Gesellschaft | Gewalt & Co.

Land unter!

Ein Bekannter hatte mich neulich gebeten, ob ich ihm bei einem Brief, den er an den Landeshauptmann schreiben wolle, behilflich sein könne. Selbstverständlich konnte ich.
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Und während ich also jene Zeilen eines so genannten „einfachen“ Bürgers, der die Wahlwerbung seines Landeshauptmannes beim Wort nimmt und mit dessen offenem Ohr rechnet, auch nach der Wahl, korrekturlas, fragte ich mich, was es wohl auf sich haben könnte, mit dieser Einbruchswelle, die urplötzlich, dafür aber umso gewaltsamer über unser armes Land hereingebrochen zu sein scheint.

An mir und meiner unmittelbaren Umgebung jedenfalls scheint diese Monsterwelle an Gewalt, die – wenn ich der Stimmung und den Stimmen im Lande Glauben schenken darf -, kaum eine Südtirolerin verschont, aus unerfindlichen Gründen bislang vorbei gerauscht zu sein. Denn in meiner Nähe gab es bisher weder Einbrüche, noch verdächtig aussehende weiße Kastenwagen, und auch keine Blumen- oder sonstige Händler und Händlerinnen, die plötzlich und uneingeladen in meiner Küche stünden. Vielleicht habe ich aber auch nur Glück gehabt, bisher, oder aber meine diesbezügliche Unversehrtheit liegt daran, dass vor 15 Jahren schon einmal bei uns eingebrochen worden war, und ich eigentlich eh nichts im Hause habe, was Einbrecher spannend finden könnten.

Wie gesagt, die plötzliche Wucht und Heftigkeit dieser jüngsten Einbruchsserie – denn Einbruchswellen gab’s immer schon, mal hier, mal dort, sie kamen und gingen – hatte gerade angefangen, mich ein wenig nachdenklich zu stimmen, da kam über eines der heimischen Medien (ich weiß leider nicht mehr genau, welches) die Meldung, der Herr Stocker von den Freiheitlichen sorge sich ganz fürchterlich um die kochende Volksseele, die dieser allumfassenden Welle aus Gewalt und Einbrüchen schutzlos ausgeliefert sei, und niemand kümmere sich um sie, nicht einmal der Landeshauptmann, und die fernen Politiker im bösen Rom schon gar nicht. Diese „besorgniserregenden Zustände“ übrigens – Herr Stocker nennt sie „saure Früchte“ - haben wir, also der Herr Stocker, Sie und ich, „der linken Politik“ zu verdanken. Also nicht den allfälligen Einbrechern, auch nicht den etwaigen Gewalttätern, sondern, wie gesagt, der linken Politik.

Und ein Gegenmittel hätte der Herr Stocker auch gleich parat, denn die schütteln sich in gewissen Kreisen ganz wundersam leicht aus dem (rechten) Ärmel: Beim Herrn Renzi sollen unsere Landespolitiker doch gefälligst intervenieren, gefälligst schnell, er solle doch schleunigst Gesetze erlassen, gegen die Einwanderer.

Einwanderer? Ja, ging’s denn nicht gerade eben noch um Einbrüche? Und Gewalt? Und die darob brodelnde Volksseele? Haben denn „Einwanderer“ und „Gewalt“ und „Einbruchserie“ zwingend miteinander zu tun? Woher weiß der Herr Stocker, dass die Gewalttäter und die Einbrecher, die derzeit angeblich unser Land beherrschen und die Bevölkerung samt Medien in Geiselhaft nehmen, allesamt Einwanderer sind, vielleicht sogar über das Mittelmeer herbei gereist, ganz bequem, auf Einbruchs-und-Gewalt-Tournée, in Europa?!

Ja, und dann, dann erfuhr ich, dass nicht nur mein Bekannter einen besorgten Brief an seinen – unser aller – Landeshauptmann schrieb, sondern dass plötzlich eine Art "Schreib-dem-LH-einen-Brief"-Epidemie ausgebrochen sein muss - die Medien berichte(te)n über wahre Brieffluten. Das Portal unsertirol24.com ist - da schau an – eines der ersten, die in rührseliger und zuckersüßer Manier den staunenden LeserInnen von einer jungen Mutter zweier Kinder (!), berichtet, dann ist es ein mutiges (!) junges Mädchen (!), gerade mal 16 ist es geworden, und beide müssen sich schon, diese Zustände! in Sachen Einbruch-und-Gewalt sorgen- und kummerbeladen an ihren Landeshauptmann wenden. Zwar sind sie voller Verständnis für die Sorgen und Kümmernisse der Einwanderer (!), jener zumal, die sich „integrieren“, aber bittschön, Herr Landeshauptmann, bei den anderen, bei den Einwanderern mit der Narrenfreiheit, da seien doch schon strengere Maßnahmen geboten. Und wissen auch gleich, die jungen Frauen, wie die auszusehen hätten. Interessant, nicht wahr, dass ausgerechnet diese beiden aus der Brief-Flut, die den LH zu erdrücken droht, den Weg an die Öffentlichkeit fanden.

Spätestens hier schrillen doch ziemlich heftig ein paar Alarmglöckchen, oder? Doch damit nicht genug, taucht dieser Tage – heute? gestern? in dem Wirrwarr der Hiobsbotschaften vom gewaltgebeutelten Südtirol verliert sich schon mal der Überblick – die Nachricht auf, bei der Süd-Tiroler Freiheit meine man, alle diese Gewalt- und Einbruchsprobleme ließen sich doch ganz einfach lösen, wenn bloß Südtirol endlich sich von diesem bösen, bösen Rom lossagen wolle. Dann könnte sich dieses brave Land seine Gesetze – endlich! - selbst schneidern, ganz nach Belieben und persönlichem Gutdünken, und habe dabei überhaupt weder Menschen- noch andere Rechte zu beachten, könnte vielmehr munter drauflos schreiben, und danach abschieben, einsperren, gar nicht erst reinlassen. Ja. So einfach geht das, in gewissen Kreisen.

Zu – vorläufig - guter Letzt meldeten sich heute noch einmal die Freiheitlichen zu Wort, ein munterer Reigen, der da getanzt wird, fürwahr, und zwar der Vorsitzende höchstselbst, via Facebook, und auch er schlägt unverdrossen einen unfassbar schnellen Bogen – er braucht dafür keine drei Zeilen - vom „Sicherheitsproblem (Gewalt/Einbrüche)“  zu den „Einwanderern“, und weiß genau, dass man des (angeblichen) Sicherheitsproblems ruckzuck Herr werden könne, wenn man doch bloß endlich der Einwanderer Herr werden wolle.

Ja, so war das also, und während ich noch über all diese Zufälligkeiten rätselte, und mich fragte, ob wir denn nun vielleicht und gänzlich entgegen meiner persönlichen Wahrnehmung doch ein wahrhaftiges und womöglich gar ausgewachsenes  Sicherheitsproblem haben, wir hier in Südtirol, und ich hab’s nur  nicht gemerkt, und ob es womöglich doch einen gemeinen Link geben könnte, zwischen diesem "Sicherheitsproblem" und Einwanderern, wenn doch all diese Herren das doch so genau zu wissen scheinen, und von den anderen, die’s doch besser wissen müssten, keiner was dagegen sagt, sondern kleinlaut einräumt, dass doch, die Sorgen und Ängste der Bevölkerung würden schon ernstgenommen, ganz gewiss, (*)

ja also, nach alldem stand sie plötzlich da, diese Frage, ganz gemein, mitten im Raum, und wollte nicht mehr fort: Ja, ist’s denn womöglich, all das, weil schon bald wieder Wahlzeit ist?

Und während also diese zynischste Form des Populismus wieder einmal Hochzeit feiert, im braven Lande, und dessen brave Bürger sich, wieder einmal, vorführen lassen, derweil stellt sich noch eine weitere Frage vor mich hin, und will kein bisschen weichen:

Was hat es zu bedeuten, dass das Landeshaupt-Blatt der Südtiroler (die Südtirolerinnen sind hoffentlich mitgemeint) all diese niederträchtigen, giftigen Bissen, die die Populismus-Fraktion auf ihrem Weg zur nächsten Wahl vor sich herschmeißt, so behände aufschnappt, sie gären lässt und dann als mundgerechte Häppchen weiter verteilt? 

(*) Ich habe heute einen sehr schönen Text gelesen, und gebe hier einen Auszug daraus wieder, weil ich finde, dass er ganz wunderbar passt, sogar beinahe maßgeschneidert ist: „Ich möchte nicht darüber spekulieren, was die besorgten Bürger (…) unterscheidet. Und ja: Ich weiß auch, dass es „die Bürger“ nicht gibt. Aber die Fakten muss man beim Namen nennen. Und ja: Ich finde es unerträglich, wenn sich Politiker (…) – aus unterschiedlichen Parteien – bei den „verängstigten Bürgern“ (…) anbiedern und mit kummervoller Miene ihr Verständnis für deren „berechtigte Sorgen“ äußern. (…) Man könnte den „Dialog mit den besorgten Bürgern“ auch so führen, dass man sie mit diesen Fragen und mit ihren eigenen xenofoben Wahnvorstellungen konfrontiert. Es gibt Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft, die es tun. Aber es gibt auch eine Sorte „mitfühlender“ Politiker, die das gerade nicht tut und – wenn auch indirekt – der rassistischen Hetze und dem Fremdenhass eine soziale Legitimation verschafft."

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Michael Bockhorni Mo., 23.02.2015 - 23:02

also bei mir ist diese "flut" (der einbrüche) auch noch nicht vorbeigekommen. anlässlich einer einladung allerdings sehr wohl jene der besorgten bürger, die von täglichen einbrüchen in ihrer umgebung berichten.

Mo., 23.02.2015 - 23:02 Permalink
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Sylvia Rier Mi., 25.02.2015 - 17:07

Antwort auf von Michael Bockhorni

Natürlich soll und will ich keineswegs in Abrede stellen, dass Einbrüche - Gewalt sowieso - selbstverständlich problematisch sind, weit über den materiellen Schaden hinaus. Ich weiß, wovon ich rede. Und selbstverständlich muss das Problem - wenn es ein solches gibt - angegangen werden, das muss wohl nicht eigens gesagt werden. Aber es ist wohl nicht hilfreich, so zu tun (es so darzustellen), dass zehn Einbrüche gezählt wurden, wenn's doch in Wahrheit ein Einbruch war, und zehn besorgte Nachbars-Bürger sich treffen, um sich zu beraten. Bemerkenswert finde ich übrigens auch, dass es sehr oft "der Nachbar" war, bei dem eingebrochen wurde, oder der Verwandte, oder die Bekannte... und eher selten direkt Betroffene sprechen. Ganz besonders niederträchtig - und genausowenig hilfreich im Sinne einer Problemlösung - aber finde ich diese ultrakurzen Ketten, die zwischen "Einbruch/Gewalt" und "Einwanderer" geschaffen werden, gerade so, als seien Einwanderer grundsätzlich Einbrecher/Gewalttäter, und als solche gewissermaßen zur Welt gekommen. Und was ich letztlich am besorgniserregendsten finde ist, auf welch überaus dankbaren Boden solche im Sinne mancher politischen Agenda "frisierte" Meldungen" fallen, und wie überaus dankbar und unkritisch sie aufgenommen werden.

Mi., 25.02.2015 - 17:07 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Mo., 23.02.2015 - 23:18

Ich würde diesen lustigen Beitrag als Wahlwerbung der Grünen bei der kommenden Gemeinderatswahlen austeilen, besser kann man die Gedanken und Ideen zum Thema nicht zusammenfassen.

Mo., 23.02.2015 - 23:18 Permalink