellungen“ gegen den SVP-Politiker. Der Kommentar sei nicht nur in Südtirol gehört und gelesen worden, sondern er habe auch in Italien und im benachbarten Ausland eine enorme Resonanz erzeugt. Das Resümee: Durch diese Unterstellung sei die weitere Karriere Widmanns als Politiker ruiniert worden.
In der Klageschrift findet sich aber auch eine ganze neue Lesart der SAD-Affäre. Dort kreidet man RAI Südtirol auch an, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht genügend darauf hingewiesen habe, dass das Verfahren gegen Ingemar Gatterer und die SAD archiviert worden sei. Ebenso habe RAI Südtirol nicht ausführlich darüber berichtet, dass ein Prozess gegen den damaligen Ressortdirektor Günther Burger und den Busunternehmer Markus Silbernagl noch anstehe.
Die Botschaft nicht nur zwischen den Zeilen: Arno Kompatschers Sager von der sauberen öffentlichen Verwaltung sei eine Chimäre.
 

Die Strategie

 
Dass ein Politiker, der sich in einem Medium falsch dargestellt oder verleumdet sieht, die Gerichte bemüht, gehört zu einem demokratischen Rechtssystem. Dass es dabei den Klägern vordergründig weniger um pekuniären Schadenersatz als um Einschüchterung geht, davon kann der Autor dieser Zeilen ein Lied singen.
 
 
 
Auch hinter dem Mediationsverfahren von Thomas Widmann steht eine bewusste Strategie. Denn diese angekündigte Klage reiht sich in eine Kette von Interventionen und Eingaben ein, die darauf abzielen, die kritische Berichterstattung am Mazziniplatz zu unterbinden.
Der RAI-Redaktion wird dabei auch in dieser Klage eine Art Todsünde vorgeworfen: die Berichterstattung über die Publikation des Buches „Freunde im Edelweiss“ und die darin dargestellte Affäre.
Der RAI-Redaktion wird eine Todsünde vorgeworfen: die Berichterstattung über die Publikation des Buches „Freunde im Edelweiss“ und die darin dargestellte Affäre.
Seit langem mault eine Gruppe mächtiger Protagonisten innerhalb und außerhalb der SVP über die redaktionelle Linie im altehrwürdigen Sender Bozen. Immer wieder kommt dabei dasselbe Narrativ zum Ausdruck. Politische Affären, die von den wenigen Enthüllungsjournalisten und -journalistinnen im Land aufgedeckt werden, könnte man in Absprache mit dem Medienkonzern Athesia unter der „Wahrnehmungsgrenze“ halten. Wäre da nicht die Redaktion von RAI Südtirol, die auch diesen unbequemen Geschichten den nötigen Platz in der Berichterstattung bietet. Es ist das Standing, die Reichweite und die Bekanntheit des „Staatsfunks“  (©Toni Ebner), mit dem die jahrelang erfolgreiche Taktik des Totschweigens plötzlich nicht mehr aufgeht.
Als Beispiele werden die SAD-Affäre, die Immobilien-Operationen von Manfred Vallazza oder der Südtiroler Maskenskandal angeführt.
Noch deutlicher als in Widmanns angekündigter Klage kommt diese Strategie in einer anderen, bisher kaum bekannten Aktion zum Ausdruck, an der sich der ehemalige Gesundheitslandesrat ebenfalls beteiligt hat.
 
 

Die Eingabe

 
Am 30. September 2022 haben Christoph Perathoner, Thomas Widmann, Angelika Wiedmer und Meinhard Durnwalder eine Eingabe bei der staatlichen Datenschutzbehörde hinterlegt. Die vier Einbringer beanstandet darin die Verletzung ihrer Privacy durch die Veröffentlichung der Abhörprotokolle aus dem SAD-Skandal.
 
 
 
Die Eingabe richtet sich dabei nicht nur gegen die beiden Buchautoren Artur Oberhofer und Christoph Franceschini sowie den neuen Südtiroler Beelzebub Karl Zeller. Das SVP-Kleeblatt greift frontal einen gewichtigen Teil der Südtiroler Medienlandschaft an. Ausgespart wurden von den Freunden im Edelweiss nur die Blätter und Sender des Medienkolosses Athesia.
Zum Handkuss kommen neben Salto.bz und der Neuen Südtiroler Tageszeitung die Wochenzeitung FF und „Südtirol heute“, die Nachrichtensendung des ORF. Und vor allem RAI-Südtirol.
Der Veroneser Anwalt Riccardo Borsari, der bereits vor rund einem Jahr eine ähnliche Eingabe für Altlandeshauptmann Luis Durnwalder gemacht hat, hat sich dabei keinesfalls auf die angebliche Verletzung der Datenschutzbestimmungen beschränkt. Der 76 Seiten starke Schriftsatz liest sich wie eine schlechte Seminararbeit, in der die gesamte „illegale“ Berichterstattung rund um die "Freude im Edelweiss"-Affäre bis in kleinste Detail tendenziös dokumentiert und analysiert wird.
 

„Anderer journalistischer Zugang“

 
In der Eingabe ist ein eigenes Kapitel den angeblichen Verfehlungen von RAI Südtirol gewidmet. Unter dem Titel „Die Rolle der RAI“ wird dem Sender ein entscheidender Beitrag bei der Verbreitung der Abhörungen zugeschrieben.
Besonders schwerwiegend dabei: RAI-Südtirol habe bereits zwei Monate vor der Publikation des Buches „Freunde im Edelweiss“ in der Sendung „Am Runden Tisch“ über den SAD-Skandal Ausschnitte aus den Abhörunge gepaart mit Fotos der Kläger an eine Leinwand projiziert. Später habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf seiner Internetseite sogar Audiomitschnitte der Telefongespräche veröffentlicht.
Den Kolleginnen und Kollegen vom Mazziniplatz werden in der Eingabe offen eine angebliche Änderung der redaktionellen Linie in der Berichterstattung vorgeworfen.
 
"La RAI Bolzano ha per lungo tempo adottato un diverso approccio giornalistico, acquisendo nel tempo presso i propri ascoltatori e lettori fama di riportare, in modo oggettivo, fatti di cronaca veri. Pertanto, il repentino cambio di approccio editoriale e la scelta di esporre in modo volutamente artefatto e ricostruito, nonché con tale insistenza, i file delle intercettazioni non può che aver fornito, presso la comunità locale e nazionale, una parvenza di legalità alla indebita diffusione di tali dati, legittimando altresì agli occhi del pubblico la condotta dei giornalisti Oberhofer e Franceschini, nonché quella dei mass media a questi riconducibili."
 
 
 
In der Eingabe steht aber auch:
 
„In aggiunta a ciò, sempre al fine di promuovere la diffusione di tali intercettazioni e dei file audio, la RAI ha continuato a parlare dello “Scandalo SAD” quasi ad ogni trasmissione radio, fornendo agli ascoltatori una versione parziale degli eventi.
In particolare, non sono mai state pubblicate né riportate le conversazioni del Presidente della Provincia, soggetto a intercettazioni in quanto persona sottoposta alle indagini nel procedimento penale; ovvero di altre persone vicine al presidente, tra le quali il sig. Silbernagl o l’ing. Burger, entrambi oggetto di intercettazioni e in seguito anche rinviati a giudizio.“
 
Es ist genau jenes Narrativ, das wir jetzt auch in der Klage von Thomas Widmann finden.
Spätestens damit wird klar, dass es nicht um den Datenschutz oder die Form der Berichterstattung geht, sondern darum, die redaktionellen Inhalte zu steuern.
Eine Gruppe will hier bestimmen, was in diesem Land gemeldet und worüber geschrieben wird und was man lieber verschweigt.
Eine Gruppe will hier bestimmen, was in diesem Land gemeldet und worüber geschrieben wird und was man lieber verschweigt. Wie dieses Kommunikationsmodell in der Praxis ausschaut, macht uns seit Jahren ein Medienkoloss vor.
Diese Message Control geht aber nur dann wirklich auf, wenn man auch RAI Südtirol im Sack hat.
Deshalb soll Heidy Kessler jetzt waidwund geschossen werden.
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Josef Fulterer Di., 24.01.2023 - 06:30

Der Phillip und die SVP würden deutlich an Glaubwürdigkeit gewinnen, "wenn sie ENDLICH die ../sauberen Freunde im Edelweiß, von der FUTTERKRIPPE DER ÖFFENTLICHEN GELDER verteiben würden."

Di., 24.01.2023 - 06:30 Permalink
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Salto User
Günther Alois … Di., 24.01.2023 - 08:18

Was bildet sich diese Seilschaft eigentlich ein? Ihr werdet doch nicht ernsthaft glauben,diese lächerliche Klage zu gewinnen? Das nimmt ja Formen an,schlimmer als in Russland,vonwegen Pressefreiheit!

Di., 24.01.2023 - 08:18 Permalink
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kurt duschek Di., 24.01.2023 - 09:50

...an diesen "kleinen" geschilderten Vorkommnissen kann man deutlich erkennen, wie wichtig unabhängige Journalisten und freie Medien in einer funktionierenden Demokratie sind.

Di., 24.01.2023 - 09:50 Permalink
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Hartmuth Staffler Di., 24.01.2023 - 14:26

Der Staatsrundfunk RAI ist das genaue Gegenteil von unabhängigem Journalismus. Auch deshalb wird es nie jemandem gelingen, sich gegen diese Manipulationsmaschine durchzusetzen.

Di., 24.01.2023 - 14:26 Permalink