Politik | PD

Renzi, der Zerstörer

Für Luisa Gnecchi ist klar, wer an den Turbulenzen in ihrer Partei und den Austritten Schuld hat: Matteo Renzi. “Er sollte darüber nachdenken, was er alles zerstört hat.”
Luisa Gnecchi
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

Turbulente Zeiten in Rom: Dem Partito Democratico kommen immer mehr Mitglieder seines “linkeren” Flügels abhanden, links der Partei formiert sich ein neues Bündnis. Mittendrin im Geschehen: Luisa Gnecchi, die eigentlich mit ihrer Arbeit im Parlament mehr als genug Beschäftigung hätte. Ihren Ärger über den Ex-Premier und inzwischen auch als Parteisekretär zurückgetretenen Matteo Renzi kann die Südtiroler PD-Abgeordnete allerdings nicht verbergen.

salto.bz: Kaum jemand – weder im PD selbst und schon gar nicht die Bürgerinnen und Bürger – scheint derzeit den Durchblick zu haben und fragen sich: Warum? Wie erklären sich den offensichtlichen Spaltungs-Willen Ihrer Partei?
Luisa Gnecchi: Von “Spaltungs-Willen” kann hier keine Rede sein. Niemand freut sich darüber, die Partei zu verlassen, im Gegenteil: Alle leiden darunter. Und Renzi kann nicht so tun, als sei nichts. Der Präsident der Toskana, Rossi, der Ex-Präsident der Emilia Romagna, Errani, Ex-PD-Sekretär Epifani, Bersani, von dem ich nicht erwähnen muss, was er bedeutet hat und immer noch bedeutet – sie alle verlassen den PD. Kann man da wirklich glauben, dass die Partei dieselbe wie vorher ist? Glaubt Renzi, er kann sie mit Alfano und Sacconi (beide Exponenten des Nuovo Centro Destra, Anm. d. Red.) ersetzen? Renzi sollte über all das nachdenken, und darüber, was er zerstört hat.

Die Geschichte verläuft in unserer Provinz immer anders als auf nationaler Ebene.

Sie gehören also zu jenen, die die Schuld an dem Auseinanderdriften der Partei und den Austritten bei Matteo Renzi sehen?
Renzi hat alles dafür getan, dass jene, die nicht auf den Karren des Siegers aufgestiegen sind, den PD verlassen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kammer und des Senats wurden zum Beispiel Parteikollegen in den Kommissionen, die Renzis Positionen nicht teilten, ausgetauscht. Sowohl im Falle der Verfassungsreform als auch des Wahlgesetzes.

Nicht von allem im PD wurde dieses Vorgehen widerstandslos gebilligt?
Nein. Bei der Fraktionssitzung wurde Renzi darum gebeten, beim Wahlgesetz nicht die Vertrauensfrage zu stellen und es wurde ihm vor Augen geführt, dass er ein falsch gedachtes Wahlgesetz wollte.

Falsch in welcher Hinsicht?
Er meinte, dass das Ergebnis des PD bei den letzten Europawahlen, also die 40 Prozent, auch bei den Parlamentswahlen zu holen sei. Aber Wahlgesetze schreibt man nicht auf der Grundlage von einem Wahlergebnis der Regierenden. Ein Wahlgesetz muss für alle demokratisch gleich gelten.

Haben Sie deswegen 2015 in der Kammer gegen das Italicum gestimmt?
Das Italicum war ein verfassungswidriges Gesetz, so viel steht fest. Wir waren 38, die der Regierung damals das Vertrauen nicht ausgesprochen haben, und das Verfassungsgericht hat uns Recht gegeben. Glauben Sie mir, es ist nicht einfach, der eigenen Regierung das Vertrauen zu verweigern – das hätte ein Signal für Renzi sein müssen.

Renzi müsste sich die Frage stellen, wie viele den PD inzwischen schon verlassen haben…

Scheint es aber nicht gewesen zu sein…
Genausowenig ist es normal, dass eine Regierung bei Gesetzesdekreten die Gutachten der jeweiligen Kommission nicht berücksichtigt.

Renzi wurde und wird vorgehalten, sich nicht genügend um die Partei vor Ort, also in den Regionen und Provinzen gekümmert zu haben. Sehen Sie das auch so?
Er hat seine Rolle als Parteisekretär nicht wahrgenommen und Ende 2013 einen Parteivorstand eingesetzt, der sich nur in den ersten Monaten versammelt hat – und seit Juli 2015 nicht mehr.

Was geschieht nun im und mit dem PD in Südtirol? Auch im Hinblick auf die näherrückenden Landtagswahlen 2018?
Die Geschichte verläuft in unserer Provinz immer anders als auf nationaler Ebene. Wir werden sehen…

Laut jüngsten Umfragen liegt der Movimento 5 Stelle gleichauf mit dem PD. Sollte es zu einer größeren Spaltung kommen, würde das der 5-Sterne-Bewegung in die Hände?
Nicht die Spaltung, sondern Renzi hat dem Movimento 5 Stelle den Weg geebnet. Auch bei der gesamte Wahlkampagne zum Verfassungsreferendum ist man der 5-Sterne-Bewegung nachgerannt.

Inwiefern?
Indem Renzi die Reform als Chance, die Kosten der Politik zu senken, verkauft hat. Als wäre das Bedeutendste an der Reform “la riduzione dei politici” gewesen wäre… Renzi hat nicht verstanden, dass die Menschen das Original und nicht die Kopie wählen. Und hat dann haushoch verloren. Aber nichtsdestotrotz mit derselben Einstellung weitergemacht.

Nicht die Spaltung, sondern Renzi hat dem Movimento 5 Stelle den Weg geebnet.

Das Vertrauen in die Politik sinkt, während die Herausforderungen auf globaler Ebene wachsen. Wäre in Zeiten wie diesen eine weitere Zersplitterung der politischen Landschaft in Italien nicht verantwortungslos?
Auch das ist die Schuld von Renzi. Denken Sie daran, wie er sich Enrico Letta gegenüber verhalten hat. Renzis “stai sereno” ist ja schon in die Geschichte eingegangen – und dann ist er Letta in den Rücken gefallen. Wie er es jetzt auch mit Paolo Gentiloni macht.

Ja?
Renzi hat in der Fraktionsversammlung gemeint, dass, seit er nicht mehr Premier ist, das Parlament keine Arbeit mehr hat. Und dann seine ständige Suche nach einem Termin für die Neuwahlen… Als ob er sagen wollte, dass das Land ihn und nur ihn allein braucht.

Immerhin hat er dem PD einige Wahlerfolge beschert, nicht?
Da waren die 40 Prozent bei den Europawahlen 2014, aber nach diesem Ergebnis hat es nur noch Tragödien gegeben. Sowohl bei den regionalen als auch bei den Gemeindewahlen – und dem Referendum am 4. Dezember 2016. Renzi spricht nie von den Niederlagen, nur von den Siegen. Seit den Europawahlen hat er nur an Zustimmung verloren, aber nie innegehalten und reflektiert, oder gar diskutiert.

Könnten Sie sich vorstellen, angesichts der derzeitigen Turbulenzen im italienischen Mitte-Linkslager, aber auch in der Linken selbst, Ihre Entscheidung, nicht mehr für das Parlament zu kandidieren, zu überdenken? Immerhin gelten Sie auch als Bezugsperson für die Linke in Südtirol.
Wenn ich entschieden habe, was ich machen werde, werde ich es sagen. Das Problem ist, dass dieser PD keine linke Basis mehr hat. Für viele von uns geht es jetzt darum, die Frage zu beantworten, ob es möglich ist, dass der PD eine Mitte-Links-Partei ist und nicht nur offen gegenüber Mitte-Rechts. Renzi hat verlauten lassen, dass Sergio Marchionne (Präsident von Fiat Chrysler, Anm. d. Red.) mehr für die Arbeitnehmer geleistet hat als die Gewerkschaften. Er müsste sich die Frage stellen, wie viele den PD inzwischen schon verlassen haben…

Wahlgesetze schreibt man nicht auf der Grundlage von einem Wahlergebnis der Regierenden

Es scheint, dass Sie trotz Ihrer politischen Nähe zu Pier Luigi Bersani, der dem PD inzwischen den Rücken gekehrt hat, beschlossen haben, in der Partei zu bleiben. Warum?
Ich war immer eine Unterstützerin von Bersani, er war bereit, das Parteistatut abzuändern und hat Renzi damit ermöglicht, die Vorwahlen abzuhalten. Bersani hat sich immer korrekt gegenüber Renzi verhalten, und jetzt wird er von Renzi aus der Partei gejagt.

Themenwechsel zum Schluss: Was halten Sie vom Vorschlag von Senator Francesco Palermo, in Südtirol flächendeckend mehrsprachige Schulklassen einzuführen?
Ich denke, dass sich mit dem Landesgesetz Nr. 12/2000 zur Autonomie der schulischen Einrichtungen viele Möglichkeiten aufgetan haben. Mir scheint, dass der Vorschlag von Palermo durchaus ein Denkanstoß sein könnte. Die Schulautonomie gehört aufgewertet, dadurch kann den verschiedenen Realitäten und den Forderungen der Familien und Schülern in Südtirol eine echte Antwort gegeben werden. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es in den Kindergärten – die im Art. 19 des Autonomiestatus nicht drin sind –, in denen es nachgefragt wird, eine muttersprachliche Pädagogin geben sollte und eine Mitarbeiterin der anderen Sprache. Das würde den 3- bis 6-Jährigen ermöglichen, einen doppelten Sprachkanal zu aktivieren – ähnlich wie in den Familien mit zweisprachigen Eltern. Und jetzt, wo wir wissen, dass eine echte Mehrsprachigkeit eine Alzheimer-Erkrankung um fünf Jahre hinauszögern kann, wäre das ja auch eine Einsparung für die Sanität…